Getränke Die Aufholjagd

Nestlé Waters steht am Pranger. Und die prominenten Köpfe des Konzerns müssen die Kohlen aus dem Feuer holen. Ein Gespräch mit Marc Honold (Foto), Chef der Deutschland-Division über Einwegplastik, unfaire Aktivisten und die verpasste Chance, in der Getränke- Branche ein Vorreiter zu sein.

Mittwoch, 26. August 2020 - Getränke
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Die Aufholjagd
Bildquelle: Nestlé Waters

Beim Eintreffen an der Nestlé-Zentrale in Frankfurt Niederrad befinden wir uns mitten in einem wütenden Mob, der von einer Polizei-Hundertschaft durch die Bürostadt eskortiert wird. Reflexartig denkt man an eine weitere Aktion gegen den Nestlé-Konzern. Doch es handelt sich laut Polizei um eine politische Kundgebung, die sich gegen das Generalkonsulat von Eritrea auf der gegenüberliegenden Straßenseite richtet. Marc Honold, seit 2017 Chef von Nestlé Waters Deutschland, hat von dem Trubel nichts mitbekommen. Dabei ist der Mann durchaus krisenerprobt. Zuletzt forderte die Deutsche Umwelthilfe Honold Mitte März, auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, mit einer medienwirksamen Aktion vor dem Nestlé-Haus heraus. An der Demonstration war auch der Aktivist und Schauspieler Hannes Jaenicke beteiligt, mit dem es, nachdem die Kameraleute weg waren, ein laut Honold „gutes, aufklärendes Gespräch“ gegeben habe.

Das ist ein Anfang. Denn die Fronten zwischen Umweltaktivisten und Großkonzernen sind so verhärtet, dass man sich kaum noch gegenseitig zuhört. Die Vorwürfe an Nestlé sind hinreichend bekannt: Wasserprivatisierung in Schwellenländern, Ausbeutung einer Quelle im französischen Ort Vittel und eine Unternehmenspolitik, die noch immer auf die Abfüllung von Getränken in Einweg-Plastikflaschen setzt. Dabei dürfte selbst dem größten Nestlé-Gegner klar sein: Ohne die Großkonzerne wird man keinen nachhaltigen Wandel gestalten können. Und Nestlé tut viel, um das Image des Buhmanns der Branche eines Tages möglicherweise wieder los zu werden. Auch wenn es noch nicht reicht.

Herr Honold, sind Sie eigentlich froh, dass gerade Tönnies am Pranger steht und nicht Nestlé Waters?
Marc Honold: Nein. Mittlerweile frage ich mich bei solchen Berichten auch stärker als früher, wie groß der Wahrheitsgehalt ist und wie gut recherchiert wurde. Ich wünsche keinem, das zu erleben, was wir die letzten Jahre erlebt haben. Sich gegen die ständigen Angriffe zu wehren, ist sehr zeit- und energiefordernd. Aber wir müssen unsere Botschaft rüberbringen.

Nestlé Waters steht seit Jahren in der Kritik. Wasserprivatisierung, lange Transportwege, Einweg-Plastik sind jetzt nur die größten Schlagworte. Wie nehmen Sie die Berichterstattung wahr?
Ich arbeite seit nun 28 Jahren bei Nestlé. Ich kenne das Business und hätte große Probleme, ein Geschäft zu betreiben, von dem ich wüsste, dass es da schwarze Flecken gibt. Das hier ist ein tolles Unternehmen. Es gab ein paar Filme, die unserem Image geschadet haben, wie „We feed the world“ oder „Bottled Life“. Häufig werden auch gezielt Falschinformationen verbreitet. Ein Beispiel: Die Deutsche Umwelthilfe hat jüngst behauptet, unsere PET-Flaschen für Vittel würden auf dem Plastikmüll landen. Dabei weiß jeder, der sich mit unsrer Branche ein wenig auskennt, dass wir in Deutschland eine Rücklaufquote bei Einweg-Gebinden von rund 98 Prozent haben. So etwas richtig zu stellen, ist ein langer Prozess, es braucht sukzessive Aufklärung. Es gibt aber auch Lichtblicke und gute Gespräche wie mit dem Aktivisten Hannes Jaenicke oder mit Benjamin Adrion von „Viva con Agua“. Unschön war hingegen jüngst eine ZDF Dokumentation, bei der ich 45 Minuten befragt wurde – von meinen aufklärenden Aussagen haben es allerdings nur wenige in den finalen Beitrag geschafft. Das ärgert mich.

Der Mineralwassermarkt steht erstmals unter Druck. Gilt das auch für Nestlé Waters?
2019 war insgesamt schwierig wegen des ungewöhnlich heißen Sommers 2018. Ein vergleichbares Absatzniveau hat niemand ernsthaft erwartet. Das aktuelle Jahr ist ebenfalls schwierig zu bewerten. Es gibt Kollegen, die sagen, dass wir ohne Corona ein sehr gutes Jahr hingelegt hätten. Insbesondere das Out-of-Home-Geschäft und unsere Marken S. Pellegrino und Acqua Panna stehen natürlich unter Druck. Wir machen 35 Prozent unseres Geschäftes im Horeca-Business. Im Mai hatten wir in diesem Bereich einen Umsatzeinbruch von 80 Prozent. Die Lage hat sich ab Juni etwas entschärft. Die große Frage ist jetzt, ob es zu einem zweiten Lockdown kommt. Zum Glück haben wir Stabilität im LEH-Geschäft.

Vergessen wir die Pandemie mal für einen Augenblick. Was sind derzeit im Mineralwasser- und Erfrischungsgetränkesektor die Treiber?
Die Trends auf Produktebene sind für uns Water Plus, Functional- und Protein-Based-Drinks und ganz klar Innovationen. Hier haben wir oftmals Nachholbedarf. Was wir aktuell in der Pipeline haben: Mit S.Pellegrino Essenza lancieren wir erstmalig ein kohlensäurehaltiges Mineralwasser mit Geschmack versetzt, in den Varietäten Kirsch-Granatapfel und Lemon Zest. Außerdem ein Tonic und Ginger Beer sowie unsere biozertifizierten Limonaden im Glas unter der Marke S. Pellegrino. Im Rahmen des Relaunches von „Vittel Infused Bio“ haben wir nicht nur ein neues Verpackungsdesign, sondern auch die neue Varietät eingeführt. In dem innovativen Herstellungsverfahren ziehen Früchte im kühlen Wasser, bevor sie mit Vittel Mineralwasser aufgegossen werden. Darüber hinaus haben wir im Vittel-Portfolio das 1-Liter-Glasgebinde für unser LEH-Geschäft eingeführt.

Allerdings wird die Plastikflasche auf absehbare Zeit für Marken wie Vittel oder Pure Life nicht wegzudenken sein. Dabei könnte das Image des Gebindes aktuell nicht schlechter sein...
Und darum müssen wir mehr tun. Wir sind ein großes Unternehmen und haben eine große Verantwortung. Nestlé wird in den kommenden Jahren zwei Milliarden Schweizer Franken in die Entwicklung nachhaltiger Verpackungen investieren. Global will Nestlé Waters außerdem bis 2025 zu 50 Prozent auf recyceltes PET (rPet) setzen. Heute haben wir in Deutschland mit der 0,75-Liter-Vittel Flasche bereits ein Format in 100 Prozent rPET, weitere Formate folgen Ende 2020. Ich persönlich finde das nicht befriedigend und wünsche mir insbesondere höhere Anteile an recyceltem PET. Allerdings sind wir in Deutschland abhängig von den Möglichkeiten innerhalb unserer Geschäftsbereiche, hinzukommt: Der Rohstoff ist knapp.

Man hat das Gefühl, dass Nestlé Waters bei dem Thema etwas hinterherhinkt. Die MEG beispielsweise setzt schon seit Jahren auf erhöhte rPet-Anteile.
Und das bedauere ich. Ich hätte mir gewünscht, dass wir hier der Vorreiter sind. Das müssen wir jetzt angehen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wir haben zwar in Deutschland ein funktionierendes Pfandsystem, aber in vielen anderen Ländern der Welt, wie zum Beispiel in Asien oder Afrika, ist das nicht der Fall. Dort muss man sich gezielt dafür einsetzen, ähnliche Systeme aufzubauen, damit Plastik nicht in der Natur landet. Auch darüber muss man reden.

Das Beste ist noch immer Plastikvermeidung. Vor diesem Hintergrund sorgte die Ankündigung von Refill+, einem Wassersprudler von Nestlé Waters, für Aufmerksamkeit. Ist das nicht Konkurrenz für das eigentliche Kerngeschäft?
Hier befinden wir uns in Europa noch in einer Testphase. Der Automat ist bisher für eine Verwendung im Büroumfeld konzipiert, eine Erweiterung für andere Bereiche ist zu erwarten. Am Ende überlassen wir dem Konsumenten die Wahl.

Wie sehr bedauern Sie eigentlich, dass Fürst Bismarck nicht mehr zu Ihrem Portfolio gehört?
(lacht) Das bedauere ich wirklich. Die Entscheidung ist vor meiner Zeit bei Nestlé Waters gefallen. Jetzt, wo Premium und Regionalität auf dem Vormarsch sind, wäre das eine gute Ergänzung zu unserem hiesigen Angebot. Ich hätte gerne ein breiteres Portfolio, um mehr Konsumenten ansprechen zu können.

Was bringt die Zukunft für Nestlé Waters?
Wir müssen weiter Aufklärungsarbeit leisten. Sowohl beim Thema Plastik als auch beim Thema Leitungswasser. Das können wir aber nicht alleine, sondern wir müssen es im Verband, als Branche, leisten.

Die Deutschen wissen noch immer nicht, was ein Mineralwasser ausmacht?
Wenn ich mit einem durchschnittlich aufgeklärten Bürger, der sich nicht täglich mit solchen Themen befasst, spreche, dann heißt es: „Was sprudelt, ist Mineralwasser.“ Das ist kein Zustand. Wir brauchen breit angelegte Kampagnen, die den Unterschied zwischen Leitungs- und Mineralwasser erläutern. Wir müssen zu den Themen Natürlichkeit, Sensorik und Mineralisierung besser informieren. Dem Konsumenten muss klar sein, Leitungswasser ist kein Naturprodukt. Es wird aus Grund- und Oberflächenwassern gewonnen und muss häufig aufbereitet werden. Mineralwasser hingegen stammt aus unterirdischen Quellen und wird direkt am Quellort abgefüllt. Die hohe Mineralisierung, Reinheit und Natürlichkeit eines Mineralwassers sind etwas Besonderes. 

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