Braubranche Systemwechsel

Die Braubranche wendet sich von der Individualflasche ab. Derzeit konkurrieren zwei Initiativen um die Lösung des Problems und die Stärkung des guten alten Pools. Vorbild sind die Mineralbrunnen.

Freitag, 11. März 2022 - Getränke
Tobias Dünnebacke
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Bildquelle: Getty Images

Es fing vor gut 20 Jahren an. In den Regalen des Lebensmitteleinzel- und Fachhandels konnten die Verbraucher immer häufiger neue Bierflaschen entdecken, die eine Prägung des Markennamens hatten und/oder eine besonders auffällige Form, die sie leicht vom Standard-Angebot unterscheiden ließen. Die Hoffnung der Brauer: Man wollte eine möglichst besondere und moderne Flasche als Marketinginstrument nutzen und sich so gegen den rückläufigen Markt stemmen. Heute ist klar: Die schicken Flaschen von Hasseröder, Bitburger, Krombacher oder Radeberger haben nicht zu einem nachhaltigen Plus beim Verkauf geführt. Die Flaschen hatten hingegen den unschönen Nebeneffekt, dass sie als Leergut quer durch die Republik gefahren werden mussten, um zur Ursprungsbrauerei zurückzukommen. Ein Krombacher Pils kann man nicht in einer Radeberger-Flasche abfüllen. „Die Individual-Flaschen konnten den Trend nicht aufhalten, und auch der Versuch einiger Brauer, auf Plastik zu setzen, ist danebengegangen“, sagt Peter Hahn. Hahn ist ein ausgewiesener Experte der Branche und war unter anderem von 1999 bis 2013 Geschäftsführer beim Deutschen Brauer-Bund. Heute leitet er die Mehrwegpool der Brauwirtschaft eG (MPBeG). Die Genossenschaft ist ein Zusammenschluss diverser Brauerei-Verbände wie derer in Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Gemeinsam wollen die Genossen aus eigenem Antrieb die Individualisierung zurückdrängen und einen eigenen, standardisierten Flaschenpool einführen, dessen Eigentümer die MPBeG ist. „Wir haben noch keine Flaschen gekauft, aber morgen könnte die Glashütte beauftragt werden“, sagt Hahn und gibt aber zu, dass man noch zu wenige Mitglieder habe. „Wir brauchen eine kritische Masse, um das Ganze wirtschaftlich machen zu können, dafür setze ich mich ein“, so der Branchenexperte gegenüber der Lebensmittel Praxis.

Der Plan sieht wie folgt aus: Die Genossenschaft will alle sieben handelsüblichen Bierflaschen wie Euro-, Longneck- oder Bügelflasche bedienen. Hauptaufgabe wird es sein, in einem regelmäßigen Zyklus die alten gegen neue Gebinde auszutauschen. Die Flaschen befinden sich dann rechtlich im Eigentum der Genossenschaft. Dies hätte den schönen steuerlichen Nebeneffekt, dass die Brauer, nach aktueller Rechtsprechung vom Bundesfinanzhof, Rückstellung für das anfällige Pfand bilden dürften. Diese Frage war zuletzt bei den Individualflaschen, die sich im Besitz der jeweiligen Brauerei befinden, umstritten. „Brauereien, die unsere Pool-Flaschen verwenden, sind steuermäßig aus dem Schneider“, so Hahn. Sie seien zwar Mitglied in der Genossenschaft, aber die Eigentumsrechte der neuen Flaschen liegen bei der MPBeG.

So weit die Theorie. In der Praxis sieht es so aus, dass Hahn und seine Landesverbände einen mächtigen Mitbewerber um die Idee der Standardisierung von Bierflaschen haben, die Gemema. Gegründet wurde die Gemema (Gesellschaft für Mehrweg-Management) von den vier Großbrauern Bitburger, Krombacher, Radeberger und Warsteiner als Kommanditgesellschaft. Angesprochen auf das Verhältnis zum „Wettbewerber“, erklärt Hahn: „Wir sehen uns nicht als Konkurrenten, denn wir haben ja ähnliche Ziele. Die Gemema ist aber in der Hand der großen Brauer, und wie die Kleinen dort mitreden können, sei mal dahingestellt.“

Die Gemema, angeführt von dem ehemaligen Coke- und Petcycle-Manager Hans Baxmeier, hingegen erklärt, auch für kleine und mittelständische Braubetriebe da zu sein. „Mir ist wichtig zu betonen, dass wir den Einstieg für alle weiteren potenziellen Poolteilnehmer aus der gesamten Getränkebranche, also auch für Hersteller alkoholfreier Getränke, so einfach wie möglich gestalten – unabhängig von Größe und Volumina“, so Baxmeier. Es scheint so, dass die Gesellschaft derzeit die Nase vorn hat, denn auch der Verband Private Brauereien hat sich mittlerweile für dieses Modell ausgesprochen. „In letzter Konsequenz sind wir der Meinung, dass ein funktionierendes, flächendeckend gemanagtes Poolsystem nur mit den großen Marktführern realisiert werden kann“, erklärt Roland Demleitner, Bundesge‧schäftsführer des Verbandes. Auch Stefan Stang, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Private Brauereien Bayern, bekräftigt das Votum. „Die Vertreter der Gemema haben uns zugesichert, keine Konfrontation zwischen ‚Groß und Klein‘ herbeiführen zu wollen. Letztendlich machen zwei miteinander konkurrierende Poolgesellschaften der deutschen Brauwirtschaft, die noch dazu Gebinde des gleichen Füllvolumens abdecken wollen, auch keinen Sinn“, so Stang.

Schlagzeilen machte die Gemema auch, als bekannt wurde, dass nach 15 Jahren Schluss ist für die berühmte Individualflasche von Radeberger. „Wir verzichten im Bereich 0,33-Liter-Gebinde auf die beliebte Individualflasche – und stellen, auch als Beitrag zur Stabilisierung des durch wachsende Komplexitäten unter Druck geratenen Mehrwegsystems, auf eine Pool-Flasche um“, hieß es in einer Mitteilung. Gemeint ist der Pool der Gemema, deren Gesellschafter Radeberger ist.

So löst die neue Longneck-Poolflasche schrittweise die 0,33-Liter-Individualflasche von Radeberger Pilsner ab. Ein Flaschentyp weniger im Getränkemarkt, der sortiert werden muss. „Radeberger Pilsner war eine der ersten Biermarken, die in Deutschland national mit einer Individualflasche in den Markt gestartet sind – als Antwort auf den nicht geregelten, daher schlecht gepflegten und vor allem qualitativ nicht mehr akzeptablen NRW-Pool“, erläuterte zu Beginn des letzten Jahres Axel Frech, der damalige Geschäftsführer der Radeberger Exportbierbrauerei. Es bestehe zum allerersten Mal eine echte Chance, im deutschen Biermarkt einen geregelten Pool aufzusetzen, der die hohen Anforderungen an Qualität langfristig sichert und Investitionen in Poolgebinde wieder sinnvoll macht.
Die aktuellste Entwicklung bei der Harmonisierung des Flaschenpools ist die Meldung der Störtebeker Braumanufaktur, sich mit den eignen 0,5-Liter-Flaschen der Gemema anzuschließen. Damit haben die vier Großbrauereien mit Inhaber Jürgen Nordmann den ersten externen Mitstreiter gefunden. „Gut gebrautes Bier benötigt ein nachhaltiges und zukunftsweisendes Leergut-Management“, sagt Nordmann zu der Entscheidung.

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