Der Standort Gotha in Thüringen hat für den Brauer Oettinger eine besondere Bedeutung. Vor 30 Jahren haben die Bayern die VEB-Brauerei übernommen und zu einem wichtigen Logistik-Drehkreuz ausgebaut. Von hier aus beliefert eine Flotte von 26 Lkw weite Teile Deutschlands, und das besonders kostengünstig vermarktete Bier wird sogar bis nach Japan verschickt. Doch die Tage des Betriebs, auf den man einst so stolz war und der sogar während der Corona-Pandemie mit einer digitalen Jubiläumsfeier gewürdigt wurde, sind zumindest als Produktionsbetrieb gezählt. Bis zum Jahresende wird Oettinger Herstellung, Abfüllung und Logistik in Thüringen schließen. „Der Bierabsatz in Deutschland insgesamt und damit auch der Absatz unserer Marke Original Oettinger ist in den vergangenen Jahren leider kontinuierlich gesunken, wodurch unsere Mehrweganlagen nicht mehr ausgelastet sind“, erklärt Pia Kollmar, Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Oettinger Brauerei, gegenüber der Lebensmittel Praxis. Ganz verabschieden wird man sich aus Thüringen aber nicht: In Gotha bleiben die Geschäftseinheiten Vertrieb, Export und Produktmanagement.
Nicht nur an diesem Standort sind die Auswirkungen sinkender Absätze und explodierender Kosten zu beobachten. Auch im nordrhein-westfälischen Mönchengladbach wird es Veränderungen geben: Eine Mehrweganlage soll stillgelegt und Kapazitäten für Dosenbier ausgebaut werden. „Wir beenden zum Ende des ersten Quartals 2023 die Produktion von Glas-Einweg und legen eine Mehrweganlage in Mönchengladbach still“, so Kollmar. Bemerkenswert ist dieser Schritt, da Oettinger im Zuge des Dosenpfandes 2003 gerade im für die Kunden günstigeren Flaschensegment Aufwind bekommen hatte. Oettinger werde aber weiter in Flaschen abfüllen. Auch die Dosenkapazität werde sich nach der Umstrukturierung nicht erhöhen, sondern gleich bleiben. „Hierzu kursierten leider Aussagen, die schlichtweg nicht stimmten“, stellt die Geschäftsführerin klar.
Ohne Werbung an die Spitze
Die Brauerei aus der schwäbischen Kleinstadt Oettingen (gegründet 1731) hat vor allem seit der Wende eine beeindruckende Erfolgsstory geschrieben. Ohne große Werbe-investitionen und Marketing hat sich das Unternehmen zu den größten Braugruppen Deutschlands entwickelt. Die Hauptmarke ist ganz ohne Fernsehwerbung sogar immer mal wieder an allen nationalen Pilsmarken vorbeigezogen und belegte in der Absatzstatistik den ersten Platz. Sparfüchse konnten sich im Lebensmitteleinzelhandel auf Aktionen von unter 5 Euro je Kasten freuen. Das, worüber andere Brau-Manager entrüstet den Kopf schütteln, ist der Markenkern von Oettinger. Der Grund, warum das Bier so günstig angeboten werden kann, soll aber nicht in der Art der Produktion liegen. „An Produktion und Mitarbeitern wird nicht gespart“, so das Credo der Schwaben. Vielmehr sei eben der Verzicht auf sündhaft hohe Marketing-Etats, das Nein zur teuren Gastro-Vermarktung und ein Logistiknetz ohne Zwischenhändler der Grund für die günstigen Preise.
Eine Brauerei, deren Geschäftsmodell aber auf Kante genäht ist, treffen steigende Rohstoff- und Energiekosten sowie ein rückläufiger Absatz härter als die Konkurrenz. Und wenn der Preis der Markenkern ist, hat man hier in der Regel weniger Spielraum als Krombacher, Veltins und Co. Die letzte Preiserhöhung im Jahr 2018, so heißt es aus Branchenkreisen, soll jedenfalls kurzzeitig große Löcher in die Absatzstatistik von Oettinger gerissen haben. Doch ein weiteres Drehen an der Preisschraube ist unumgänglich: „Auf Handelsseite ist man sich durchaus bewusst, dass nicht nur bei Oettinger oder anderen Brauern mit weiteren und zwar drastischen Preissteigerungen zu rechnen sein wird“, so die klare Aussage von Kollmar.
Der Biermarkt bleibt angespannt
Die deutschen Brauereien stehen schon seit Jahren unter Druck und finden keinen Weg aus der Krise. 2021 wurden laut Statistischem Bundesamt hierzulande 8,5 Milliarden Liter gebraut und verkauft. Ein Rückgang von 2,2 Prozent und die geringste Menge seit Einführung der Statistik. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist der Biermarkt demnach um fast ein Viertel seiner ursprünglichen Größe geschrumpft. Nannten Branchenexperten Anfang 2022 den Export in Zeiten der Corona-Pandemie und geschlossenen Restaurants und Biergärten noch als einzigen Hoffnungsschimmer, ist mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges für viele Brauer auch auf dieses Standbein kein Verlass mehr. Hinzu kommen kaum kalkulierbare Rohstoffpreise und ein drohender Gasengpass.
Oettinger will trotzdem sein Geschäftsmodell nicht ändern: Sowohl Eigen-, Handels- als auch Vertriebsmarken und Export stellen wichtige Säulen dar und verfügen laut Kollmar über genug Potenzial.
„Unser Geschäftsmodell bleibt und ist gerade in diesen für Verbraucher wirtschaftlich schwierigen Zeiten unsere Richtschnur: günstige Getränke in gewohnt bester Qualität“, so Kollmar. Auch die eigene Flotte steht nicht zur Disposition, auch wenn es in den Postleitzahlengebieten 0, 1 und 2 „Optimierungen“ geben soll. „Eine erfolgreiche Zukunft werden wir nur gestalten können, wenn wir uns jetzt gemeinsam auf unsere Stärken konzentrieren“, sagt Pia Kollmar.
Günstiges Bier mit langer Tradition
Nach dem Tod ihres Bruders Dirk (2014) und Streitigkeiten über Unternehmensanteile in der Familie ist Pia Kollmar heute als Gesellschafterin und Geschäftsführerin die starke Frau in Oettingen.
Die Wurzeln der Brauerei reichen bis in das Jahr 1731.
Sie führt heute, gemessen am Ausstoß, eine der größten Biermarken Deutschlands und ist weltweit unter den Top 30.
Jährlich werden rund 8 Millionen Hektoliter Bier, Biermischgetränke und Erfrischungsgetränke in rund 2 Milliarden Flaschen und Dosen abgefüllt.
Über 1.000 Beschäftigte arbeiten an den vier Brauereistandorten Oettingen, Gotha, Mönchengladbach und Braunschweig sowie im Auslieferungslager Walldorf.