Milchmarkt 2022 Zurück in die Zukunft

Erst reguliert, dann liberalisiert, so zeigt der Milchmarkt 2022 erstmals seit Jahrzehnten, dass er auch „marktwirtschaftlich“ kann. Über das feine Geflecht der Wertschöpfungskette.

Freitag, 17. Februar 2023 - Molkereiprodukte
Dr. Friederike Stahmann
Artikelbild Zurück in die Zukunft
Bildquelle: Getty Images

Huch, was war denn da los? Wer sich den Milchmarkt 2022 anschaut, reibt sich verwundert die Augen. Und stellt fest: Die Gesetze der freien Marktwirtschaft funktionieren. Auch beim Milchmarkt gilt, dass Angebot und Nachfrage den Preis regulieren. Wieder muss man sagen. Denn: 50 Jahre lang war die Wertschöpfungskette „Milch“ geprägt von staatlichen Eingriffen, Milchseen und Butterbergen.

Kostete im Januar 2022 ein Liter Trinkmilch mit 3,5 Prozent Fett der Aldi-Eigenmarke 80 Cent, musste zu Weihnachten 2022 für dasselbe Produkt schon 1,09 Euro auf die Ladentheke geblättert werden. Und das bei einem Nahrungsmittel, das als Ankerprodukt des Lebensmittelhandels sonst ein Kampfplatz um jeden Cent ist. Und die Preisrallye geht weiter. Zum Jahresbeginn stieg der Preis nochmals um 6 Cent. Auch Experten hat der Milchmarkt 2022 zum Staunen gebracht. Dass die Märkte einen festen Start ins Jahr haben würden – ja, darüber war man sich einig. Und auch mit Preiserhöhungen war zu rechnen. Aber in solchen Dimensionen? Dr. Kerstin Keunecke, Marktexpertin Milch und Milchprodukte bei der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft spricht im Rückblick gar von historischen Höchstwerten. Und das nicht nur im Endverbraucherbereich. „Im Jahr 2022 wurden am Milchmarkt entlang der gesamten Wertschöpfungskette neue Preisrekorde aufgestellt.“

Deutlich wird das beim Preis, den Landwirte für einen Liter Rohmilch erhielten. Der lag in den letzten Jahren mit Schwankungen je nach Jahreszeit zwischen 33 und 36 Cent. Ab Januar 2022 gab es dann kein Halten mehr. Monat für Monat stieg der Erzeugermilchpreis. Im Dezember auf durchschnittlich 60 Cent je Liter Milch. Eine süddeutsche Molkerei zahlte sogar über 71 Cent.

Die Zahl der Höfe mit Milchkühen ist seit Jahren rückläufig – und auch die Zahl der Milchkühe geht zurück. Doch weil die einzelne Kuh mehr Milch gab, sank die Milchmenge lange Zeit nicht. Jedenfalls bis vor Kurzem. Zu Jahresbeginn 2022 traf ein knapperes Angebot auf eine zunehmende Nachfrage: Im Januar gab es 2,1 Prozent weniger Milch als im Januar 2021. Das Minus in der Rechnung blieb bis Ende August bestehen. Mal schwächer wie im Juni mit nur 0,2 Prozent, mal stärker wie im April, wo 2,6 Prozent weniger ermolken wurde. Keine dramatischen Einbrüche, aber dieses und auch ein weltweites Minus der globalen Player auf dem Weltmilchmarkt, Neuseeland, USA, Frankreich und die Niederlande, traf auf durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste Unsicherheiten am Markt. Mit der Folge, dass sich Käufer – vor allem im Ausland – wegen befürchteter Verknappung eindeckten.

2,6 %

weniger Milch wurden im April 2022 ermolken
Quelle: BLE

112 %

betrug der Selbstversorgungsgrad bei Milch 2021 in Deutschland.
Quelle: BLE

Und schon sind wir beim nächsten Punkt, der sich seit dem Beginn der 1980er-Jahre am Milchmarkt verändert hat. Heute fließt mehr als die Hälfte der deutschen Milcherzeugung in den Export. Und das, obwohl die EU keine Exportsubventionen mehr zahlt. Deutsche Exportschlager sind nach Konsummilch und Käse vor allem Joghurt, Magermilchpulver und Molkepulver. Das Gros geht in die europäischen Nachbarstaaten. Aber nicht nur. Während der Konsum hierzulande seit Jahren rückläufig ist, nimmt der Milchdurst in asiatischen und afrikanischen Schwellenländern zu. Vor allem in China boomt das Geschäft. Kein anderes Land der Welt importiert so viel Milchprodukte wie das Reich der Mitte – allein im Jahr 2021 waren es mehr als 20 Millionen Tonnen. Rund 520.000 Tonnen Milchprodukte gingen im vergangenen Jahr aus Deutschland nach China. Es ist nach den Niederlanden und Italien der wichtigste Abnehmer.

Seit September steigt die Milchmenge in Deutschland wieder. Gleichzeitig führten jedoch das veränderte Konsumverhalten nach den Aufhebungen der Corona-Maßnahmen, die hohe Inflation und die höheren Preise zu einem Nachfragerückgang am Mopro-Regal. Aber nicht nur dort. Auch die historisch hohen Preise für Exportwaren ließen die abgesetzten Mengen sinken. Besonders ausgeprägt waren die Rückgänge bei Magermilchpulver, Butter, Käse und Milch, so das Statistische Bundesamt.

Und wie geht es weiter?
„Ungeachtet aller derzeitigen Eintrübungen an den Märkten als Folge höherer Milchanlieferung hierzulande und der Probleme im internationalen Handel, vor allem aber der ungewissen Situation in China, wie sich die Abkehr von der lange sehr strikten Null-Covid-Politik auf die Märkte auswirken wird: Einen Absturz der Milchpreise wird es in den kommenden Monaten wohl nicht geben“, ist sich Dr. Hans-Jürgen Seufferlein, Geschäftsführer des Verbandes der Milcherzeuger Bayern, sicher. Ganz so euphorisch sieht Marktexpertin Dr. Kerstin Keunecke die Lage nicht. Sie weist darauf hin, dass sich die Preise für Milchverarbeitungsprodukte und Versandmilch schon weit von ihren Höchstwerten 2022 entfernt hätten. Die Erzeugermilchpreise folgten in der Regel mit zeitlicher Verzögerung. „Denn auch EU-weit und in den USA wird mehr Milch angeliefert. Damit der Markt ins Gleichgewicht kommt, müsste die Nachfrage anziehen.“

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