Drogerieartikel Industrieabgase als Kohlenstoffquelle

Parfüm, Gesichtscreme, Reinigungsmittel, Verpackungen: In den Drogerieregalen lassen sich die ersten Produkte auf Basis von CO² finden. Welches Potenzial das Klimagas als Rohstoff hat.

Dienstag, 27. September 2022 - Drogerieartikel
Bettina Röttig
Artikelbild Industrieabgase als Kohlenstoffquelle
Bildquelle: Getty Images

Vom Saulus zum Paulus: Diese Verwandlung könnte das Klimagas CO2 durchmachen, wenn es nach Herstellern für das Drogerie-Segment geht. Sie setzen auf eine neue Technologie, die es jetzt möglich macht, CO2-Emissionen aus Industrieanlagen zu recyceln und in Produkten zwischenzuspeichern. Der Fachbegriff für die Abscheidung und die Wiederverwendung von CO2 lautet „Carbon Capture and Utilization“ (CCU).

dm Drogerie-Markt hat Ende 2021 erstmals Verpackungen und Produkte mit recyceltem CO2 vorgestellt: Den Anfang machten Spülmittel der Eigenmarke Denkmit in einer Kunststoffflasche mit 30 Prozent Kunststoff aus recyceltem CO2 (ohne Verschluss und Etikett. Hierfür arbeiten die Karlsruher mit Lanzatech zusammen. „Das CO2 wird direkt aus dem Schornstein einer Industrieanlage in einen Bioreaktor abgeleitet. Im Bioreaktor wird das CO2 mithilfe von Bakterien in Ethanol umgewandelt – derzeit in industriellem Maßstab weltweit einzigartig“, erklärt Kerstin Erbe, als dm-Geschäftsführerin verantwortlich für das Ressort Produktmanagement.

Ersatz von fossilem Kohlenstoff
Zwischen 50 Megatonnen und 5 Gigatonnen Kohlendioxid pro Jahr können aktuellen Schätzungen zufolge genutzt werden, heißt es in einer Bewertung des IASS Potsdam (Institute for Advanced Sustainability Studies/Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung). Dabei werde das verwendete CO2 in den Produkten nur über deren Lebensdauer hinweg gebunden, betonen die Forscher. Der ökologische Vorteil der CO2-Nutzung bestehe somit weniger in der Funktion als CO2-Senker als vielmehr in der Substitution fossiler Rohstoffe und der damit in Verbindung stehenden Einsparung von CO2-Emissionen.

Hier setzt auch Unilever an. „Wir sehen großes Potenzial in der Nutzung alternativer Kohlenstoffquellen. Unser Ziel ist es, bis 2030 alle Homecare-Produkte ohne den Einsatz von fossilen Kohlenstoffen herzustellen“, heißt es aus dem Konzern. Das Ziel ist Teil der Clean-Future-Strategie von Unilever. Im April 2021 launchte der Hersteller in China ein erstes Waschmittelprodukt der Marke Omo (Persil), das mit Tensiden auf Basis von aufbereitetem Kohlenstoff hergestellt wird.

Mit dem Waschmittel Coral Optimal Color+ folgte Ende 2021 das erste Produkt mit recyceltem CO2 in Deutschland. Für die Entwicklungen kooperierte Unilever mit Lanzatech und anderen Unternehmen wie India Glycols. „Die Ergebnisse und Learnings dieses Tests werden ausgewertet. Man kann aber sicherlich sagen, dass das Konzept ‚recycelter Kohlenstoff‘ nicht einfach zu kommunizieren ist“, so Unilever. Verbraucher seien sich oft nicht bewusst, dass Reinigungsmittel Inhaltsstoffe auf Basis von fossilen Brennstoffen enthalten, obwohl 46 Prozent der CO2-Emissionen auf diese Inhaltsstoffe zurückzuführen seien. „Mit recyceltem Kohlenstoff oder Kohlenstoff aus erneuerbaren Quellen kann dies deutlich reduziert werden. Wichtig ist hier, dass Claims faktenbasiert sind und dass Verbraucher gut informiert werden“, so der Hersteller. Die Vielzahl an oft unterschiedlichen Aussagen könne sonst für Verbraucher verwirrend sein.
Ethanol findet auch in zahlreichen Kosmetika Verwendung. Ende Oktober 2020 gab L’Oréal eine Partnerschaft mit Lanzatech und Total bekannt mit dem Ziel, Verpackungen mit recyceltem CO2 auf den Markt zu bringen. Spätestens bis 2025 soll der Rollout erfolgen.

Wofür CCU steht

Ziel von „Carbon Capture and Utilization (CCU)-Technologien“ ist es, CO2 aus den Rauchgasen industrieller Punktquellen oder direkt aus der Atmosphäre für die Industrie als Rohstoff wieder nutzbar zu machen.

CO2 in Körperpflegeformeln
Coty hat Anfang 2022 mit der Produktion von Parfüms begonnen, die Ethanol auf Basis von wiederverwendetem CO2 von Lanzatech beinhalten. Bis 2023 will das Unternehmen das alternative Ethanol im Großteil seines Duft-Portfolios einsetzen, inklusive der Marken Calvin Klein, Burberry, Boss, Gucci, Chloé und Marc Jacobs.

Beiersdorf setzt CO2-basiertes kosmetisches Ethanol in der neuen Nivea Men Feuchtigkeitspflege Climate Care ein, der Anteil an der Pflegeformulierung beträgt 14 Prozent. Der CCU-Prozess sei hinsichtlich der Dekarbonisierung der Umwelt eine wichtige Technologie, an die Beiersdorf als Konzern glaube und die man als erstes Hautpflegeunternehmen für die Produktion von Kosmetikprodukten nutze, so eine Sprecherin der Hamburger.

Die Maßnahme ist Teil der Nachhaltigkeitsagenda von Beiersdorf. „Wir haben bisher ausschließlich positive Reaktionen von Verbrauchern und von unseren Handelspartnern erhalten“, heißt es dort. Zudem wisse Beiersdorf aus Marktforschungen, wie wichtig Klimaschutz für den Nivea-Men-Konsumenten sei. Mehr als die Hälfte der Männer weltweit wollten aktiv ihren CO2-Fußabdruck reduzieren und interessierten sich für relevante Produktalternativen.

Der Einsatz neuer Technologien sei zunächst immer mit höheren Kosten verbunden. Die Mehrkosten gebe man jedoch nicht an die Endkonsumenten weiter. Beiersdorf sieht in dem Launch der Gesichtspflege eine klare Investition in den Klimaschutz und die Weiterentwicklung der CCU-Technologie. „Auch wenn die derzeitige Nutzung von CO2 als Ausgangsstoff auf industriellen Quellen beruht, achten wir darauf, dass es sich hierbei um derzeit nicht vermeidbare Emissionen handelt. Langfristig ist es unsere Vision, dass auch CO2 aus der Atmosphäre als Ausgangsmaterial für Rohstoffe verwendet werden kann.“

Nach Bewertung des Bundesumweltamtes wäre dieser Schritt der richtige. Mittels CCU-Maßnahmen werde der Kohlenstoff nur mehrfach genutzt und nicht dauerhaft gebunden, kritisiert das Amt. Es bedürfe daher einer zusätzlichen, dauerhaften Kohlenstoffentnahme aus der Atmosphäre (CDR – Carbon Dioxide Removal). „Wird Kohlenstoff aus der Atmosphäre entnommen und anschließend wieder emittiert, führt dies unabhängig von der Mehrfachnutzung zu einem geschlossenen Kreislauf, bei dem keine Mehremissionen durch den Menschen verursacht werden.“ Voraussetzung sei allerdings, dass entlang der gesamten Prozesskette der CCU-Maßnahmen keine weiteren Treibhausgasemissionen entstehen und ausschließlich erneuerbare Energien für die energetischen Aufwendungen verwendet würden, so das Fazit.

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