Henkell Freixenet Prognosen werden bereits übertroffen

Henkell Freixenet hat sich in 20 Jahren zum internationalen Schwergewicht in der Branche entwickelt und ist heute rund eine Milliarde Euro Umsatz schwer. Ein Gespräch mit Geschäftsführer Dr. Andreas Brokemper (Foto) über den Prosecco-Hype, gestörte Lieferketten und schwäbische Spanier.

Montag, 15. November 2021 - Getränke
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Prognosen werden bereits übertroffen
Bildquelle: Henkell Freixenet

Das 1909 errichtete Stammhaus von Henkell Freixenet in Wiesbaden gehört zu den eindrucksvollsten Repräsentativstätten der deutschen Getränkeindustrie. Genau wie Mitglieder der Gründerfamilie empfängt der heutige Geschäftsführer Dr. Andreas Brokemper seine Gäste im glanzvollen Marmorsaal im Rokoko-Stil und erzählt von der damaligen Idee des Mainzer Weinhändlers Adam Henkell, französische Cuvée-Kunst mit der Stärke des deutschen Handwerks zu verbinden. Brokemper, seit rund 20 Jahren bei Henkell, ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass das Haus mittlerweile der größte Schaumweinhersteller der Welt ist. Hauptsächlich durch die Akquisitionen des italienischen Prosecco-Herstellers Mionetto sowie des spanischen Cava-Marktführers Freixenet.

2020 hat Henkell Freixenet bei Absatz und Umsatz pandemiebedingt einstellig verloren. Wie sieht es in diesem Jahr aus?
Dr. Brokemper:
Das Marktforschungsinstitut The International Wine and Spirit Research hatte zu Beginn der Pandemie einen globalen Rückgang des Schaumweinmarktes um 15 Prozent prognostiziert. Ganz so schlimm ist es zum Glück nicht gekommen. Unser Rückgang liegt 2020 mit 7,4 Prozent beim Umsatz und 5 Prozent beim Absatz deutlich unter den Befürchtungen, und wir sind damit zufrieden. Wenn das Geschäft in diesem Jahr so weiterläuft wie bisher, dann glauben wir, dass wir sogar über 2019 abschließen können. Zu Beginn der Pandemie ging man von einer Erholungsphase von bis zu vier Jahren aus. Die Lage hat sich also weitaus schneller beruhigt, als zunächst befürchtet.

Unter Ihrer Führung ist das Unternehmen in den letzten 20 Jahren zum weltweiten Marktführer bei Schaumwein geworden. War die internationale Aufstellung in der Corona-Pandemie ein Vor- oder ein Nachteil?
Insgesamt war und ist die internationale Aufstellung ein riesiger Vorteil. So gibt es Länder wie Deutschland, wo die Schließung der Gastronomie zu einem stärkeren Handelsgeschäft geführt hat. Durch den ausgebliebenen Tourismus ist außerdem der Inlandskonsum in einigen Ländern kräftig gestiegen. Diese Effekte haben uns zum Beispiel in England und Skandinavien eine gute Performance gebracht. Es gibt aber natürlich auch andere Beispiele. In den südeuropäischen Ländern ist der Gastronomie-Anteil bei Schaumwein viel höher als in Nordeuropa. In Spanien machen wir 50 Prozent unseres Geschäftes in den Bars und Restaurants. In diesem Segment ist der Markt um 80 Prozent eingebrochen. Der Handel konnte diese Ausfälle nicht kompensieren. Das sind zum Teil dramatische Entwicklungen gewesen, und da haben wir auch mitgelitten.

Wenn Sie aber 2021 über dem Niveau von vor der Krise landen wollen, scheint die Talsohle ja schon durchschritten, oder?
Die ersten neun Monate liefen in allen Regionen, aber insbesondere in Westeuropa, Asien und Amerika gut und stimmen uns zuversichtlich. Aber wir sind vorsichtige Kaufleute. Es gibt noch immer Risiken und Herausforderungen. Wir sorgen uns weniger um eine ausbleibende Nachfrage, sondern ob wir diese überhaupt bedienen können.

Sie spielen auf die dramatische Situation auf den Rohstoffmärkten sowie Probleme in der Lieferkette an.
Ich habe eine vergleichbare Situation in all meinen Jahren in der Branche noch nicht erlebt. Wir kennen Krisen wie die Dotcom-Blase oder die Finanzkrise. Corona hat aber eine andere Qualität. Millionen Wirtschaftsteilnehmer mussten weltweit eine Prognose über die Zukunft wagen, und viele waren verständlicherweise eher zurückhaltend in ihrer Planung. Das hat nun entsprechende Folgen in der Versorgung.

Wir kennen die Probleme bei den Chip-Herstellern oder in der Chemiebranche. Wo knirscht es für Henkell Freixenet derzeit besonders?
Flaschen, Etiketten, Kartonage. Wir haben explodierende Preise und Engpässe eigentlich in allen Bereichen. Beim Diesel gibt es einen historischen Höchststand. Bei Gas, einem wichtigen Grundstoff bei der Herstellung von Glas, sieht es nicht besser aus. Das wird uns zeitversetzt auch treffen. Im letzten Jahr gab es außerdem eine große Nachfrage nach Reinalkohol für Desinfektionsmittel.

Der Dachverband der europäischen Landwirtschaft hat europaweit einen Rückgang der Weinernte von 18 Prozent vorhergesagt. Wie gehen Sie damit um?
Ich halte diese Zahl für zu hoch. Es ist noch zu früh, um einen Überblick über die europäische Weinernte zu haben. Wir haben aber klimabedingt eine höhere Volatilität. Dürre, Frost, Hagel: Es sind ganz unterschiedliche Wetterphänomene, die die Weinernte bedrohen. Für unseren zweitwichtigsten Markt in Bezug auf die Weinernte, Frankreich, stellt uns das vor große Herausforderungen. Die italienische Ernte ist durch die Bedeutung des Proseccos für unser Haus am wichtigsten. Hier kaufen wir Glera- sowie Pinot-noir-Trauben ein. Die Ernte war zufriedenstellend. Allerdings müssen wir durch die Zulassung der Spezialität D. O. C. Prosecco Rosé auch mit einer höheren Nachfrage umgehen. Wir sprechen von über 60 Millionen Flaschen, die seit der Zulassung Anfang 2021 zusätzlich verkauft wurden.

Muss der Handel in einer solchen Situation nicht Toleranz zeigen? Im Moment wird der Preiskampf hart ausgetragen, bis hin zu Auslistungen.
Man muss beide Seiten verstehen. Wie sollen Hersteller handeln, wenn solche Preiserhöhungen auf sie einprasseln? Und es hört hier ja nicht auf: Mittlerweile geht es nicht mehr um den Preis, sondern darum, überhaupt noch genug Rohstoffe zu bekommen. Das gilt auch für die Logistik. Die Frage ist nicht mehr, was die Verschiffung eines Containers kostet, sondern, ob man überhaupt noch einen bekommt. Das wissen alle Marktteilnehmer. Der Handel wiederum hat Millionen Verbraucher, die Preisstabilität von ihm erwarten und das sehr genau beobachten – es ist eine für alle Seiten herausfordernde Situation.

Sehen Sie auch eine Chance in dieser Krise?
Absolut. Während der Pandemie haben die Menschen nicht mehr, aber bewusster konsumiert. Sie interessieren sich für andere Qualitäten wie einen guten Rebsortensekt oder einen Prosecco Spumante. Hier liegt eine Chance für Wertschöpfung. Wir beobachten beispielsweise bei unserer Marke Fürst von Metternich ein deutlich zweistelliges Wachstum, und das mit relativ jungen Produkten wie dem Chardonnay. Ich erhoffe mir für den Schaumweinmarkt eine ähnliche Entwicklung wie beim Kaffee. Dieser Markt sah vor 20 Jahren auch noch ganz anders aus. Heute gehört der Vollautomat in eine gute Küche, und die Verbraucher wollen hochwertige und nachhaltig produzierte Bohnen. Die Durchschnittspreise für Kaffee sind stark angestiegen.

Davon ist der große Teil des Schaumweinmarktes in Deutschland aber noch weit entfernt. Sekt hat hierzulande seinen Nimbus als etwas Elitäres verloren. Verbraucher haben sich an Aktionspreise um die 3 Euro gewöhnt. Vermissen Sie die Zeiten der Preisbindung?
(Lacht) Nein. In den 1960er-Jahren hat eine Flasche Sekt 9,50 DM gekostet. Dafür musste ein Arbeiter einen Tag arbeiten. Interessant ist, wenn wir uns an diesem Preispunkt orientieren und etwas Inflation mit einberechnen, dass der Markt heute noch genauso groß ist, nämlich rund 50 Millionen Flaschen. Was zusätzlich stattgefunden hat, ist das, was wir die Demokratisierung des Sektmarktes nennen. Heute werden rund 400 Millionen Flaschen Schaumwein verkauft, und wir haben alles vom 3-Euro-Sekt bis zum 40-Euro-Champagner. Wir wollen mit unserem Geschäftsmodell zwar eher den höheren Preismarkt ansprechen, aber es gibt überhaupt keinen Grund, Sekt im unteren Preissegment schlechtzureden. Das wäre so, als wenn man behaupten würde, dass nur ein Mercedes ein echtes Auto ist. Unser Motto heißt „Celebrate Life“, und das soll für alle gelten.

Verraten Sie uns Ihren Aktionsanteil?
Der liegt in Deutschland ungefähr bei 50 Prozent. Mit anderen Regionen wie Amerika kann man das aber nicht vergleichen. Während wir uns hierzulande an starke Ausschläge gewöhnt haben, kann in den USA eine „One-Dollar-off“-Aktion bei Mionetto schon sehr erfolgreich sein. Insgesamt sehe ich das Thema Aktion eher positiv. Es ist in erster Linie ein Kompliment des Handels an unsere Marken. Der Handel weiß durch seine Analysemöglichkeiten ganz genau, dass ein Käufer von Fürst von Metternich einen hohen Durchschnittsbon hat. Dieser Verbraucher ist markenaffin und kauft auch an der Frischetheke ein.

Sie stehen für die Internationalisierung des Geschäftes von Henkell Freixenet. Das Unternehmen hat heute weltweit bereits einen wertmäßigen Marktanteil von knapp 10 Prozent. Wie erinnern Sie sich an die beiden großen Meilensteine?
Ich bin ja 2002 als M&A-Spezialist zu Henkell gekommen, um die Gruppe international weiterzuentwickeln. Meine erste Reise, da war ich noch keine zwei Monate im Amt des CFO, ging nach Italien. Mir war klar, dass eines der Prosecco-Häuser gut in unser Portfolio passen würde. Allerdings gab es zunächst keinen, der verkaufen wollte. Die Prosecco-Häuser waren sehr dynastisch geprägt. Wir hatten ein Auge auf den Marktführer in der Gastronomie, Mionetto, geworfen. 2008 war es dann so weit, und Henkell konnte Mionetto übernehmen. Es gibt heute kaum noch Märkte, die vom Prosecco-Boom nicht erfasst wurden. Heute werden 550 Millionen Flaschen weltweit getrunken, rund viermal so viel wie vor 20 Jahren. Es gibt keine Kategorie, die den Schaumweinmarkt so sehr verän‧dert hat wie der Prosecco. Die für uns am stärksten wachsende Region der letzten zwei Jahre ist Frankreich. Es hätte noch vor 20 Jahren niemand für möglich gehalten, im Land des Champagners so erfolgreich zu sein.

Wie erklären Sie sich den Prosecco-Boom?
Prosecco ist viel weniger anlassbezogen und kann eigentlich zu jeder Gelegenheit konsumiert werden. Er verkörpert eine gewisse Leichtigkeit. Geholfen haben natürlich auch Aperitif-Trends wie der Aperol Spritz.

Der zweite große Meilenstein und schließlich der Aufstieg zu einem Weltkonzern mit über einer Milliarde Euro Umsatz war der Kauf des Cava-Herstellers Freixenet im Jahr 2018. Wie gut können Deutsche und Spanier zusammenarbeiten?
Sehr gut, wenn Sie bedenken, dass die Katalanen als die Schwaben Spaniens gelten (lacht). Viele Unternehmer der Region sind sehr engagiert und fleißig. Trotzdem gibt es kulturelle Unterschiede. Wir haben diese von Anfang an sehr ernst genommen und uns gesagt, dass wir das Beste aus zwei Welten vereinen wollen. Das ist uns auch gut gelungen. Wir waren bereits vor der Akquisition in unterschiedlichen Ländern wie Tschechien oder England unterwegs, hatten also multikulturelle Erfahrung. Die Stärke, die sich aus der Fusion ergibt, kann man am Beispiel Englands sehen. Dort hatten wir vor acht Jahren kein Geschäft. Mit dem Kauf von Copestick, einem jungen, agilen Start-up, das die sehr erfolgreiche Weinmarke „I heart Wines“ auf den Weg gebracht hat, und Freixenet UK, einem traditionellen Unternehmen, das sehr lange auf dem britischen Markt aktiv ist, sind zwei Welten zusammengekommen. Das hat dem Markt einen richtigen Schub gegeben. Heute ist England neben den USA eine unserer wichtigsten Regionen.

Ihr Mutterkonzern Oetker sorgte mit seiner Zerschlagung für Aufsehen. Sie gehören jetzt zur Oetker Beteiligungen KG, die von der jüngeren Erbengeneration gehalten wird. Wie bewerten Sie die Entwicklung?
Die Sparten haben bei Oetker schon immer sehr autark operiert. Wir sind der größte Teil der Oetker Beteiligungen KG und stehen dort für ein starkes Sekt-, Wein- und Spirituosengeschäft. Wir freuen uns auf die gemeinsame Zukunft und haben noch viel vor. Wenn Sie mich persönlich fragen: Ich habe vor 24 Jahren bei Oetker angefangen. Da sind viele Freundschaften entstanden. Abschied zu nehmen von alten Weggefährten fällt nie leicht.

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