Frei von... Lukratives Nischen-Geschäft

Die Nachfrage nach gluten- und laktosefreien Produkten wächst. Neue Industriemarken und Private-Label-Produkte sorgen für Schwung im Segment „frei von“.

Donnerstag, 31. Mai 2012 - Sortimente
Bettina Röttig
Artikelbild Lukratives Nischen-Geschäft
Bildquelle: Belz

Rund elf Jahre hat es gedauert, bis der deutsche Lebensmittelhandel es den Vorreitern Sainsbury’s, Tesco und Co. gleich getan und eine eigene Produktlinie für Lebensmittelallergiker in die Regale gebracht hat. Das Engagement in Sachen gluten- und laktosefreie Sortimente ist in den vergangenen Jahren hier zu Lande stark gewachsen. Immer mehr Industriemarken erobern die Regale des Handels, Absatz und Umsatz wachsen zweistellig. Auch 2012 setzt sich die positive Entwicklung weiter fort. So legte die Kategorie Glutenfrei nach Informationen von Nielsen im ersten Quartal 2012 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um rund 14 Prozent auf 12,2 Mio. Euro zu (LEH+DM über 100 qm). Auch der Markt für laktosefreie Produkte wächst laut Nielsen dynamisch. Der Marktanteil von laktosefreier H-Milch beispielsweise liegt mittlerweile bei 6,1 Prozent.

Kompetenz durch Handelsmarken
2001 startete Sainsbury's als erstes Handelsunternehmen mit einer "Free from"-Eigenmarke. Es folgten Tesco (2002), Coop Schweiz (2006) und Spar Österreich (2009), im April 2012 die Rewe.

„Vor allem Verbraucher- und Drogeriemärkte entwickeln sich zunehmend zu Kompetenzzentren für glutenfreie Lebensmittel. Sie decken den Löwenanteil des Gesamtumsatzes bei glutenfreien Produkten ab. Neben den klassischen Vertriebskanälen werden glutenfreie Produkte auch online zunehmend verkauft“, so Nielsen-Food-Experte Enrico Krien. Für die stationären Anbieter ergäben sich weiterhin erhebliche Wachstumsreserven, beispielsweise durch den weiteren Distributionsausbau. Potenzial verspreche auch weiterhin das Segment Laktosefrei. Zu diesen Produkten griffen nicht nur Verbraucher mit nachgewiesener Laktoseintoleranz, sondern auch immer mehr „Normalverbraucher“. Voraussetzung für den erfolgreichen Abverkauf seien allerdings ein überzeugendes Angebot und kompetente Beratung sowie kommunikative Unterstützung, rät Krien.

Mehr Kompetenz will der Handel z.B. durch die Erweiterung des Angebots um Produkte aus eigener Herstellung beweisen. Den Anfang machte im vergangenen Jahr bereits Globus. Das saarländische Unternehmen bietet seit Mai 2011 glutenfreie Backwaren aus eigener Herstellung an. Doch erst jetzt wagte sich mit der Rewe der erste deutsche Lebensmittelhändler mit einer Eigenmarke „Rewe frei von“ auf den Markt. Die Kölner bieten seit April rund 30 gluten- und laktosefreie Basis-Produkte an. Fest steht schon jetzt: die Linie soll weiter ausgebaut werden.

„Die Aufklärung und das Bewusstsein rund um Laktose-Intoleranz sind in den letzten Jahren enorm gestiegen. Das erklärt auch die Entwicklung, dass der Handel sich in diesem Segment engagiert und laktosefreie Handelsmarken-Produkte einführt“, kommentiert Dr. Wolfgang Nuber, Geschäftsführer der Omira Oberland Milchverwertung Ravensburg, den Launch von Rewe frei von. „Ob und inwieweit die laktosefreien Handelsmarken erfolgreich sein werden, wird sich sicher zeigen.“ Es zeichne sich bereits ab, dass vor allem die H-Milch mit größeren Mengenerwartungen ein ausreichendes Absatzpotenzial für Handelsmarke aufweise. „Anders stellt sich die Situation möglicherweise bei den anderen Produkten dar“, meint Nuber.

Für Dr. Schär, führender Anbieter von glutenfreien Produkten, kam der Schritt ebenfalls nicht unerwartet. Schließlich sei auch in den kommenden Jahren mit einem Wachstum von 10 bis 15 Prozent jährlich zu rechnen. Da war es für Norman Hering, Verkaufsleiter Dr. Schär Deutschland und Österreich „nur eine Frage der Zeit, bis auch der LEH seine eigenen Handelsmarken auf den Markt bringt“. Das Unternehmen sieht das wachsende Engagement des Handels gelassen. Rund 66 Prozent Marktanteil hält Dr. Schär nach eigenen Angaben aktuell in Deutschland - ein Plus von 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. „Unsere Produkte sind trotz der Rewe Eigenmarkenlinie dort komplett gelistet, da wir als Marktführer und damit verbunden als so genannter First Mover stets die marktbestimmenden Akzente im glutenfreien Bereich setzen und mit unseren Marken Schär, DS und Glutano über eine treue Stammkundschaft verfügen. Mögliche Regalplatzverluste sind eher bei den Sekundär- und Tertiärmarken z u erwarten“, so Hering.

Auf langjährige Stammkunden können jedoch nicht alle Markenanbieter in diesen Segmenten setzen, denn einige sind erst in den letzen ein bis zwei Jahren in den Markt eingestiegen, stecken noch im Distributionsaufbau. So ist beispielsweise Schwartau seit Dezember 2010 mit der Marke Semper aktiv. Verzagt zeigt sich das Unternehmen angesichts der neuen Rewe-Marke nicht. „Glutenfrei ist ein stark wachsender Markt und wird es auch in Zukunft bleiben“, sagt Sebastian Schaeffer, Geschäftsführer Marketing und Vertrieb bei Schwartau. Wenn Handelsmarken zur Vielfalt des Angebots beitrügen, würden sie ihre Berechtigung finden. Im Glutenfrei-Markt sei es jedoch nicht die Marke, die überzeuge, sondern das Produkt.

Das Unternehmen Cosa Naturprodukte brachte im vergangenen Jahr erstmals Milchalternativen (Hafer-, Mandel- und Haselnuss-Drink) unter der Marke Bjorg in die Regale. Durch die Aktivitäten von Rewe erwartet Brand Manager Eike Mehlhop sogar positive Effekte: „Wir erwarten, dass durch die Neueinführung dieses Produktsegments seitens der Rewe Gruppe die Wahrnehmung und Nachfrage von Verbraucherseite nachhaltig gesteigert wird und wir auch davon profitieren werden“.

Ausreichend Platz für Handels- und Herstellermarken gibt es nach Einschätzung der Industrie in beiden „frei von“-Bereichen. „Auch wenn das Glutenfrei-Angebot sich in den letzten Jahren verbessert hat, so sind noch mehrere Felder nicht oder nur unzureichend bedient,“ meint Sebastian Schaeffer, Schwartau. Convenience sei ein Feld, das es noch stärker zu besetzen gelte.

Das sieht das Traditionsunternehmen Dr. Schär genauso. Die Südtiroler bedienen die steigende Nachfrage nach glutenfreien Concenience-Produkten bereits mit Pizza, Fertiggerichten und Backwaren und wollen diese Bereiche auch in Zukunft forcieren. Zu diesem Zweck investiert das Unternehmen in diesem Jahr eigens in den Ausbau des Werkstandorts in Apolda, um die Produktionskapazität für Brotwaren und Tiefkühlkost zu erweitern, verrät Norman Hering.

Im laktosefreien Sortiment sieht Omira neben Convenience vor allem noch Potenzial im Süßwarenbereich. Unter der Marke MinusL führte das Unternehmen zuletzt u.a. Nuss-Nougat-Creme, Waffeln mit Vollmilchschokolade und Doppelkekse ein. Auf diese Genussprodukte mussten Menschen mit Laktoseintoleranz lange verzichten und wüssten diese daher sehr zu schätzen, so Nuber. Auch im Bereich Fertiggerichte gibt es Zuwachs unter der Lizenzmarke Minus L. Apetito kündigt an, zusätzlich zu den seit Frühjahr 2011 bestehenden Komplettgerichten in diesem Jahr zwei weitere Kreationen in die TK-Truhen zu bringen.

Auch in diesem Jahr wagen sich neue Unternehmen auf den Markt für gluten- und laktosefreie Produkte. Ab September beispielsweise bringt die Schweizer Jowa AG unter der Marke Huttwiler glutenfree erste Produkte in den deutschen Handel. Die Verhandlungen laufen seit dem Frühjahr. Punkten will der Newcomer z.B. mit Brot- und Backwaren im backfesten Beutel, die bis auf den Tisch einen Schutz vor Kontamination bieten.

Gerade hat Danone die ersten probiotischen Joghurts der Marke Activia für eine laktosefreie Ernährung vorgestellt. „Mit Activia Laktosefrei erschließt Danone eine neue Zielgruppe - Konsumenten, die sich bewusst für eine laktosefreie Ernährung entscheiden. Zudem haben wir mit der Innovation das Activia Sortiment erweitert und mit dem Neuzugang für mehr Abwechslung im Kühlregal gesorgt“, so Dr. Susanne Knittel, Head of External Communiations and CSR bei Danone.

Auch von der Privatmolkerei Bauer steht seit Mai der erste Joghurt ohne Laktose in den Kühlregalen. „Der Laktosefreie“ ist im 4 mal 100-g-Multipack erhältlich.

Ehrmann, mit Fruchtjoghurt und Quark-Joghurt-Creme in jeweils vier Geschmacksrichtungen unter der Range LactoZero gestartet, will das Sortiment weiter ausbauen. „Zusätzlich zu wirklich von Laktoseintoleranz betroffenen Menschen interessieren sich auch Menschen, die nicht hiervon betroffen sind, für laktosefreie Produkte“, weiß Ehrmann Marketing-Leiter Gunther Wanner. „Bewusste, gesunde Ernährung“ sei der Antrieb der Konsumenten.

Das Produktmerkmal „Frei von“ spielt jedoch auch unabhängig von Lebensmittelallergien eine größere Rolle. „87 Prozent aller Konsumenten kaufen gerne Produkte, die nur mit wenigen Zutaten hergestellt werden und keine Aromen oder andere Zusatzstoffe enthalten“, erklärt Susanne Knittel. So setzt Danone seit Sommer 2011 Zeichen mit Activia Pur, einem Joghurt mit lediglich 3 Zutaten: Joghurt, Frucht und Rohrzucker. Erhältlich ist der Joghurt in den Sorten Erdbeere, Pfirsich-Maracuja, Himbeere und Mango.

Im Juni 2012 kommt die nächste Produktentwicklung in dem Segment auf den Markt, kündigt Knittel an. „Actimel ohne Zuckerzusatz und Süßstoffe bietet ein neuartiges, erfrischendes Geschmackserlebnis und das nur mit dem Zucker aus den enthaltenen Früchten und der Milch.“

Wo weiteres Potenzial für Handelsmarken liegt, zeigt ein weiteres Beispiel aus dem Ausland: Frei von Fleisch. Seit Februar bietet die Österreichische Spar vegetarische Produkte unter der Eigenmarke Spar Veggie an. 43 vegetarische sowie z.T. vegane Produkte umfasst die Linie – darunter überwiegend gekühlte und tiefgekühlte Convenience-Produkte wie Veggie-Grillplatte oder Bio-Brotaufstriche. Rund 70 Prozent der Produkte sind Bio. Ansprechen will das Unternehmen damit auch die wachsende Zahl der Flexitarier.

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