Süßwaren Gummibär-Poker

Haribo ist aus den Regalen nicht wegzudenken, aber derzeit hakt es auch beim Nachschub. Was ist los beim Marktführer? Die LP hat sich in der Branche umgehört.

Freitag, 06. November 2020, 10:08 Uhr
Andrea Kurtz
Artikelbild Gummibär-Poker
Bildquelle: Amit Lahav, Unsplash

Bei Haribo habe er Sortimentslücken, sagt Edeka-Kaufmann Uwe Dietrich aus Chemnitz mit großem Bedauern. Er sei zwar nicht der Einzige, der damit Probleme habe, beschreibt er und verweist auf Lidl, die den Marktführer bei den Fruchtgummis komplett ausgelistet haben, aber „es werden nur noch die verblieben Artikel geliefert, der Rest fehlt“. Andere Kollegen aus den Reihen der Edeka beschreiben es noch deutlicher: „Genau wie Lidl befinden wir uns mit Haribo im Clinch. Das heißt, es gibt keinerlei Werbung und ein eingeschränktes Lager-Sortiment.“ Besonders bedauerlich für viele: „Darunter sind auch viele Schnelldreher, die nun nicht mehr bestellbar sind.“ Vor allem die großen 200- beziehungsweise 360-Gramm-Beutel fehlen im Regal: klassische Goldbären, die Schlümpfe, die Frösche, Tropifrutti, Color-Rado, aber auch der Maoam-Mix, berichten Händler. Auch Eigenmarken gebe es nur noch teilweise. Ob die auch von Haribo kommen, wird sogar schon spekuliert. Offenbar gibt es bereits einzelne Edekaner, die sich über das Streckengeschäft die fehlenden Artikel besorgen.

Was passiert denn da bei einer der deutschen Markenikonen, die noch dazu in diesem Jahr ihren hundertsten Geburtstag feiert? Gerät das Erbe des langjährigen Firmenpatriarchen Hans Riegel in Gefahr? Die Spekulation darüber war jedenfalls kürzlich selbst dem Magazin „Spiegel“ einen Bericht von zwei Seiten wert.

Hauptproblem: Der Preis
Branchen-Insider unken schon seit geraumer Zeit, dass Markenikone Haribo und das Erbe des Firmenpatriarchen Hans Riegel zunehmend in unruhiges Fahrwasser gerieten. So hatte der Firmenumzug von Bonn nach Grafschaft und die damit verbundene EDV-Umstellung Fehler produziert und die Auslieferung bis weit ins Jahr 2019 hinein behindert.

Doch derzeit hat Haribo in den aktuellen Preisverhandlungen offenbar die Geduld seiner Handelspartner überstrapaziert; hier ist die Rede von harten Gesprächen, die noch keinen Abschluss gefunden hätten. Der Handel reagiert wie gewohnt – und bestellt nicht mehr nach. Das sei inzwischen ein hochpolitisches Thema, ist von einzelnen Kaufleuten zu hören. „Wir haben in diesem Jahr intensive Preisverhandlungen mit dem Einzelhandel geführt“, bestätigt ein Sprecher des Unternehmens Haribo. Die Preise seien über mehrere Jahre nicht angehoben worden, obwohl „zeitgleich die Preise nicht nur für unsere Rohstoffe, sondern zum Beispiel auch für Energie und Löhne kontinuierlich gestiegen sind“, sagt der Sprecher.

Problem: Management
Doch auch ein ständig wechselndes Top-Management gehe zulasten von Kontinuität und klarer Linie, monieren die Marktkenner. Hans Riegel dagegen galt bis zu seinem Tod 2013 als die harte Hand im Unternehmen, die ständig neue Ideen entwickelte und zügig umsetzte. Seinem Neffen und Nachfolger Hans Guido Riegel sei dagegen weniger unternehmerische Fortune, aber auch weniger Durchsetzungsfähigkeit und Innovationsfähigkeit beschieden. Dies scheint aber kein reines Haribo-Problem zu sein, schon beim LP-Roundtable Süßwaren zur diesjährigen ISM im Januar standen die fehlenden Innovationen der großen Markenartikler als Kernaussage im Raum. Große Markenartikler würden stagnieren, kleinere Player dagegen wachsen, haben viele der Branchenexperten beobachtet. Für Daniel Bloch, den Chef des Schweizer Schokoladenunternehmens Camille Bloch, rührt das daher, dass der Kunde bei den Großen zu wenig Grund sieht, einen Markenartikel zu kaufen.

Dem widerspricht das Unternehmen Haribo entschieden. „Jedes Jahr entwickeln wir rund 20 neue Produkte“, entgegnet der Haribo-Sprecher. „Wir treffen seit 100 Jahren den Geschmack der Menschen. Das gelingt uns vor allem deshalb, weil wir global stets die Entwicklung von Geschmacksvorlieben im Blick haben.“

Der Markt wandelt sich
Doch wenn es um das Bedienen der derzeitigen Trends Vegan, Bio, Zuckerreduziert geht, sind andere Player derzeit deutlich sichtbarer als Haribo. Katjes besetzt nicht nur den Bereich Vegan, sondern punktet auch mit nachhaltigen Firmenaktivitäten wie klimaneutraler Produktion. Storck mit den Nimm-2-Lachgummi besetzt den Bereich Zuckerreduktion und Vitaminzusatz, Trolli oder Redband punkten mit kreativeren Produkten für eine jüngere Zielgruppe. Auch viele junge Anbieter wie die veganen Not Guilty oder die in die Richtung Beauty Sweets gehenden Ivy Bears rücken in die Regale vor – ganz zu schweigen von den Eigenmarken des Handels.

Dazu komme, so führt ein Marktexperte aus: „Wuchsen die Babyboomer und die Generation Y mit Haribo auf, sind die nachfolgenden Kinder mit anderen Geschmacksrichtungen und Konsistenzen wie die von veganem Fruchtgummi vertraut.“ So gebe es, ähnlich wie bei der Markenentscheidung zwischen Miele oder Bosch eindeutige Vorlieben. 

Eine zunehmende Nachfrage nach veganen oder Veggie-Produkten bestätigt zwar auch das Haus Haribo, diese werde mit über 40 Produkten schon heute bedient, weitere kämen im nächsten Jahr hinzu. Aber Produkte mit vermeintlich gesundheitlichem Zusatznutzen würden aus Überzeugung nicht angeboten. „Wir glauben an das Bild des mündigen Naschexperten“, so der Haribo-Sprecher. Der Markt differenziere sich immer mehr aus, fasst es der Marktkenner mit Blick auf die Krise des Marktführers zusammen.

Was tun die Kunden?
In erster Linie kaufen sie weiter. Die gesamte Kategorie liegt laut Nielsen mit gut plus drei Prozent im Aufwind. Das ist schon das gesamte Jahr über zu beobachten. „Die Kategorie hat im Auswertungszeitraum ein Plus von 3,61“, bestätigt auch Edekaner Uwe Dietrich. Aber offenbar werden die Kunden schnell untreu, wenn es ihren geliebten Goldbär nicht gibt. „Die Umsatzzahlen zeigen, dass sich ein Teil der Kunden den anderen Marken zuwendet“, beschreibt Dietrich. Gerade beim Storck-Klassiker Lachgummi 250 Gramm habe er ein Plus von 130 Prozent von Angang August bis Mitte Oktober verzeichnen können. Katjes und Trolli lägen auch im Plus, allerdings sei Katjes von jeher in seiner Region Chemnitz (Nielsen 7) nicht so stark. „Aber auch bei den noch verfügbaren Haribo-Artikeln steigen die Umsätze“, berichtet Dietrich. Nicht jeder Haribo-Kunde wechsele also gleich die Marke, sondern kaufe eben die verbleibenden Sorten seiner Stammmarke. Bei anderen Händlern profitiert besonders das holländische Sortiment rund um Red Band und teilweise Storck, aber auch die anderen Anbieter wie Katjes. Grundsätzlich lasse sich der Kunde aber nur schwer von seinem jahrelang heiß geliebten Fruchtgummi-Favoriten weg zu einer anderen Marke bewegen. Und: Bei vielen Rewe-Kaufleuten ist die Haribo-Welt offenbar in Ordnung; von Nachschubproblemen ist bei ihnen nicht die Rede. Rewe-Kauffrau Sonja Lischka aus Landsberg betont allerdings auch, dass sich im Sortiment vorsichtige Änderungen zeigen würden. „Die Sortimente der rein veganen Fruchtgummis sind zwar stark, kommen aber vom Gesamtvolumen her nicht an Haribo heran“, sagt sie.

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