Vegan und vegetarisch Ziel: Gleichwertigkeit

Das vegetarisch-vegane Sortiment lässt die Kassen im Handel klingeln. Nicht nur klassische Fleisch-Hersteller, auch immer mehr Molkereien steigen in den Markt ein. Welche Aspekte sollten in der Produktentwicklung und Kommunikation größeres Gewicht erhalten? Und welche Rolle spielen die Preise? Wir haben nachgefragt.

Dienstag, 06. Juli 2021 - Sortimente
Bettina Röttig
Artikelbild Ziel: Gleichwertigkeit
Bildquelle: Juicy Marbles

Für deutsche Zungen ist er eine sprachliche, vielleicht auch manchmal geschmackliche Herausforderung, Handel und Herstellern beschert er einen zunehmend guten wirtschaftlichen Start ins Jahr: der Veganuary – der vegane Januar. In mehr als 200 Ländern motiviert die Bewegung Menschen dazu, eine pflanzliche Ernährung zu testen. Auch hierzulande nutzten 2021 mehr Unternehmen denn je den Anlass für Veggie-Aktionen.

Gewonnen werden sollen mit der Bewegung vor allem Flexitarier. Zu der Zielgruppe gehören laut einer aktuellen Umfrage der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn im Auftrag der Lebensmittel Praxis mittlerweile rund 41 Prozent der Bundesbürger. 11 Prozent der Befragten bezeichnen sich als Vegetarier, 13 Prozent als Veganer und 5 Prozent ernähren sich pescetarisch (Fisch ist erlaubt). Nur 24 Prozent der befragten Omnivoren lehnen es ab, Alternativprodukte zu probieren. Attraktiver würde die Umstellung durch einen authentischen Geschmack, größere Auswahl und einen niedrigeren Preis.

Das Ergebnis deckt sich mit Analysen der Boston Consulting Group und der Blue Horizon Corporation. Der Schlüssel zur Akzeptanz von Alternativprodukten beim Verbraucher liege in der Gleichwertigkeit in den drei Parametern Geschmack, Textur, Preis, so eine Schlüsselerkenntnis der Analyse „Food for Thought: The Protein Transformation“. Die Gleichwertigkeit werde vermutlich für pflanzliche Alternativen und Ei-Ersatzprodukte im Jahr 2023 der Fall sein, prognostizieren die Strategieberater. „Wir erwarten, dass dies die Wachstumswelle auslöst, welche den heute noch recht jungen Markt in den Mainstream katapultiert und erhebliche Umweltvorteile mit sich bringt“, sagt Benjamin Morach, BCG-Partner und Co-Autor der Studie. Die Zahlen stimmen positiv: Der Markt für Ersatzprodukte zu tierischen Lebensmitteln wird bis 2035 aller Voraussicht nach von etwa 40 Milliarden heute auf 290 Milliarden US-Dollar anwachsen.

Wer zu denjenigen gehört, die einen vegetarischen oder veganen Lebensstil schon übernommen haben, bevor er „trendy“ wurde, kann bezeugen: Bei Geschmack und Textur der Ersatzprodukte hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel getan. Und es wird weiter intensiv „getüftelt“.

So hat sich Impossible Foods das Ziel gesetzt, einen pflanzlichen Milchersatz für echte Milchliebhaber auf den Markt zu bringen. Alpro will diesem Ziel für den deutschen Markt schon einen großen Schritt näher sein. Mit den neuen Not MLK Drinks Pflanzlich auf Hafer-Basis mit Erbsenprotein habe man ein Produktkonzept geschaffen, das jeden erdenklichen Milchmoment abbilde, so der Spezialist. Angesprochen sind Milchtrinker, die aus ethischen und ökologischen Gründen öfter auf tierische Produkte verzichten möchten. Not MLK Pflanzlich (in den Fettstufen 1,8 und 3,5 Prozent erhältlich) kann genau wie Milch verwendet werden – ob pur, mit Müsli, im Kaffee oder zum Backen und Kochen.

„Ein Großteil der veganen Produkte gilt als verarbeitet und wird mit 19 Prozent besteuert.
Das hat Auswirkungen auf den Preis.“

Jan Bredack, Veganz Group AG

Die Veganz Group AG arbeitet in der eigenen Produktionsstätte an der Entwicklung einer veganen Alternative zu Blauschimmel-Käse. „Auch eine Feta-Alternative sowie eine vegane Mozzarella-Alternative sind in Planung“, so Gründer Jan Bredack.

Standen im Bereich der Fleisch-Alternativen vor allem Burger-Pattys, Würstchen und Schnitzel Modell für vegetarische und vegane Produkte, stehen nun auch zunehmend pflanzliche Pendants zu Fisch und Fleischzuschnitten im Fokus der Produktentwicklung.

Die Latte ganz hoch gelegt hat ein Start-up aus Slowenien. Für ein A5-Filet-mignon vom Wagyu-Rind, ein Luxus-Steak der höchsten japanischen Qualitäts- und Marmorierungsstufe, zahlen Gourmets gerne 100 Euro aufwärts. Der Superlativ des Fleischgenusses bekommt nun Konkurrenz aus dem veganen Segment. Qualitativ und preislich. Das pflanzliche „Filet mignon“ von Juicy Marbles soll im Vergleich zum Original einen länger anhaltenden Geschmack sowie Verbesserungen hinsichtlich Saftigkeitserhaltung, Krustenbildung und Nährwertprofil mitbringen. So wurde der eigene Online-Shop in den ersten Testwochen geradezu überrannt, trotz eines Startpreises von rund 80 Euro für zwei Steaks.

Den drei Gründern war schnell klar: Um Verbraucher zu überzeugen, auf pflanzliche Produkte umzusteigen, muss die Branche mehr bieten als Burger und Würstchen. Für ihr erstes marktreifes Steak verwenden die Slowenen Soja- und Weizenprotein, Sonnenblumenöl, Rote-Bete-Saft und natürliche Aromen. Um die Textur der Muskeln und die intramuskuläre Fettstruktur – die Marmorierung – nachzuahmen, nutzten die Slowenen eine zum Patent angemeldete Anlage. In einem physischen Prozess werden Schichten von Sojaprotein übereinandergelegt und lineare Fasern gebildet.

Ende des Jahres soll die Marke in Europa und den USA in den stationären Handel kommen. Der Preis wird dann bei 7 bis 8 Euro pro Steak liegen und weiter sinken. Ziel sei es, pflanzliches Premium-Fleisch günstiger anzubieten als tierisches, erklärt Vladimir Mićković, Chief Brand Officer Juicy Marbles.

Die Preisfrage ist ein Knackpunkt für das Veggie-Sortiment, wie Analysen zeigen. Konsumenten, die aus Gesundheits-, Klimaschutz- oder Tierwohl-Gründen auf „echte“ Schnitzel, Milch oder Fischprodukte verzichten und zumindest ab und zu auf Alternativen zurückgreifen, müssen heute oft tiefer in die Tasche greifen.

Die Preisfrage
An der Preisschraube drehen im Ausland schon mehrere Akteure. UK-Händler Co-op hat seit Mai 2021 die Preise seiner Fleischalternativen unter der Eigenmarke GRO im Schnitt halbiert, um die Lücke zu schließen und Kaufhürden abzubauen. Beyond Meat hat sich langfristig das Ziel gesetzt, seine Produkte zu vergleichbaren Preisen anzubieten wie tierisches Protein. Impossible Foods gibt den Preisvorteil der größeren Skalierung weiter, 2021: Preise im Retail um 20 Prozent gesenkt. In Deutschland zahlen Verbraucher aktuell häufig 2,50 Euro pro Liter Milchalternative, der Liter Kuhmilch ist schon ab 0,89 Euro erhältlich. Zwei pflanzliche Burger-Pattys für rund 3,50 Euro, zwei vegane Bio-Käsewürstchen für 4,79 Euro. Wie viel Luft nach unten ist drin?

„Im veganen und vegetarischen Segment gibt es mittlerweile ausreichenden und zunehmenden Wettbewerb, da sind die Spielräume eng, und der Verbraucher muss auch nicht mehr tief in die Tasche greifen“, meint Dr. Ingo Stryck, Leiter Marketing der PHW-Gruppe. Auch scheinen bei den Zuwachsraten in diesem Segment Preise als Kaufhürde nicht das vordringlichste Argument zu sein. „Mit unseren Green-Legend-Produkten haben wir von Anfang an keine Hochpreispolitik verfolgt, können aber durch unsere Zutatenauswahl auch nicht der günstigste Anbieter sein.“ In den Produkten verzichtet der Hersteller unter anderem auf tierisches Hühnerei-Eiweiß und das Allergen Soja. „Stattdessen setzen wir auf traditionelle Ackerfrüchte, die jeder Verbraucher aus der Heimat kennt: Erbsen, Ackerbohnen, Mais, Weizen und Rapsöl. Und wir verzichten auf Geschmacksverstärker, Palmfett und Kokosöl.“ Kriterien, die den Verbrauchern wichtig sind, bestätigte eine eigene Studie dem Unternehmen. „Das Feedback des Handels und der Kunden ist durchweg positiv. Das belegt auch unser aktueller Erfolg bei der repräsentativen Händlerbefragung HIT 2021“, so Stryck.

Auf die hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung weist Nestlé hin. „Nestlé investiert zum Beispiel weltweit 1,7 Milliarden Schweizer Franken in Forschung und Entwicklung“, heißt es aus dem Unternehmen. 3.900 Mitarbeiter sind in diesem Bereich tätig. 10 Prozent davon beschäftigen sich ausschließlich mit der Entwicklung pflanzlicher Produkte. „Wir erwarten, dass der Veggie-Markt in den nächsten Jahren weiterwächst. Damit gehen auch ein breites Produktspektrum wie bei klassischen tierischen Angeboten und die Standardisierung der Produktionsprozesse einher“, so eine Sprecherin. Das könnte zu einer Konsolidierung der Preise führen.

Und bei Alternativen zu Molkereiprodukten? Über niedrige Milchpreise wird häufig diskutiert. Nun steigen mehr und mehr Molkereien in das Geschäft mit den im Vergleich hochpreisigen Alternativen ein. Inwiefern profitieren auch die Milchlieferanten von der Strategie? Und wie werden sich hier die Preise entwickeln?

Problem: Ungleiche Besteuerung
Neu eingestiegen in das Segment ist die Marke Bresso (Savencia). „Bresso 100% Pflanzlich“ auf Mandelbasis und mit Kräutern der Provence liegt preislich leicht über der Kern-Range. „Wir möchten preislich attraktiv sein und eine breite Zielgruppe ansprechen“, sagt Maren Huth, Marketing Director Savencia. Mit wachsendem Konsum und ansteigendem Wettbewerb werde es auch zu Beschaffungs- und Kostenoptimierungen kommen, sodass perspektivisch eine Änderung des Preisgefüges wahrscheinlich sei, meint die Ma-​nagerin. Es gebe schon heute Unterschiede je nach Basis. Unter der Marke sind bereits für das erste Halbjahr 2022 weitere Produkte in Planung.

„Wir sind der Meinung, dass wir sowohl gesellschaftlich als auch politisch einen anderen Blick auf die Preisgestaltung von tierischen Produkten bekommen müssen – denn generell herrscht hier in der Regel keine Kostenwahrheit“, kommentiert Tobias Goj, General Manager DACH bei Oatly. Für das Unternehmen stelle sich die Frage: Warum wird Kuhmilch eigentlich so günstig verkauft? Der Milchpreis in Deutschland sei viel zu niedrig und decke bei Weitem nicht die Produktionskosten, was den meisten Konsumenten nicht bewusst sei. Hinzu kämen die unterschiedlichen Steuersätze für Milch (7 Prozent) und pflanzliche Alternativen (19 Prozent). „Aus diesem Grund ist eine Vergleichbarkeit des Pricings im Prinzip nicht möglich, weil die Ausgangsbedingungen komplett unterschiedlich sind“, so Goj.

Die Problematik gelte nicht nur für pflanzliche Varianten von Molkereiprodukten, erklärt Veganz-Chef Jan Bredack: „Bisher ist es so, dass der Großteil der veganen Produkte als verarbeitet gilt und daher mit 19 Prozent Mehrwertsteuer besteuert wird. Auch das hat Auswirkungen auf den Endpreis veganer Lebensmittel.“ Hier sieht das Unternehmen Handlungsbedarf. Es sei nur schwer zu vermitteln, dass rein pflanzliche Alternativen besser für unser Klima seien, tierische Produkte aber immer noch staatlich subventioniert würden und damit günstiger im Handel angeboten werden können.

Die Molkerei Rücker setzt auf eigenständige Produkte, die nicht im Vergleich und damit im Preiswettbewerb mit tierischen Produkten der Marke stehen. Insa Rücker, Leitung Rücker Marketing und Unternehmenskommunikation: „Unsere Rücker-Vega-Lecker-Produkte sind keine Alternativprodukte.“ Es handelt sich um eigenständige, innovative Lebensmittel mit dem hochwertigsten pflanzlichen Protein, das momentan aus heimischen Rohstoffen verfügbar ist: pflanzliches Protein aus Hanf und Erbsen. Seit 130 Jahren pflegt das Unternehmen enge Beziehungen zu den Küstenbauern und unterstützt die regionale Wertschöpfung. „Deshalb werden wir künftig von ihnen nicht nur die Küstenbauernmilch für unseren Käse, sondern auch die Pflanzenrohstoffe für unsere veganen Produkte erhalten“, so Rücker. Dies sei ein echter Mehrwert für Landwirte und Verbraucher, die sich vegane Produkte aus heimischen Rohstoffen wünschten. „Weltweit steigen momentan die Preise für alle Rohstoffe. Nehmen wir die gesellschaftlichen Anforderungen an die hiesige Landwirtschaft hinzu, gilt es mehr denn je, für Qualität angemessene Preise zu erzielen. Egal, aus welchem Rohstoff das Lebensmittel ist“, fügt die Managerin hinzu.

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