Die EU-Verpackungsverordnung (Packaging and Packaging Waste Regulation, kurz PPWR) ist beschlossen und markiert nach Aussagen der Befürworter einen wichtigen Wendepunkt in der europäischen Umweltpolitik. Mit dem Ziel, die Kreislaufwirtschaft voranzutreiben, gibt sie strenge Richtlinien zur Reduzierung von Verpackungsabfällen vor. Recycling und Wiederverwendung von Ressourcen werden gefördert.
Ein paar Regelungsbeispiele vorweg: Bestimmte Einweg-Kunststoffverpackungsformate wie Verpackungen für unverarbeitetes Obst und Gemüse, Verpackungen für in Cafés und Restaurants konsumierte Lebensmittel und Getränke, Einzelportionen etwa für Gewürze, Soßen, Kaffeeweißer und Zucker sind ab 2030 untersagt. Zudem verbietet die PPWR künftig die Verwendung bestimmter schädlicher Chemikalien, insbesondere von PFAS in Verpackungen für Lebensmittel. Bis 2030 soll das Aufkommen an Verpackungsabfällen pro Kopf um 5 Prozent im Vergleich zu 2018 reduziert werden.
Innovationshemmer und Kostentreiber?
Trotz politischer Einigung gibt es weiterhin Kritikpunkte an der Verordnung. Die Allianz Verpackung und Umwelt (AVU) sowie die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen (IK) teilen Bedenken, dass die Verordnung in einigen Bereichen zu restriktiv sei und somit Innovationen im Verpackungssegment eher behindert würden. Ein Hauptkritikpunkt betrifft die praktische Umsetzbarkeit der künftig geforderten Recyclingfähigkeit und des Einsatzes von Rezyklaten, insbesondere im Lebensmittelkontakt. Dabei werden hohe Anforderungen an die Qualität und Sicherheit der Materialien gestellt.
„Diese Vorgaben könnten besonders für kleinere und mittlere Unternehmen eine übermäßige Belastung darstellen und somit das Gegenteil von dem bewirken, was beabsichtigt war“, warnt Dr. Martin Engelmann, IK-Hauptgeschäftsführer. Nicht nur die Kunststoffbranche befürchtet, dass die strikten Regelungen zu einer Verteuerung der Produktion führen und diese Kosten letztendlich auf die Verbraucher abgewälzt werden müssten.
Dr. David Strack, Geschäftsführer beim unabhängigen Zertifizierungssystem Susycheck, legt die Finger in die Wunde: „Das Plastik-Bashing hat auch in die letzte Fassung der PPWR Einzug gehalten und könnte die Entwicklung von Verbundverpackungen fördern, die nicht recyclingfähig sind, obwohl die PPWR eigentlich höhere Recyclingquoten wünscht. Der ursprüngliche Plan wurde durch Verhandlungen verwässert. Kunststoffe werden durch Rezyklat-Anforderungen und Mehrwegquoten benachteiligt.“ Strack betont: „Unternehmen, die vermehrt auf Faserlösungen setzen, zündeln an einem Pulverfass. Endverbraucher erkennen zunehmend, dass die thermische Nutzung von nicht recycelbaren Papierverpackungen wenig mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Greenwashing entlarvt sich und Unternehmen verspielen ihren Ruf!“ Der ehemalige Edeka-Manager wünscht eine Überarbeitung der EU-Vorgaben.
AVU-Vorstandsvorsitzender Carl Dominik Klepper sieht in den Verbundverpackungen einen Sammelbegriff für eine breite Produktpalette, von denen einige besser, andere dagegen schlechter recycelbar seien. Er sagt: „Auch Verbundverpackungen werden in Zukunft den strengen Anforderungen an die Recyclingfähigkeit entsprechen müssen. Die Weiterentwicklung von Recyclingmethoden kann dazu führen, dass dies für bestimmte Verbundverpackungen gelingt, andere werden möglicherweise vom Markt verschwinden.“
Vor allem auf die Recyclingbranche rollen große Aufgaben mit hohen Investitionsbedarfen zu. Perspektivisch muss dieser Wirtschaftszweig den Anforderungen an Rezyklatqualitäten und deren Produktsicherheit gerecht werden, um die Wachstumsmärkte, die sich durch die PPWR in der Kreislaufwirtschaft ergeben, erschließen zu können. „Die Finanzierung kann individuell durch die Recyclingwirtschaft, aber auch durch Kooperationen entlang der Wertschöpfungskette erfolgen. Hierzu braucht es aber Klarheit, um einen etwaigen Investitionsstau zu vermeiden“, erklärt Patrick Neumann, Product Manager Circular Plastics bei Interzero.
Sein Kollege Julian Thielen merkt an: „Aus unserer Sicht ist das Zusammenwirken aller Beteiligten hinsichtlich der Ziele zur Recyclingfähigkeit von und dem Rezyklateinsatz in Verpackungen entscheidend. Es geht darum, die verschiedenen Perspektiven der unterschiedlichen Akteure zusammenzubringen. Alle sind gefordert.“
Harmonisierung oder neuer Wildwuchs?
Das Abfall- und Verpackungsrecht in der EU wurde noch nie zuvor so umfangreich vereinheitlicht. Und dennoch: Aufgrund zahlreicher Abweichungsmöglichkeiten für die EU-Mitgliedstaaten besteht die Gefahr, dass der Flickenteppich nationaler Regelungen in einigen Bereichen bestehen bleibt. „Zum Beispiel bei Mehrwegvorgaben und Maßnahmen zur Abfallvermeidung hätten wir uns weniger Ausnahmen gewünscht. Dennoch überwiegen aus Sicht der Wertschöpfungskette Verpackung eindeutig die Vorteile neuer harmonisierter Regeln für nachhaltige Verpackungen“, berichtet AVU-Vorstand Klepper.
INTERVIEW MIT DR. CARL DOMINIK KLEPPER
Rechtsanwalt Christian Alexander Mayer, Noerr-Partner und Lehrbeauftragter für Umweltrecht & Regulierung an der Uni Stuttgart, ergänzt: „Der nationale Flickenteppich ist nicht vollständig beseitigt worden. Das liegt unter anderem daran, dass bestimmte Vorgaben der Verordnung ausdrücklich als ‚bloße‘ Mindestvorgaben eingestuft werden, sodass Unterschiede zwischen den Vorgaben in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten weiterhin bestehen können.“ Dr. Daniel Bornemann, Senior Partner bei Simon-Kucher, prognostiziert, dass sich die Komplexität der Lieferketten für die gesamte Branche erhöhen werde. „Die wirtschaftlichen Auswirkungen hängen von der individuellen Situation der Hersteller ab. Es deutet sich bereits an, dass es aufseiten der Verpackungsmaterialien Gewinner und Verlierer geben wird und sich langfristig mitunter eine Verlagerung auf neue Zielsegmente ergibt.“ Die Verpackungsbranche bleibt in Bewegung. Trotz oder wegen der PPWR.
INTERVIEW MIT RECHTSANWALT CHRISTIAN ALEXANDER MAYER
3 Fragen an
Horst Bittermann, Generaldirektor von Pro Carton, Vereinigung der Kartonund Faltschachtelhersteller.
Die europäische Verpackungsverordnung ist beschlossen. Wie sieht Pro Carton die Einigung?
Horst Bittermann: Wir begrüßen die politische Einigung über die Verpackungs- und Verpackungsabfallverordnung. Die gesamte Verpackungsbranche braucht rechtliche Klarheit und Vorhersehbarkeit des Rechtsrahmens, um fundierte Investitionsentscheidungen treffen zu können, um den Übergang Europas zu einer Kreislaufwirtschaft voranzutreiben und damit Europa unabhängiger von Rohstoffen von außerhalb der EU zu machen. Wir stärken hiermit nachdrücklich die Resilienz Europas.
Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Ziele?
Alle Verpackungen müssen 2030 zumindest zu 70 Prozent recycelbar sein und ab 2035 zumindest mit 55 Prozent tatsächlich recycelt werden, ansonsten müssen diese vom Markt verschwinden.
Welche Vorteile hat die EUVerordnung für Verbraucher?
Eine harmonisierte europäische Kennzeichnung von Verpackungen gibt Konsumenten Orientierung, ob diese wiederverwendbar, in einem Pfandsystem eingebettet sind oder wie diese richtig recycelt werden, um wertvolle Rohstoffe wieder und wieder zu nutzen. Deshalb sollten wir von nationalen Lösungen künftig Abstand nehmen.