Einheitliches Verpackungsrecht Neue Ordnung oder altes Chaos?

Zur EU-Verpackungsverordnung befragte die LP  Christian Alexander Mayer Rechtsanwalt und Partner bei Noerr. Mayer ist zudem Lehrbeauftragter für Umweltrecht & Regulierung an der Universität Stuttgart.

Mittwoch, 22. Mai 2024, 10:46 Uhr
Matthias Mahr
Bildquelle: Noerr

Mit der Verpackungsverordnung sieht die EU Vorgaben zur Nachhaltigkeit und dem Design von Verpackungen vor, die über die bisherigen Anforderungen an die Gestaltung von Verpackungen hinausgehen. Nach dem neuen Rechtsrahmen müssen Verpackungen künftig recyclingfähig sein. Dafür müssen Verpackungen so gestaltet sein, dass der Verpackungsabfall eine solche Qualität hat, dass er in der weiteren stofflichen Verwertung im Vergleich zu den Ausgangsstoffen Primärrohstoffe ersetzen kann.  

Lebensmittel Praxis: Bedeutet der einheitliche Rechtsrahmen auch, dass nationale Flickenteppiche endgültig der Vergangenheit angehören? Oder drohen bereits neue Ausnahmeregelungen?
Christian Alexander Mayer: In der Tat wird durch die PPWR das Abfall- und Verpackungsrecht in der EU deutlich umfangreicher vereinheitlicht werden als dies bisher der Fall war. So wird z.B. erstmals ein EU-weites Pfandsystem für Plastikkunststoffflaschen eingeführt. Dennoch wird der „nationale Flickenteppich“ nicht vollständig beseitigt werden können. Das liegt u.a. daran, dass bestimmte Vorgaben der Verordnung ausdrücklich als (bloße) Mindestvorgaben eingestuft werden, sodass Unterschiede zwischen den Vorgaben in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten weiterhin bestehen können. Zudem sieht die PPWR teilweise Möglichkeiten für die Mitgliedstaaten vor, abweichende Regelungen zu einzelnen Elementen der Verordnung zu treffen. Art. 29 der VerpackungsVO sieht beispielsweise die Pflicht vor, dass Wirtschaftsakteure, die Transportverpackungen oder Verkaufsverpackungen verwenden, die für den Transport von Produkten im Hoheitsgebiet der Union bestimmt sind, ab 1. Januar 2030 mindestens 40 % solcher Verpackungen als wiederverwendbare Verpackungen innerhalb eines Wiederverwendungssystems verwenden müssen. Die Mitgliedsstaaten werden nach Art. 29 Abs. 14 VerpackungsVO allerdings dazu ermächtigt, die Wirtschaftsakteure für einen Zeitraum von fünf Jahren von den Verpflichtungen auszunehmen, wenn zusätzliche Voraussetzungen hinsichtlich anderer Recyclingzielen für Mitgliedsstaaten erreicht werden. Die erhöhten Anforderungen der PPWR werden zwar zu einer stärkeren Angleichung der Standards führen, aber nicht zu einem vollständig harmonisierten EU-Verpackungsrecht.

Wann kommt die Umsetzung der PPWR?
Derzeit steht noch die Verabschiedung durch den Rat der Europäischen Union aus. Diese ist aber nach einer vorläufigen politischen Einigung im Trilog-Verfahren zu erwarten. Nach der Verabschiedung wird die neue Verordnung im Europäischen Amtsblatt veröffentlicht und tritt 18 Monate später in Kraft. Dies wird vermutlich Ende des Jahres 2025 oder Anfang des Jahres 2026 der Fall sein. Viele Vorschriften treffen die Marktteilnehmer allerdings erst später. Die PPWR schafft dabei vor allem einen einheitlichen Rechtsrahmen. Der Rechtsrahmen muss durch delegierte Rechtsakte der Europäische Kommission allerdings noch konkretisiert werden. Dies wird erhebliche Auswirkungen sowohl auf die inhaltliche Reichweite als auch den zeitlichen Geltungsbeginn der einzelnen Regelungen haben. Es muss somit immer für jede einzelne Regelung geprüft werden, ob und inwiefern sie bereits gilt.

Kann die PPWR nach neuer EU-Parlamentszusammensetzung im Herbst noch scheitern?
Das ist grundsätzlich möglich, aber nicht zu erwarten. Das EU-Parlament hat als „Co-Gesetzgeber“ eine legislative Entschließung bereits am 24.04.2024 getroffen (Standpunkt in erster Lesung). Von einer entsprechenden Verabschiedung durch den Rat der Europäischen Union (als zweiten „Co-Gesetzgeber“) ist nach der Einigung im Trilog auszugehen. In diesem Fall wäre die Verordnung verabschiedet, ohne dass sich das Parlament noch einmal mit der Verordnung befassen müsste.

Theoretisch wäre es allerdings denkbar, dass der Rat den Standpunkt des Parlaments nicht billigt und auch in zweiter Lesung, Vermittlungsausschuss und dritter Lesung keine Einigung mehr zustande kommt. Dann könnte das Gesetzgebungsverfahren noch scheitern. Dies ist nach der Trilog-Einigung zum Legislativvorschlag, an der alle am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Institutionen teilgenommen haben, auch bei neuer EU-Parlamentszusammensetzung eher unwahrscheinlich. 

Welche Regelungen sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten für Hersteller, Importeure und Handel (offline sowie stationär)?
Durch die EU-Verpackungsverordnung werden vielfach neue oder weitergehende Vorschriften zum bisherigen Rechtsrahmen geschaffen. Überblicksmäßig sind dabei folgende besonders zu erwähnen:

  1. Nachhaltigkeits- und Designanforderungen an Verpackungen: Die PPWR sieht umfangreiche Vorschriften für die Nachhaltigkeit von Verpackungen vor. So müssen Verpackungen in Zukunft vollständig recyclingfähig sein, es werden strenge Anforderungen an die Gestaltung von Verpackungen getroffen (Trennbarkeit, Mindestrezyklatanteile, Verbot von „übermäßigen“ Verpackungen) und es bestehen quotenmäßige Vorgaben zu Wiederverwendung- und Wiederbefüllungspflichen von Verpackungen, die mit der Zeit weiter erhöht werden und nach Verpackungsart und Produkt differenzieren. Auch die Verwendung bestimmter (gesundheitsgefährdenden) Stoffe in den Verpackungen wird deutlich stärker reglementiert und verringert. Bestimmte Verpackungen (z.B. Ketchup-Tütchen) werden verboten.
  2. Kennzeichnungs- und Informationsanforderungen: Zukünftig werden deutlich erhöhte Kennzeichnungs- und Informationsanforderung bestehen. So müssen bspw. auf jeder Verpackung selbst Informationen über die Bestimmung jedes einzelnen Bestandteils der Verpackung über einen QR-Code oder eine Art von digitalem Datenträger zur Verfügung gestellt werden. Auch Angaben zur Wiederverwendbarkeit der Verpackung müssen entsprechend zur Verfügung gestellt werden.
  3. Umfassende Produktregulierung: Das Verpackungsrecht, welches durch die PPWR geschaffen wird, regelt Pflichten der Marktteilnehmer entlang des gesamten Lebenszyklus der Verpackung. Das Verpackungsrecht wird gewissermaßen von einer abfallrechtlichen zu einer umfassenden Produktregulierung transformiert. Alle Marktteilnehmer entlang des Lebenszyklus der Verpackung treffen dezidierte Nachweis- und Konformitätspflichten. Erzeuger haben bspw. die genannten Gestaltungs- und Kennzeichnungspflichten zu erfüllen; Lieferanten der Erzeuger müssen diesem alle notwendigen Informationen und Unterlagen aushändigen, damit dieser seine Pflichten erfüllen kann; Importeure müssen sicherstellen, dass die von ihnen eingeführten Verpackungen den Anforderungen der Verordnung entsprechen; Vertreiber müssen überprüfen, dass die von ihnen vertriebenen Produkte den Anforderungen entsprechen. Fulfilment-Dienstleister müssen dagegen nur gewährleisten, dass sie mit ihrer Dienstleistung die Konformität der Verpackungen, die sie handhaben, nicht beeinträchtigen. Sie trifft außerdem eine Prüfungsobliegenheit, ob die vom Erzeuger zur Verfügung gestellten Informationen zutreffend sind.
  4. Europäisches Pfandsystem: Es wird ein europäisches Pfandsystem für Kunststoffflaschen sowie Getränkebehälter aus Metall und Aluminium geschaffen. Ein Pfandsystem für Glas wird dagegen nicht verpflichtend eingeführt, kann aber durch die Mitgliedsstaaten der EU weiterhin eingeführt werden. Hier sieht man, dass die PPWR zum Teil nur Mindestanforderungen stellt, die nationalen Regelungen aber weiter gehen können.
  5. Erweiterte Herstellerverantwortung: Eine sog. „erweiterte Herstellerverantwortung“, die in Deutschland u.a. bereits für Verpackungen im Verpackungsgesetz geregelt ist, gilt mit Inkrafttreten der PPWR europaweit. Hersteller können sowohl Erzeuger als auch Importeure oder Vertreiber sein. Sie haben sich in einen Herstellerregister einzutragen und tragen eine erweiterte Verantwortung für alle Verpackungen oder verpackte Produkte, die sie erstmals auf dem Markt eines Mitgliedsstaates bereitstellen.

Ist die PPWR ein Gamechanger?
Ob die PPWR im Kampf gegen die Abfallproblematik wirklich ein Gamechanger sein wird, muss sich erst noch zeigen. Die Anforderungen an die Verpackungen, die eingeführt werden, sind aber durchaus ambitioniert und könnten dazu führen, dass der entstehende Abfall deutlich reduziert wird. Auf jeden Fall sind die Regelungen sehr umfangreich und werden insbesondere durch die zu erfolgende delegierte Rechtsetzung der Kommission auch sehr detailliert sein. Hierdurch sind große Auswirkungen auf die entsprechenden Wirtschaftsakteure zu erwarten.

Aus rechtlicher Sicht: Was müssen Unternehmen JETZT tun, damit sie rechtssicher im Markt unterwegs sind?
Auch wenn die exakten Pflichten der Marktakteure erst nach Erlass der delegierten Rechtsakte feststehen werden, sollten die Marktakteure bereits jetzt Ihre bisherigen Prozesse, Produktion und Beschaffung sorgfältig prüfen, um die Einhaltung der neuen Rechtsvorschriften frühzeitig absichern und eine ggf. erforderliche Prozessanpassung rechtzeitig einleiten zu können. Es dürfte sinnvoll sein, sich bereits jetzt Gedanken zu machen, wie die Zielvorgaben der PPWR in Zukunft eingehalten werden können. Zudem ist es den o.g. Marktakteuren anzuraten, die Umsetzung bzw. Gestaltung der Detailvorgaben durch die Kommission genau zu verfolgen, um diese anschließend auch umsetzen zu können. Auf sie kommen umfangreiche neue Regulierungsvorgaben zu.

Christian Mayer

Christian Mayer ist auf die Beratung nationaler & internationaler Unternehmen zu regulatorischen Fragestellungen in den Bereichen Verkehr, Energie, Umwelt sowie Medien & Glücksspiel spezialisiert. Dies umfasst insbesondere die Begleitung und Vertretung in komplexen Verwaltungsverfahren und vor den Verwaltungsgerichten. Ein besonderer Branchenschwerpunkt bildet der Bereich alternative Mobilität. Christian Mayer publiziert und referiert regelmäßig zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten und begleitet diverse Forschungsinitiativen. Christian Mayer ist Lehrbeauftragter für Umweltrecht und Regulierung in den Master-Studiengängen „Elektromobilität“, „Nachhaltige elektrische Energieversorgung“ und „Elektrotechnik und Informationstechnik“ an der Universität Stuttgart sowie Lehrbeauftragter für „Urban Planning & Mobility Law“ im MBA Studiengang „Building Sustainability“ an der Technischen Universität Berlin. Er ist Mitglied des Beirats Mobilitätsdaten des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg.

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