Fleisch HT Mehr Wohl fürs Tier

Verbraucher bevorzugen beim Einkauf Fleisch aus artgerechter Haltung. Die Branche hat reagiert.

Dienstag, 30. November 1999 - Sortimente
Dörte Fleischhauer
Artikelbild Mehr Wohl fürs Tier
Bildquelle: Presseteam Ku00e4mper

Derzeit dreht sich bei den Fleisch- und Geflügelproduzenten sehr viel um das Thema Tierwohl. Es bestimmt immer stärker die öffentliche Diskussion, denn viele Verbraucher wünschen sich geänderte Haltungsbedingungen für Nutztiere.

Westfleisch hat schon vor einem Jahr die „Aktion Tierwohl“ ins Leben gerufen: Die beteiligten Betriebe verbessern messbar das Wohlergehen der Tiere gegenüber aktuell geltenden gesetzlichen Standards. Basis sind die „Five Freedoms“ des „Farm Animal Welfare Councils”. Westfleisch verzichtet auf die Kastration männlicher Ferkel, setzt auf tierärztliche Gesundheitspläne, ermittelt einen Gesundheitsindex wie auch ein Haltungsprofil und hat eine technisch überwachte Betäubung der Tiere entwickelt. Seit vier Monaten gibt es 17 „Tierwohl“-SB-Artikel bei Wurst und Fleischwaren in inzwischen bundesweit 2.000 Märkten. Anlässlich der Anuga zog die Genossenschaft aus Münster eine erste Bilanz: Die Verkaufszahlen sind gut, das Sortiment ist beim „Taste 11“- Innovationswettbewerb Sieger seiner Sparte geworden. „Es war richtig, ein neues Segment zwischen QS und Bio zu eröffnen, das für Verbraucher konzeptionell überzeugend und preislich akzeptabel ist“, sagt Vorstandssprecher Dr. Helfried Giesen. „Aktion Tierwohl“ sei derzeit das einzige deutsche Label für nachweisbar verbesserte Haltungsbedingungen von Tieren, das vom Handel geordert werden könne, so Giesen weiter.

Gold- und Silberstandards
Auch Vion arbeitet in den drei Heimatmärkten Deutschland, Niederlande und Großbritannien an der Verbesserung des Tierwohls in den Ketten, in denen das Unternehmen aktiv ist – und positionierte sich entsprechend auf der Anuga. „Good Farming“ heißt ein Konzept, das in den Niederlanden in Zusammenarbeit von Schweinemästern, der niederländischen Tierschutzorganisation „Dierenbescherming“, der Handelskette Albert Heijn und Vion entwickelt wurde. In Deutschland kooperiert man für das Vion-Tierwohllabel zudem mit Coop Kiel und dem Deutschen Tierschutzbund. Dieser wird das Label, das einen Goldstandard und einen Silberstandard vorsieht, auf den Markt bringen. Silberstandard beim Schwein bedeutet, dass konventionelle Mastbetriebe in das Programm einsteigen können, sofern die Tiere mehr Platz zur Verfügung haben, die Funktionsbereiche Liegen, Koten und Fressen sichtbar getrennt sind und die Tiere Beschäftigungsmöglichkeiten mit Stroh haben. Die Schweine dürfen entweder gar nicht mehr kastriert werden oder nur mit Betäubung. Beim Goldstandard haben die Schweine zusätzlichen Außenauslauf und Stroheinstreu.

In zeitlicher Nähe zur Anuga stellte Wiesenhof ein alternatives Geflügel-Aufzuchtkonzept vor. „Privathof-Geflügel“ heißen die Hähnchen, die es seit Anfang Oktober bei Netto gibt. Das Konzept hat Wiesenhof gemeinsam mit dem Institut für Tierschutz, Tierhaltung und Tierhygiene der Tiermedizinischen Fakultät der Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU) München und im Austausch mit Experten des Deutschen Tierschutzbundes entwickelt. Die wichtigsten Eckdaten: eine langsamer wachsende Rasse (Sasso), eine längere Aufzuchtdauer (mindestens 40 Tage Leben statt 30 wie bei konventioneller Aufzucht), geringere Besatzdichte (15 Tiere pro qm), Auslauf in einem überdachten Wintergarten. Strohballen, Picksteine und Sitzstangen im Stall sollen dazu beitragen, dass die Tiere ihre natürlichen Verhaltensweisen besser ausüben können. Die Hähnchen nehmen pro Tag maximal 45 g zu, darüber hinaus gelten besondere Vorschriften bei der Transportdauer.

Wissenschaftlich begleitet wird das Konzept von Prof. Michael Erhard, Leiter des Lehrstuhls für Tierschutz, Verhaltenskunde, Tierhygiene und Tierhaltung an der Ludwigs-Maximilians-Universität. Eine auf ein Jahr angelegte Studie soll konventionelle Haltung und Aufzucht nach Privathof-Kriterien vergleichen. Nach Abschluss der Forschungsarbeit sollen valide Ergebnisse vorliegen, die zeigen, welche Maßnahmen maßgeblich zu einer Verbesserung des Tierwohls bei Hähnchen beitragen. „Tierwohl ist schwierig zu untersuchen, da wir die Tiere nicht befragen können“, so der Tierverhaltensforscher. „Deshalb müssen wir auf Parameter ausweichen, die uns Aufschluss über das Befinden der Tiere geben können. Einer dieser Parameter ist das Verhalten.“ Hier prüfe man, was die Tiere im Stall machen, was sie dort bevorzugen und wie sich ihr Verhalten ändert, wenn sich bestimmte Dinge ändern. Ein weiterer Parameter sei Tiergesundheit. „Wenn ein Tier gesund ist, kann ma n davon ausgehen, dass es sich in der Regel auch wohlfühlt. Die Gesundheit spielt also eine wesentliche Rolle, wenn wir Tierwohl bewerten.“

Die Plukon Food Group stellte ihr Konzept „Fairmast“ dem deutschen Markt auf der Anuga vor. Die Kriterien für das seit mehr als drei Jahren in den Niederlanden bereits erfolgreich laufende Konzept wurden in Zusammenarbeit mit der Tierschutzorganisation „Dierenbescherming“ entwickelt. Es entspricht mit seinen Aufzuchtskriterien der EU-Richtlinie 543/2008 und den dort genannten Bestimmungen für extensive Bodenhaltung. Das Tierschutzsiegel „Beter Leven“ basiert auf einem Sterne-System. Ein Stern bedeutet, dass ein wichtiger erster Schritt im Bereich der Tierhaltung unternommen wurde. Zwei Sterne stehen für eine große Verbesserung innerhalb der Tieraufzucht. Drei Sterne bescheinigen eine tierfreundliche Aufzucht, die durchaus gleichwertig zu biologischer Tierhaltung ist und dass die Vorgaben in den Bereichen Aufzucht, Mast, Transport und Schlachtung eingehalten werden. Diese werden genau kontrolliert: zum einen durch strenge Eigenkontrollen innerhalb der Unternehmensgruppe, zum anderen durch Vertreter der Tierschutzorganisation. Gezüchtet wird ebenfalls eine langsam wachsende und sehr widerstandsfähige Hähnchenrasse (Hubbard). Die Tiere leben länger, mindestens 56 Tage, in weiträumigen Ställen mit Tageslicht, ausgedehnten überdachten Auslaufmöglichkeiten und einem natürlichen Tag-und-Nacht-Rhythmus. Auf 1 qm leben durchschnittlich 12 Tiere. Die Tiere können wie in der Natur picken und scharren. Strohballen sorgen für eine natürliche Strukturierung der Ställe und bieten den Tieren erhöhte Ruheflächen. Sie bekommen per Hand eingestreutes Futter mit einem Anteil von mehr als 70 Prozent Getreide. Fairmast-Hähnchen wird es ab November in den Globus-Warenhäusern geben. Die Hähnchen kosten – wie auch die Privathof-Hähnchen – im LEH 30 Prozent mehr als konventionell produziertes Geflügel: Der Kilopreis liegt bei 4,99 bis 5,99 Euro.?

{tab=Bildquelle}
Kämper, Westfleisch

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Viele Verbraucher wünschen artgerechte Tierhaltung.
Bild öffnen

Neue Produkte

Viel gelesen in Hersteller

HIT Produkte 2023

Im Gespräch - Hersteller