Herr Kramer, Sie stehen seit dem Markteintritt vor einem Jahr an der Spitze von Juul Labs Deutschland und bringen viel Erfahrung aus der Konsumgüterbranche (unter anderem Unilever und Diageo) mit. Was hat Sie als Nichtraucher dazu bewogen, diesen Job anzunehmen?
Markus Kramer: E-Zigaretten sind eine große Chance. Es gibt zum ersten Mal eine wirklich vielversprechende und weniger schädliche Alternative für Raucher. Juul ist deswegen so erfolgreich, weil es erfahrenen Rauchern den Umstieg leicht macht, da sie eine ähnliche Befriedigung erleben wie beim Rauchen. Und das mit einem Produkt, bei dem man deutlich weniger Schadstoffe aufnimmt, weil eben kein Tabak verbrannt wird. Auf dem Markt erhältliche Entwöhnungsprodukte wie Nikotinpflaster funktionieren nicht so gut, weil dieses Ritual fehlt. Ein Pflaster bedeutet ja: ‚Ich bin krank.‘ Es ist schade, dass die Medien immer nur in eine Richtung gehen und nicht auch die Chancen von E-Zigaretten beleuchten. Jedes Jahr sterben in den USA rund 480.000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums, in Deutschland rund 120.000. Wir wehren uns daher gegen Sanktionen und Verbote, die die Raucher nur wieder zur Zigarette zurücktreiben würden. Den Menschen wird die Chance genommen, ein Leben mit weniger Schadstoffen zu leben. Damit müssen wir uns beschäftigen, seit wir auf dem Markt sind. Ich sehe das als eine tolle Herausforderung.
E-Zigaretten stehen wieder schärfer in der Kritik, seit es in den USA zu tödlichen Lungenerkrankungen gekommen ist. Wie nehmen Sie die Berichterstattung wahr?
Die ganze Debatte ist etwas schizophren. Nochmal: In den USA sterben jedes Jahr eine halbe Million Menschen an den Folgen des Zigaretten-Konsums. Demgegenüber stehen jetzt 40 Tote. Die sind natürlich sehr bedauerlich, aber man muss den Hintergrund zu diesen Ereignissen kennen. Die amerikanischen Gesundheitsbehörden haben offiziell bestätigt, dass diese Krankheitsfälle in Verbindung stehen mit ,E-Joints‘, also selbstgemischten Produkten vom Schwarzmarkt, denen ein Vitamin E-Öl und THC beigemischt wurden. Mit legalen E-Zigaretten hat das nichts zu tun. Das kann man vergleichen mit illegalen Silvesterböllern, die auch eine Gefahr darstellen können. Leider vermischen einige Journalisten die Dinge und stellen eine falsche Kausalkette her: Es gibt Tote in den USA und jetzt darf Juul nicht mehr in Deutschland verkauft werden. Das ist auf mehreren Ebenen völlig falsch. Unser Auslieferungsstopp hat wie gesagt nichts mit den Geschehnissen in den USA zu tun.
Kritiker monieren, dass es keine Langzeitstudie zum Einfluss des Dampfens auf die Gesundheit gibt…
Es gibt auch keine Langzeitstudie über den Einfluss von Handys am Ohr. Und trotzdem laufen wir den ganzen Tag damit rum. Da wird mit zweierlei Maß gemessen. Die bisherigen Studien zeigen: E-Zigaretten sind mindestens 95 Prozent weniger schädlich als herkömmliche Zigaretten. Das ist doch erstmal etwas Positives! Selbstverständlich ist es das Beste, wenn Raucher von heute auf morgen ganz aufhören. Aber die Realität zeigt doch: Die meisten schaffen es nicht. Bevor sie weiter Tabakrauch inhalieren, sind E-Zigaretten eine bessere Alternative. Wir begrüßen alle so genannten ‚Next Generation Products‘, also Zigarettenalternativen, die dabei helfen, so viele Raucher wie möglich zu konvertieren.
Neben den Todesfällen in den USA, die keine Verbindung zu Juul haben, steht die Marke aber auch in der Kritik, weil sie offensichtlich viele Jugendliche anspricht.
Das haben wir frühzeitig als ein Problem erkannt – seit dem Marktstart von Juul in Deutschland ist daher der Jugendschutz eine Top-Priorität für uns: So verzichten wir weltweit komplett auf die Nutzung von sozialen Medien und achten sehr genau darauf, dass wir nur erwachsene Raucher ansprechen. Es gibt außerdem signifikante Unterschiede zwischen den USA und Deutschland: Wir haben hier nur rund ein Drittel der Nikotinstärke im Vergleich zu den Juul-Produkten, die in den USA verkauft werden. Laut dem aktuellem Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung nutzen gerade einmal 0,9 Prozent der Jugendlichen hierzulande E-Zigaretten – von einem Trend zur E-Zigarette kann also wahrlich nicht die Rede sein. In den USA sieht das leider anders aus.
Wie wollen Sie eine ähnliche Entwicklung in Deutschland vermeiden?
Indem wir in unserer Werbung nur Personen über 30 Jahre einsetzen, die klar als erwachsene Raucher erkennbar sind, also keine Teenie-Idole oder dergleichen abbilden. Es gibt von uns keine Aktivitäten in sozialen Netzwerken. Wir führen jeden Monat hunderte von Testkäufe im Handel durch, um zu checken, ob sich die Shops an den Jugendschutz halten. Unsere Webseite ist ganz schlicht, unser Online-Verkaufsshop fast schon steril. Juul soll bewusst dezent und klassisch daherkommen. Es gibt von uns keine Sponsorings von Festivals oder dergleichen. Wir haben sogar unsere Sorte ‚Creme-Brulée‘ in ‚Royal Creme‘ umbenannt, um sie für Jugendliche unattraktiver zu machen.
Der ehemalige Juul-CEO Kevin Burns hat Jugendliche sogar öffentlich darum gebeten, das Produkt nicht zu kaufen.
Natürlich sind wir beim Thema Jugendschutz besonders sensibel – was manchmal zu eigenartigen Situationen führt. Nur ein Beispiel: Ein Mitarbeiter von uns hat mit einem Juul-Rucksack auf dem Rücken seine Tochter zur Schule gebracht. Das hat jemand fotografiert und sich darüber echauffiert, wie jemand in der Nähe einer Schule Werbung für Juul machen könne. Die Rucksäcke wurden von uns sofort wieder eingesammelt. Ich sage meinen Kindern mittlerweile, sie sollen am besten gar nicht darüber reden, was der Papa beruflich macht (lacht). Aber so ist das eben. Wir sind durch unsere Größe eben Coca-Cola und nicht Pepsi. Was die kleineren Anbieter machen, interessiert keinen.
In Deutschland herrscht durch die Tabakproduktrichtlinie 2 (TPD2) derzeit relative Rechtssicherheit was den Verkauf betrifft. Überraschenderweise ist das in den USA, dem Herkunftsland von Juul, ganz anders.
Richtig. Derzeit läuft der so genannte PMTA-Process (‚Premarket Tobacco Product Applications Process‘) bei dem sich alle Hersteller bis Mai 2020 bewerben müssen. Es gab bis jetzt keine offizielle Zulassung von E-Zigaretten, obwohl die Überwachungsbehörde FDA (‚Food and Drug Administration‘) als sehr streng gilt. Ein wichtiger Teil wird die Abwägung zwischen dem Nutzen für die öffentliche Gesundheit und dem Jugendschutz sein. Juul versucht gerade mit großen Kräften, den Trend bei jungen Konsumenten umzukehren, indem beispielsweise keine Flavors mehr außer Tobacco und Menthol verkauft werden.
Zurück nach Deutschland: Zuletzt wurde bekannt, dass Juul Labs hierzulande Mitarbeiter entlassen musste. Wie kam es dazu?
Da bin ich selbstkritisch. Wir sind seit Dezember 2018 auf dem deutschen Markt und haben sofort aus allen Rohren geschossen. Zu unserer Hoch-Zeit hatten wir knapp 150 Mitarbeiter, der größte Anteil davon im Vertrieb. Wir haben aber gelernt, dass wir uns stärker auf Ballungsgebiete konzentrieren müssen. Wir habe tolle Abverkäufe in Szenevierteln; in ländlichen Regionen funktioniert das Thema noch nicht so gut. Wir haben da sicher Fehler gemacht und zu schnell rekrutiert. Mit über hundert Mitarbeitern ist die Mannschaft aber immer noch sehr stark und so gehen wir jetzt auch selbstbewusst in das kommende Jahr.
Welche Rolle spielt der LEH bei Ihren Vertriebsaktivitäten?
Wie Sie wissen, werden rund ein Drittel der Zigaretten im LEH und Discount abgesetzt, also eine große Menge. Die Zigaretten-Alternativen sind von diesen Zahlen noch weit entfernt. Für uns ist der LEH vor allem im Abverkauf der Pods interessant. Das Produkt an sich ist aber erklärungsbedürftig und die Beratung kann hier in den Vape-Shops und Tabakfachgeschäften sowie Tankstellen besser geleistet werden. Das kann sich aber in Zukunft ändern. Ein engagierter selbstständiger Händler wie Edeka Niemerszein hier in Hamburg mit einem eigenen Kiosk in der Vorkassenzone ist natürlich ein Paradebeispiel. Hier funktioniert die Beratung gut, kann unser Produkt gut präsentiert werden. Die Königsklasse ist irgendwann der Automat in der Kassenzone. Unsere Verpackung ist kompatibel mit einigen dieser Systeme. Allerdings müssen wir hier noch abwarten, bis wir die richtige Marktgröße erreicht haben, denn diese Plätze sind natürlich sehr teuer.
In Deutschland ist Juul zuletzt durch ein durch den Wettbewerber Niko Liquids erwirktes Verkaufsverbot beim Landgericht Düsseldorf in die Schlagzeilen geraten. Wie ist der aktuelle Stand und was muss der Händler wissen?
Der Teufel steckt hier im Detail. Wir haben die Vorschriften für E-Zigaretten bisher so interpretiert, dass das Recycling-Symbol bei kleinen Pods auf der Verpackung abgedruckt werden darf, sofern die Pods zu klein sind. Dem ist das Landgericht Düsseldorf allerdings nicht gefolgt, so dass wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Pods ohne Kennzeichnung ausliefern dürfen. Den Einzel- und Großhandel betrifft das nicht. Die dürfen ihre Bestände weiterverkaufen. Die neuen, entsprechend gekennzeichneten Produkte werden in Kürze ausgeliefert.
Kam es zu Lieferengpässen?
Der Großhandel hat sich mit genügend Ware bevorratet, um Out-of-Stock Situationen zu vermeiden. Der Großhandel ist auch so gut in Verbänden organisiert, dass man sich untereinander aushelfen kann. Aber diese negative Presse hat uns natürlich schon auch geschadet. Einige Händler sagen uns, dass sie erst einmal mit der Listung warten wollen. Andere fragen uns, ob sie die Produkte wieder zurückgeben können. Denen muss man dann erklären, dass sie erstens vom Verkaufsstopp nicht betroffen sind und zweitens diese Situation in Deutschland nichts mit den Krankheits-Fällen in den USA zu tun hat.
Wie viele Verkaufsstellen haben Sie für sich schon erschlossen und wo möchten Sie noch hin?
Wir stehen aktuell bei rund 10.000 Verkaufsstellen. Ab 30.000 befinden Sie sich in dem Bereich, wo die Musik spielt (lacht). Derzeit macht uns vor allem der Convenience-Kanal mit beispielsweise Valora, Shell und bald noch einigen anderen Ketten große Freude, besonders in Ballungsgebieten wie München.
Und wie viele Verwender gibt es in Deutschland derzeit?
Ich drücke es mal so aus: Mein Optimismus war am Anfang etwas größer. Wir wollten mehr Konsumenten gewinnen. Aber wir haben gelernt, dass Deutschland bei neuen Technologien eine „slow burning candle“ ist. Also die Kerze ist groß, brennt aber langsamer. Auch hier muss ich nochmal den Handy-Vergleich bemühen: Hier standen die Deutschen mal am 45. Platz, heute ist es der vierte Rang. Wir glauben an eine lang ansteigende Kurve, aber wenn das Thema durchbricht, sind wir dabei.
Es gibt derzeit auch neue Produkte. Was können Sie uns verraten?
Richtig, wir gehen gerade mit unserer neuen ‚J2-Technologie‘ in den Markt. Das betrifft einmal den Juul-Stick an sich, der leistungsfähiger ist, als auch die Pods, die es jetzt in der neuen Variante „Red Berries“ gibt. Zudem gibt es unsere stärksten Sorten Mint, Mango und Tobacco auch in einer Variante mit 9 Milligramm/Milliliter Nikotin (zusätzlich zur 18 Milligramm/Milliliter -Variante).
Als Nichtraucher dürften Sie selbst ja gar nicht zu Juul greifen oder?
Nein, mache ich auch nicht (lacht). Manchmal dampfe ich natürlich beim Kunden und werde dann ausgelacht: ‚Kramer, du kannst das gar nicht‘. Aber ich kann mich natürlich trotzdem in das Thema hineinversetzen. Es ist ein Genussmittel. Eines mit großen Chancen dazu.
Markus Kramer in der Deutschlandzentrale von Juul Labs in Hamburg-Winterhude.
Kramer steht seit dem Markteintritt in Deutschland an der Spitze des Unternehmens.