Kreislaufwirtschaft Jede Menge Sprengstoff

Der Entwurf der europäischen Verpackungs- und Verpackungsabfallverordnung setzt auf Verbote und Vorgaben. Handel und Industrie eröffnet das jedoch auch Chancen in der Kreislaufwirtschaft.

Montag, 25. September 2023 - Verpackung
Matthias Mahr
Artikelbild Jede Menge Sprengstoff
Bildquelle: Alexandra Lechner

Die Ziele der Kreislaufwirtschaft sind ambitioniert. Auf dem Weg zu einer kohlenstoffneutralen, ökologisch nachhaltigen und störstofffreien Kreislaufwirtschaft plant die Europäische Kommission, bis 2050 weitreichende Vorgaben für Verpackungen und Verpackungsabfälle aller Materialien zu setzen, die auf dem europäischen Markt in Verkehr gebracht werden.

Mit der Packaging and Packaging Waste Regulation (PPWR) sollen erstmals neue EU-weite Anforderungen an Verpackungsdesign, Vorgaben zu Mehrweg und Abfallmanagement vereinheitlicht für alle Mitgliedsstaaten fest geregelt werden. Das wäre ein enormer Fortschritt: Erstmals würden die in der PPWR enthaltenen Vorschriften in allen 27 EU-Mitgliedstaaten einheitlich in Kraft treten und für Verbindlichkeit sorgen. Denn im Gegensatz zu einer Richtlinie erlaubt die neue Verordnung den Mitgliedstaaten keinen Spielraum, das europäische Recht an nationale Gegebenheiten anzupassen. Die Rahmenparameter in der PPWR sind gesetzt, die ökologischen Messlatten wurden im Vergleich zum deutschen Verpackungsgesetz nochmals höher gelegt. Die endgültige Fassung ist für 2024 geplant. Die Umsetzung könnte 2025 beginnen.

Die wichtigsten Punkte sind: Bis zum Jahr 2030 müssen alle Verpackungen auf dem EU-Markt recycelbar sein und ab 2035 müssen Hersteller nachweisen, dass ihre Verpackungen tatsächlich umfassend recycelt werden können. Zudem müssen ab 2030 alle Verpackungen, die Kunststoff enthalten, einen Mindestanteil an Post-Consumer-Recycling-Material (PCR) aufweisen. Die genauen Vorgaben und Zielanteile für den PCR-Anteil variieren je nach Art der Verpackung und dem verwendeten Material. Zu den vorgeschlagenen Änderungen durch die EU gehört auch die Einführung verbindlicher Zielvorgaben für Mehrwegquoten aller Materialarten.

Schon jetzt steht fest: In der PPWR ist eine Menge Sprengstoff für Handel und abpackende Industrie enthalten. Die Verbände formieren sich und lassen Studien sprechen. Jetzt werden die Karten neu gemischt und alle Beteiligten in der Verpackungswertschöpfungskette verteidigen ihre Pfründe und stecken ihr Terrain neu ab.

Nachhaltigkeit erzeugt profitables Wachstum
„Doch auch der Einzelhandel hat jetzt die Chance, Nachhaltigkeit und profitables Wachstum umzusetzen“, sagt Daniel Rexhausen, Senior Partner bei McKinsey & Company und Co-Leader Sustainability Growth Platform, in einem Podcast im Gespräch mit Anke Ehlers, Managing Director International Sustainability innerhalb der Aldi Süd Holding.

Die Discounter haben die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit in Verbindung mit Verpackung längst verstanden: Ehlers spricht davon, dass Aldi nachhaltiges Einkaufen für jeden möglich machen wolle. Wichtiger noch: Der Discounter strebe auch bei der Nachhaltigkeit die Kostenführerschaft an. „Verpackungen haben einen hohen Wert. Es macht keinen Sinn, sie zu verbrennen“, lautet ihr Credo.

Marktführer Aldi und sein härtester Wettbewerber Lidl wissen: Verpackungsrecycling ist der Zugang zu essenziellen Rohstoffen der Zukunft und zur Erfüllung der strengen Vorgaben der PPWR. Den Weg dahin nehmen beide unterschiedlich: Die Schwarz-Gruppe hat mit der Gründung von Prezero schneller Fakten geschaffen und sich die Wertschöpfungskette Verpackung mit einem eigenen Dualen System erschlossen sowie damit die Verantwortung für die eigenen Abfall- und Wertstoffströme – etwa bei den Eigenmarken – übernommen. Das war ein bedeutender Schritt in Richtung geschlossener Wertstoffkreisläufe innerhalb der gesamten Unternehmensgruppe. „Unser erklärtes Ziel ist es, möglichst viele Wertstoffe wieder in den Kreislauf zurückzuführen. Dies gewährleisten wir mit unserem Umweltdienstleister Prezero mit eigenen Kapazitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Abfall- und Recyclingmanagement“, betonte Alexander Root, Managing Director Sustainable Packaging PreZero, auf dem Symposium Feines Essen & Trinken in München. Die Übernahme der Produktverantwortung sei ein zentraler Baustein der nachhaltigen Vision der Schwarz-Gruppe und zudem ein aktiver Beitrag, um das werkstoffliche Recycling voranzutreiben. Lidl und Kaufland haben Fakten geschaffen, während Aldi nicht die volle Kontrolle über die End-to-End-Wertschöpfungskette hat. Aldi Süd und Nord bauen auf eine strategische Kooperation in der Verpa‧ckungs‧lizenzierung und im Stoffstrommanage‧ment mit der „Recycling-Allianz“ in Verbindung mit dem Dualen System Interesroh+. Spannend bleibt die Entwicklung im Markt. Eine Studie des Ifeu-Instituts in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) aus dem aktuellen Sommer möchte die Fortschritte auf Verpackungsseite belegen. „Die Ergebnisse der ökobilanziellen Untersuchung zeigen, dass die mit dem Verpackungsaufkommen verbundenen Treibhausgasemissionen kontinuierlich sinken und bis 2045 eine Reduzierung um 94 Prozent möglich ist. Dies entspricht einer Einsparung von 18.025 kt CO2‐Äquivalenten“, so Benedikt Kauertz, Fachbereichsleiter Industrie und Produkte des Ifeu.

Die Einsparungen gehen laut Ifeu zu 39,3 Prozentpunkten auf Faktoren aus dem Handlungsfeld Verpackungsmarkt und Kreislaufwirtschaft zurück. Dazu gehören beispielsweise leichtere Verpackungen, Mehrwegeinsatz, verpackungssparendes Verhalten beim Konsum, steigender Rezyklateinsatz und nicht zuletzt die stark verbesserte Kreislaufführung von Verpackungen. Die übrigen 54,4 Prozentpunkte stammen aus dem Handlungsfeld Klima‐ und Energiewende sowie Prozessoptimierung.

Die Studie prognostiziert außerdem, dass der Verpackungsverbrauch seinen Peak bereits 2021 erreicht habe und in den kommenden Jahren kontinuierlich rückläufig sein werde. Lag der Verpackungsverbrauch (ohne Holz) 2021 noch bei 16 Millionen Tonnen, sinkt er nach Berechnungen der Studie bis 2030 auf 14 Millionen Tonnen sowie bis 2045 auf 11,7 Millionen Tonnen in Deutschland. „Das entspricht einer Einsparung um 13 Prozent bis 2030 sowie um 27 Prozent bis 2045“, so Kurt Schüler, Geschäftsführender Gesellschafter der GVM.

Die Arbeitsgemeinschaft Verpackung und Umwelt mahnt: Mit der PPWR werde die Entscheidungsfreiheit von Unternehmen etwa durch Mehrwegquoten und Verpackungsverbote eingeschränkt, ohne wissenschaftlichen Nachweis der ökologischen Vorteile. Entscheidungen von dieser Tragweite sollten auf Basis vergleichender Ökobilanzen getroffen werden. Der Vorschlag zum PPWR etabliere zudem eine Reihe neuer Dokumentations- und Überprüfungspflichten für Hersteller und Händler, die in Summe beträchtliche Bürokratiekosten für die Wertschöpfungskette nach sich ziehen würden. Ein steiniger Weg führt in die dekarbonisierte Zukunft. Es bleibt noch viel zu tun.