Andechser Molkerei Scheitz Klimaschonend Milch erzeugen – funktioniert

Wenn es um den ökologischen Fußabdruck geht, hat Milch einen schlechten Ruf. Die Andechser Molkerei Scheitz zeigt nun mit der Initiative „Klimabauer“, wie es Landwirte und Wissenschaftler Hand in Hand schaffen, dass es auch anders gehen kann.

Montag, 04. Oktober 2021 - Molkereiprodukte
Dr. Friederike Stahmann
Artikelbild Klimaschonend Milch erzeugen – funktioniert
Bildquelle: Getty Images

Biomilchstraße 1 – welch klangvolle und sinnstiftende Anschrift für eine Molkerei. Unter dieser Adresse am bayerischen Ammersee dreht sich alles um Milch. Milchsammelwagen mit Rohmilch kommen hier an, Lkw mit Sahne, Joghurt, Milch und Butter rollen vom Hof. Mehr noch: Hier dreht sich alles um Milch aus ökologischer Erzeugung. Was anderes kommt in der Andechser Molkerei Scheitz gar nicht in die Tüte oder in den Becher. Seit Kurzem das möglichst auch noch klimaschonend. Und zwar nicht wie in der Wirtschaft inzwischen oft üblich mit kleinen Produktionsverbesserungen oder auch durch den „Freikauf“ mithilfe von CO2-Zertifikaten, sondern mit einem konkreten, regionalen Klimaschutzprogramm, dem „Klimabauern“.

Ein Projekt, das es so noch nicht gab. „Wir sind zuversichtlich, dass wir mit der Initiative ‚Klimabauer‘ ein Modellprojekt mit Impulscharakter entwickelt haben“, erklärt Geschäftsführerin Barbara Scheitz. Es wäre nicht das erste Mal, dass die mittelständische Molkerei aus der Nähe des Ammersees Akzente setzt und Diskussionen anstößt. Denn schon 2019 erhielt sie den Umwelt- und Nachhaltigkeitspreis „B.A.U.M.“, unter anderem für professionelle Markenführung und stabile Markenstärke im Nachhaltigkeitsbereich sowie für kreative Ansätze der Kommunikation. Dazu gehört beispielsweise eine Produkt-Rückverfolgbarkeit. Konsumenten können mithilfe des Mindesthaltbarkeitsdatums auf der Website nachvollziehen, aus welcher Region und stellvertretend von welchem Bio-Bauernhof die Milch des Produktes stammt.
Bei Familie Scheitz, Inhaber der Andechser Molkerei, scheinen Mut und Pioniergeist in der DNA verankert. 1908 gegründet, hat sich die Andechser Molkerei zur größten reinen Bio-Molkerei Europas entwickelt (Umsatz 2020: rund 190 Millionen Euro). Innerhalb von nur drei Generationen.

Zur Leidenschaft für Milch kam über die Jahre auch die zur ökologischen Erzeugung. So verwundert es nicht, dass die Scheitzens Bio-Pioniere fast der ersten Stunde sind.
„Vorausschauendes Denken, vorsorgliches Handeln gehören zu unserem Grundverständnis“, bringt es Geschäftsführerin Barbara Scheitz auf den Punkt. Die Andechser sind also echte Überzeugungstäter. Keine, die auf einen Hype aufspringen oder sich mit einer Produktionslinie profilieren wollen. Ganz im Gegenteil: Schon seit den 1980er-Jahren verarbeitet man Milch aus ökologischer Landwirtschaft. Ab der Jahrtausendwende überzeugte man sukzessive die Andechser Milchbauern, die noch konventionell wirtschafteten, von einer Umstellung auf Bio. 2009 konnte die Produktion des Sortiments dann ganz auf Bioqualität umstellt werden. Heute werden jährlich rund 130 Millionen Kilogramm Kuhmilch und 10,5 Millionen Kilogramm Ziegenmilch der Bioverbände Bioland, Naturland, Biokreis und Demeter in der Biomilchstraße 1 verarbeitet. Die stammen von rund 27.000 Kühen, die von 560 Bauern gehalten werden, sowie von 14.500 Ziegen von 103 Besitzern. Mit 35.000 Hektar entspricht die von den Landwirten ökologisch bewirtschaftete Gesamtfläche rund 15 Prozent der gesamten ökologisch bewirtschafteten Fläche in Bayern.

Handeln vor Ort
Wer auf so viel Milch, Wiederkäuer, Landwirte und Fläche setzt, weiß, wie bedeutend die Natur als Basis dafür ist. „Wenn wir in der Bio-Landwirtschaft nicht radikal damit anfangen, die Grundlagen unserer Natur, unserer Existenz und die Ernährungsgrundlage unserer Gesellschaft aktiv zu schützen und zu verteidigen, dann dürften wir mit als erste Branche in nächster Zukunft große Probleme bekommen“, ist sich Scheitz bewusst. Seit vielen Jahren liegen wissenschaftliche Studien vor mit Hinweisen, dass Süddeutschland von Klimawandel-Folgen wie Starkregenereignissen, Heißsommern und längeren Dürrezeiten stärker betroffen ist als andere Gebiete. Und die machen auch nicht vor Biobetrieben halt. „Auch bei unseren Bio-Landwirtschaftsbetrieben gab es in den letzten fünf Jahren zunehmend Probleme wegen Wasser- und Futtermangel, durch Schadinsekten, Baumschäden …“. Doch Klagen gehört nicht zur Lebenseinstellung von Barbara Scheitz. „Deswegen haben wir uns vor vier Jahren überlegt, was wir konkret unternehmen können, um die eigene Basis unserer Rohstoff-Bezugsquellen – also unsere Bio-Milchbetriebe – mit ihren Böden, ihrer natürlichen Vegetation und dem notwendigen Wasserhaushalt zu schützen, sie gegen die Gefahren und Folgen der Klimaänderung widerstandsfähig zu machen.“

Wissenstransfer für die Praxis
Entstanden ist die Initiative „Klimabauer“. Wie funktioniert die? Eine Statusaufnahme bildet den Start des Projekts. Hierzu füllen die beteiligten Landwirte einen Fragebogen aus und hinterlegen vorhandene Informationen. Daraus erstellt das Schweizer Institut agroecology.science mit dem renommierten Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Österreich eine Vorauswertung inklusive der Analyse von Bodenproben. Im nächsten Schritt werden die Landwirte von Wissenschaftlern besucht und beraten. Und zwar nicht nur am Küchentisch, sondern ganz praktisch auf den Weiden bei den Kühen. Dabei geht es darum, zu eruieren, welche Maßnahmen die Landwirte ergreifen können, um die Klimabilanz auf ihrem eigenen Hof zu verbessern.

Die regionalen Böden und Besonderheiten der Kulturlandschaft werden hierbei berücksichtigt, ebenso der Status von Humus und Nährstoffen. Nach dem Vor-Ort-Termin wird eine Start-Klimabilanz erstellt, also der Istzustand dokumentiert. Im nächsten Schritt geht es um den Sollzustand aufgrund festgelegter Maßnahmen. Die werden mit und für jeden Betrieb konkret erarbeitet. Zu den rund 30 möglichen Maßnahmen gehören beispielsweise bestimmte Fruchtfolgen für den Humusaufbau, Unter- und Zwischensaaten, bodennahe Gülleausbringung, eine längere Weidedauer der Kühe oder auch Biodiversitätsleistungen wie Blütenmischungen.

Die Differenz aus Istzustand und Sollzustand ergibt die angestrebte Kompensationsleistung jedes „Klimabauern“. Die Molkerei honoriert die klimaökologischen Zusatzarbeiten, indem sie pro eingesparter oder vermiedener Tonne Kohlendioxid 10 Euro bezahlt. Und zwar als eine Art Vorschuss. Auch die Kosten fürs Coaching vor Ort, die Bodenprobenanalysen und die Projektorganisation trägt die Bio-Molkerei. Je nach CO2-Einsparpotenzial kann die Honorierung unterschiedlich hoch ausfallen. Einmal pro Jahr wird jeder „Klimabauer“ besucht und die Durchführung der Klimaschutzmaßnahmen verifiziert. Mit dem Ergebnis der Kontrolle wird der betriebliche Jahresbericht fortgeschrieben und durch eine Klimabilanz die Kompensationsleistung festgestellt. Auf dieser Grundlage werden die Auszahlungen bilanziert. Der Bericht hat Schiedsrichterfunktion, was die Höhe der erreichten Einsparungen anbelangt.

Den richtigen Zungenschlag
Aber nicht das Zubrot sei es, was die Landwirte bewege mitzumachen, so Scheitz. „Nach meiner Einschätzung sind die Andechser ‚Klimabauern‘ in erster Linie hoch motiviert, ihre Betriebe mit ihren Agrarflächen vorsorglich gegen die Herausforderungen des Klimawandels widerstandsfähig zu machen. Auch wollen sie erfahren, wie gut ihr Betrieb, ihre eigene Wirtschaftsweise von den Wissenschaftlern eingeschätzt wird“, kennt sie die Herausforderungen der Landwirte. Und das von Kindesbeinen an. „Dass ich durch meine Eltern bereits als Jugendliche die Probleme der Milchbauern mitbekommen habe, quasi vom ersten Milchkannerl an, hilft bei allen Projekten.“ 70 der 663 milchliefernden Landwirte beteiligen sich schon an der Initiative. Auf die Frage, wie viele es werden sollen, antwortet Scheitz mit viel Empathie: „Natürlich wünsche ich mir: alle!“ Nicht zuletzt, weil viele Kunden mit ihren Kaufentscheidungen die Projekte der Molkerei unterstützt und belohnt hätten. Die Labelung erfolgt anteilmäßig an der erzeugten Milchmenge. Kunden müssen beim Kauf von „Klimabauer“-Produkten nicht tiefer in die Tasche greifen. Das Geld für die Honorierung kommt aus dem Werbeetat. „Ich meine, dass wir die richtige Entscheidung weg vom Werbeetat hin zum Klimaschutz getroffen haben, und hoffe, dass Handel und Verbraucher unsere ‚Klimabauer‘-Milchprodukte mit Anerkennung als Klimaschutzbeweise annehmen.“

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