Ob Hagel, Starkregen, Hitzeperioden oder andere extreme Wetterereignisse, der Klimawandel und seine Folgen fordern zum Umdenken auf, auch in der Landwirtschaft. Schließlich sollen bis zum Jahr 2030 in Deutschland 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Energien wie Sonnenenergie, Windenergie, Biomasse, Wasserkraft oder Geothermie gedeckt werden. Im vergangenen Jahr betrug dieser Anteil 46 Prozent. Es gibt also noch viel zu tun.
Agri-PV als Forschungsprojekt
Dazu kann eine recht neue Solartechnologieanwendung einen Beitrag leisten: die Agri-Fotovoltaik (Agri-PV). Das Besondere an einer Agri-PV-Anlage ist, dass man die Fläche doppelt nutzen kann: für die landwirtschaftliche Produktion und die Solarstromproduktion. Dadurch entsteht im Gegensatz zur PV auf Freiflächen keine Flächenkonkurrenz um wertvolle Böden.
Nun untersucht das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme ISE im Rahmen des Forschungsprojekts APV Obstbau (bis 2025) den Einsatz von Agri-PV auf Apfelplantagen. Hier kommen hoch aufgeständerte Anlagen auf Stahlträgern zum Einsatz, damit die Bäume, Traktoren und Landmaschinen unter den Solarmodulen Platz haben. Die Module einer hoch aufgeständerten Anlage enthalten allerdings weniger Solarzellen, damit sie genug Licht für das Pflanzenwachstum hindurchlassen. Die Lichtdurchlässigkeit liegt je nach Technologie zwischen 40 und 54 Prozent. Diese Solarmodule eignen sich deshalb für Kulturen, die mit weniger Sonnenlicht auskommen, wie Spalierobst oder Beeren. „Wir testen, welche Anlagentechnologie für diese Kultur sinnvoll ist und wie sie sich auf die Ernteerträge und Wirtschaftlichkeit auswirkt“, sagt Projektleiter Andreas Steinhüser vom Fraunhofer ISE.
Vorteile für den Obstbau
Eine Agri-PV-Anlage im Obstbau kann zum Beispiel vor Hagel, Starkregen, Frost und zu intensiver Sonneneinstrahlung schützen und somit Hagelschutznetze und -folien ersetzen. Während man Hagelschutznetze alle acht bis zehn Jahre austauschen muss, haben Agri-PV-Module eine Garantie von 20 Jahren, ihre Lebensdauer schätzen Wissenschaftler auf 25 bis 30 Jahre. Durch die Verschattung verdunsten die Böden und Bäume weniger Wasser, sodass der Wasserbedarf geringer ist. Und wenn die Blätter und Früchte nach Regenfällen durch die Module weitgehend trocken bleiben, ist die Gefahr von Pilzkrankheiten geringer. Somit sind auch weniger Pflanzenschutzmittel erforderlich.
der deutschen Agrarflächen würden ausreichen, um mit hoch aufgeständerter Agri-PV bilanziell den Strombedarf in Deutschland zu decken.
Quelle: Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme ISE
Agri-PV im Einsatz
Ein Projektbetrieb ist der Bio-Obsthof Nachtwey in Gelsdorf im Kreis Ahrweiler. Hier wurde die Agri-PV-Anlage im Sommer 2021 über einer zeitgleich neu gepflanzten 3.300 Quadratmeter großen Apfelplantage installiert. Getestet werden hier jeweils acht Apfelsorten unter Solarmodulen unterschiedlicher Typen. Zum Vergleich wurden dieselben Sorten unter klassischen Hagelschutznetzen gepflanzt. Die Agri-PV-Anlage hat eine Nennleistung von 258 Kilowattpeak (kWp), die Module können pro Jahr bis zu 276 Megawattstunden (MWh) erzeugen. Damit könnten theoretisch bis zu 50 Einfamilienhäuser im Jahr mit Strom versorgt werden.
Der Obsthof Nachtwey möchte einen Teil des Solarstroms selbst nutzen, wie für den projektseitigen E-Traktor und eine elektrisch betriebene Wasserpumpe zur Bewässerung. Doch leider konnte die PV-Anlage bisher nicht an das Stromnetz angeschlossen werden, weil durch Lieferschwierigkeiten die Trafostation noch nicht gesetzt werden konnte.
Ortswechsel: In Kressbronn am Bodensee hat der Obsthof Bernhard eine Agri-PV-Anlage über eine bestehende Apfelplantage gebaut, die ebenfalls vom Fraunhofer ISE wissenschaftlich begleitet wird. Sie ging im Mai 2022 ans Netz. Hubert Bernhard ist begeistert von dem Projekt.
„Für eine seriöse Bewertung der Agri-PV-Anlage müssen wir zumindest die kommende Ernte noch abwarten. Die ersten Ergebnisse deuten aber darauf hin, dass die Äpfel unter der Agri-PV-Anlage keine Nachteile hinsichtlich Ertrag oder Qualität mit sich bringen“, ist Andreas Steinhüser froh.
Welche Erfahrungen Hubert Bernhard mit der Agri-PV-Anlage bisher gemacht hat lesen Sie hier: