Mehrweg-Flaschen „Völlig überreguliert“

Die Sorge um Pläne für ein in Europa einheitliches Mehrwegsystem sitzt in der deutschen Getränkebranche tief. Beim aktuellen Stand müssten Milliarden Mehrweg-Flaschen vernichtet werden.

Freitag, 16. Juni 2023 - Getränke
Tobias Dünnebacke
Artikelbild „Völlig überreguliert“
Bildquelle: Unsplash/Guillaume-Perigois

In der Getränkebranche regt sich schon länger breiter Widerstand gegen die EU-Pläne für ein einheitliches Mehrwegsystem in Europa (wir berichteten in LP 10). In einer gemeinsamen Aktion laufen Verbände der deutschen Mehrweg-Getränkeindustrie jetzt Sturm gegen die Verpackungsverordnung „Packaging and Packaging Waste Regulation“ (PPWR) und konkretisieren die Vorhaben der EU-Behörde als Gefahr für die heimische Getränkeindustrie. In einem Papier, das unter anderem vom Deutschen Brauer-Bund und auch dem Verband des Deutschen Getränke-Einzelhandels unterzeichnet wurde, heißt es: „Die EU will allen Mehrwegsystemen in Europa eine einheitliche, zentralistische Verwaltungsbürokratie vorschreiben und eine Vielzahl fragwürdiger Vorschriften überstülpen – ein kompliziertes Regelwerk, das für die Kreislaufwirtschaft in Deutschland mit Milliarden-Investitionen verbunden wäre, ohne einen ökologischen Mehrwert zu bieten, und das funktionierende Mehrwegkreisläufe in der Fläche zerstören würde.“

Kritisiert wird konkret, dass es neue Deklarationspflichten wie eine dauerhaft angebrachte Kennzeichnung von Mehrwegverpackungen geben soll. Im deutschen Mehrwegsystem, wo seit jeher mit abwaschbaren Etiketten gearbeitet wird, sind Präge-Logo und Seriennummer nicht vorgesehen. Ein Weiterbetrieb der Systeme würde verhindert und die Verordnung auf eine vollständige Vernichtung der existierenden Mehrwegflaschen- und Kastenpools hinauslaufen, weil diese dann künftig nicht mehr genutzt werden könnten. „Allein die 1.500 Brauereien in Deutschland haben vier Milliarden Mehrwegpfandflaschen im Umlauf und erreichen damit einen Mehrweganteil von rund 80 Prozent. Ausgerechnet solche bewährten umweltfreundlichen Systeme werden nun durch die EU-Politik gefährdet!“, macht Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer beim Deutschen Brauer-Bund, seinen Frust deutlich.

„Das macht uns Ärger“, erklärt auch Tobias Bielenstein, Sprecher der Genossenschaft Deutscher Brunnen. „Viele, die an dem Entwurf arbeiten, wissen leider von Mehrweg sehr wenig, planen aber sehr konkrete Veränderungen, ohne zu wissen, was das nach sich zieht.“ Eine serielle Kennzeichnung wäre mit dem jetzigen deutschen System, dem einzigen entwickelten Mehrweg-Markt weltweit, nicht vereinbar, da die Kennzeichnung der Flaschen in den Kästen nicht ausgelesen werden könnte. Auch wäre mit dem derzeitigen Planungsstand der EU das Aus für offene Pools der Brauer (beispielsweise Longneck) beschlossen. „Hier wird völlig überreguliert. Stichwort Krümmungsgrad der Banane“, sagt Bielenstein, der mit den Beratungen zu der Verordnung vertraut ist.

Deutschland als größte Volkswirtschaft der EU unterhält diverse unterschiedliche Mehrwegsysteme – von den offenen Flaschenpools der Brauereien bis hin zum geschlossenen und gesteuerten Pool der Genossenschaft Deutscher Brunnen. Die Mehrwegquoten in Deutschland liegen seit Jahrzehnten weit oberhalb der von der EU für 2040 vorgesehenen Zielquoten. Gerade dieses einzige funktionierende System in Europa und der Welt jetzt zu gefährden, führe die Idee der PPWR ad absurdum, so die Verbände in ihrem Schreiben.

Wie widersprüchlich die Pläne teilweise sind, zeigt auch das Beispiel des sogenannten Leerraumanteils. Die Luft in Transportverpackungen zu begrenzen, mag mit Blick auf den Versandhandel sinnvoll sein – übertragen auf Wasser- oder Bierkästen würde die von Brüssel geplante Regulierung jedoch den Transport und die Lagerung von Mehrwegflaschen künftig unmöglich machen. „Offenbar hat man vergessen, dass die Rückführung im leeren Zustand ein wesentliches Merkmal von Mehrwegverpa‧ckungen ist“, heißt es in dem Schreiben.

Absurde Regelung zum Leerraumanteil
Ein weiteres Problem: Die im deutschen Verpackungsgesetz verankerte Rücknahmepflicht für Mehrwegverpackungen durch Letztvertreiber, die als eine Grundvoraussetzung für den erfolgreichen Betrieb von Mehrwegsystemen gilt, ist in der PPWR nicht vorgesehen. Wenn es die Politik wirklich ernst meine mit der Förderung und dem Ausbau der Kreislaufwirtschaft, dürfe sie aber nicht jene Unternehmen bestrafen, die seit Jahrzehnten in funktionierende Mehrwegsysteme investieren, warnen die Verbände. „Wir appellieren, alles zu unterlassen, was erfolgreiche Systeme gefährdet.“

Der Entwurf für die PPWR-Verordnung wurde am 30. November 2022 veröffentlicht. Bei den Verhandlungen hat das EU-Parlament die Belgierin Frédérique Ries, die bereits die Single-Use Plastics Directive verhandelt hat, als Vermittlerin ernannt. Laut Zeitplan soll die PPWR innerhalb eines Jahres verabschiedet werden.

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