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Am 19. August diesen Jahres war es wieder soweit: Die Welt beging den Earth Overshoot Day. Ein klangvoller Name für eine ernüchternde Tatsache, denn ab diesem Zeitpunkt verbrauchen wir bereits mehr Ressourcen als die Erde für das Gesamtjahr produzieren kann. Alarmierend ist das Datum vor allem im Zeitvergleich, denn der Stichtag fällt jedes Jahr auf einen früheren Termin, noch im Jahr 2000 war der sogenannte Welterschöpfungstag für Anfang November berechnet.
Die Nachricht beweist einmal mehr die Dringlichkeit wirtschaftlichen Handelns. Besonders gefragt ist dabei aus Sicht der Verbraucher die Ernährungswirtschaft. Und diese hat in den vergangenen Jahren reagiert. Im Fokus der Kommunikation rund um das Thema Nachhaltigkeit stehen jedoch stets soziale und ökologische Projekte. Doch wie steht es um die dritte Säule des Nachhaltigkeits-Modells – die Ökonomie? Ist Nachhaltigkeit bereits Wirtschaftsfaktor?
Welchen Einfluss Nachhaltigkeits-Kommunikation auf Unternehmen bzw. auf deren Stakeholder hat, zeigt eine Umfrage von Grayling Pulse unter Kommunikationsexperten aus dem März 2013. Mehr als 30 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass CSR-Aktivitäten Einfluss auf die Reputation des Unternehmens haben, deutlich weniger gehen davon aus, dass diese der Mitarbeiter- und Stakeholder- (18 bzw. 15 Prozent) sowie der Kundenbeziehung (14 Prozent) zugute kommt, während die wenigsten (6 Prozent) von einem Effekt auf den Umsatz des Unternehmens ausgehen.
Die LP hat nach dem Kosten-Nutzen-Faktor nachhaltigen Wirtschaftens in der Branche gefragt. Erwartungsgemäß geben sich viele Unternehmen auf Anfragen nach harten Fakten hin sehr bedeckt. Doch einige Projekte zeigen, wie es um das grüne Konto bestellt ist.
Effizientere Technik, nachhaltige Pilotmärkte oder Produkte schlagen in Lebensmittel-Einzelhandel sowie bei Herstellern auf der Kostenseite zu Buche. Hinzu kommen Investitionen in soziale Projekte, Kommunikationsmaßnahmen und viele weitere Bereiche. Wie tief greifen die einzelnen Unternehmen in die Tasche, um ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen? Welcher Nutzen lässt sich monetär, welcher ideell benennen? Und ab wann zahlt sich Nachhaltigkeits-Engagement für ein Unternehmen aus?
„Ich bin davon überzeugt, dass Nachhaltigkeit das Potenzial hat, zu einem Wirtschaftsfaktor zu werden“, erklärt Dr. Daniela Büchel, Leiterin Corporate Responsibility, Corporate Marketing und Public Affairs der Rewe Group. Nachhaltigkeits-Engagement sei eine Investition in die Zukunft. „Natürlich verfolgen wir als Handels- und Touristikunternehmen klare wirtschaftliche Ziele. Diese erreichen und langfristig wachsen können wir aber nur, wenn wir Ressourcen schonen, mit Mitarbeitern ebenso wie mit Partnern fair und vertrauensvoll umgehen und einen Beitrag für die Gesellschaft leisten“, so Büchel. Einen Strich können die Kölner nicht unter ihre vielfältigen Nachhaltigkeits-Posten ziehen, interne Messungen zeigten jedoch, dass sich das Nachhaltigkeitsimage der Gruppe sukzessive verbessere, u. a. auch durch Nominierungen für öffentlichkeitswirksame Auszeichnungen. Messbar ist auch der Erfolg des Sortiments unter dem Pro-Planet-Label. Mittlerweile tragen mehr 500 Produkte das Label und erzielten damit einen Umsatzanteil im hohen einstelligen Prozentbereich, heißt es aus Köln.
Bei der Edeka Südwest lassen sich weder Investitionen in das grüne Maßnahmenpaket noch dessen Nutzen konkret beziffern, sagt Christhard Deutscher, Leiter der Unternehmenskommunikation der Regionalgesellschaft. Die Investitionen würden auf Großhandels-Ebene und in den Märkten getätigt und beträfen z. B. Projekte wie die Zertifizierung zum Audit Beruf und Familie, Entwicklungskosten für neue Produkte der Regionalmarke „Unsere Heimat – echt & gut“ und energetische Sanierungen von Märkten. Zwar lasse sich der ökologische Nutzen bei Projekten im Bereich Umwelt und Energie anhand von Einsparungen im Energiebereich ablesen – an CO2-Einsparungen oder am Einsatz alternativer Energien als Ersatz für fossile Brennstoffe – andere, zum Beispiel ökonomische oder soziale Dimensionen, ließen sich dagegen jedoch weitaus schwieriger messen. „Unser Engagement wird von unseren Kunden honoriert und wir sehen darin einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil für Edeka Südwest“, betont Deutscher dennoch.
Konkreter wird Tegut. Das hessische Handelsunternehmen hat nach eigenen Angaben in einem Zeitraum von 3 Jahren beispielsweise rund 3 Mio. Euro in die Nachrüstung von Glasdrehtüren, LED-Licht und Energiesparlüfter in den Kühlregalen für Molkereiprodukte und SB-Wurst in 100 Tegut-Märkten sowie in zwei eigene Fotovoltaik-Anlagen zur Eigenstromversorgung auf den Märkten in Schlüchtern und Marburg Cappel investiert.
„Bei Maßnahmen, die auf Energieeinsparung abzielen, gehen wir von einem Return on Invest von 3,5 bis 4 Jahren aus“, sagt Rainer Rausch, Leiter Marketing-Service bei Tegut. Bei kostenneutralen Maßnahmen könne man nicht im Detail nachvollziehen, was, wie und wann beim Kunden ankomme. „Das Bewusstsein der Kunden fußt auf vielen Eindrücken und Bestrebungen von Tegut im Bereich Nachhaltigkeit. Verringert man beispielsweise den CO2-Ausstoß der Fahrzeugflotte, lässt sich schwer ermitteln, ob ein Kunde aufgrund dessen bewusst mehr bei Tegut einkauft“, so Rausch.
Nachhaltiges Wirtschaften verankert die Bitburger Braugruppe aktuell Schritt für Schritt in allen Unternehmensbereichen und entlang der gesamten Wertschöpfungskette von den Rohstoffen bis zum Verbraucher. Insbesondere das Investment in den Aufbau des strategischen Nachhaltigkeits-Management-systems lasse sich nicht in Zahlen fassen. Hier ginge es vornehmlich darum, Know-how im Unternehmen aufzubauen. Die Gruppe investiert regelmäßig in technische Neuerungen, die nach eigenen Angaben gleichermaßen auf ökologische und ökonomische Ziele einzahlen.
Für Jan Niewodniczanski, Geschäftsführer Technik der Bitburger Braugruppe und Vertreter der siebten Familiengeneration, ist es jedoch ein Fehler, in der Nachhaltigkeitsdiskussion die Kosten-/Nutzen-Analyse in den Vordergrund zu stellen, „da es sich hier lediglich um eine kurzfristige Betrachtungsweise handelt. Wir sind ein Familienunternehmen und denken langfristig. Für uns zahlt sich Nachhaltigkeitsengagement also dann aus, wenn wir in der sehr wettbewerbsintensiven Branche weiterhin erfolgreich bestehen und das Familienunternehmen an die folgenden Generationen übergeben können. Neben dieser langfristigen Sicherung des Unternehmenswerts werden wir daher auch weiterhin in Nachhaltigkeits-Aktivitäten der Säulen Ökologie und Soziales investieren. Das ist unser Beitrag, den wir auch für die Gesellschaft leisten möchten.“
Beispiele für Maßnahmen, die enorme Effekte auf das Nutzen-Konto haben, gibt Bitburger dennoch: Rund 25 Mio. Euro kostete eine 2012 eingeweihte Flaschenabfüllanlage in Wernesgrün inklusive Halle und Energiekonzept. Hier wurde ein Blockheizkraftwerk-Konzept mit einer Flaschenwaschmaschine einer Mehrweg-Abfüllanlage gekoppelt. Neben den ökologischen und ökonomischen Vorteilen, die aufgrund der hohen Wirkungsgrade der Kraft-Wärme-Kopplung vorhanden seien, senke die neue Abfüllanlage den Wasserverbrauch bei der Flaschenabfüllung um 130 ml je Flasche – das entspreche einer Ersparnis von 54 Prozent. Weitere 15 Mio. kostete eine neue Flaschen-Abfüllanlage am Standort Bitburg, die Anfang 2014 in Betrieb genommen wurde. Sie benötigt im Vergleich rund 40 Prozent weniger Wasser und Reinigungslauge. Der Wärmeverbrauch sei um 27 Prozent gesunken, der CO2-Verbrauch um 42 Prozent und der Strombedarf sogar um 48 Prozent. Soziale Maßnahmen, bspw. zur Gesundheitsförderung durch Gesundheitstage, Schutzimpfungen etc., ließen sich kaum in direkten Euro-Einsparungen darstellen, würden ihre Wirksamkeit nach und nach entwickeln und zu höherer Mitarbeiterzufriedenheit und Loyalität sowie zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität beitragen.
Für den Süßwaren-Hersteller Mondeléz sind Transparenz und Messbarkeit unternehmerischen Nachhaltigkeits-Engagements von großer Bedeutung. Rund 600 Mio. USD (rund 460 Mio. Euro) steckt der Konzern nach eigenen Angaben bis 2022 in deine Initiativen „Cocoa Life“ und „Coffee Made Happy“. Aktuell arbeite man daran, neue Standards in der Bewertung von Maßnahmen zu setzen und die Erfolge des eigenen Nachhaltigkeitsprogramms „Cocoa Life“ durch Drittparteien messbar zu machen, erklärt Mondeléz-Sprecherin Heike Hauerken. „Gemeinsam mit einem Forschungsteam der Universität Harvard und externen Partnern wie Care International erheben wir die Fortschritte im Rahmen unserer Initiative ,Cocoa Life’ anhand von klar definierten Kennzahlen.“ Noch in diesem Jahr sollen erste Ergebnisse vorliegen und künftig jährlich Daten erhoben werden.
Weiter ist das Soester Unternehmen Kuchenmeister. Eine detaillierte Kosten-Nutzen-Analyse der Nachhaltigkeits-Maßnahmen des Backwarenspezialisten hat das Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung der Universität Witten-Herdecke erstmals durchgeführt.
Projektleiterin Mirjam Rübbelke, wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZNU, hat dabei rückwirkend für das Jahr 2012 Faktoren wie Investitionen in Technik und Produktion sowie den zeitlichen Aufwand und die Personalkosten für die Dokumentation von Nachhaltigkeits-Maßnahmen und deren Zertifizierung Dimensionen wie Ersparnis durch Ressourceneffizienz, Imagegewinn und verbesserten Stakeholderbeziehungen auf der Nutzenseite gegenübergestellt. Basis der Berechnung ist der ZNU-Standard „Nachhaltiger Wirtschaften Food“, nach dem Kuchenmeister zertifiziert ist. Das Pilotprojekt zeigt, dass eine Erfassung der Kosten in 9 der 10 Kategorien (s. Kasten) möglich ist, der monetären Nutzen kann in 4 Kategorien erfasst werden.
Kuchenmeister setzt seit vielen Jahren eine Vielzahl an Projekten um, für die im Einzelnen Werte zusammengetragen wurden. Hierzu zählen Maßnahmen wie eine stringente Abfallsortierung und Wertstoffrückgewinnung (z. B. Metall, Papier, Leuchtstoffröhren und Trägerpapier), die Reduktion der Druckluft und des Druckluftverlustes, die Nutzung von Regenwasser, die Umstellung auf den regionalen Einkauf von Grundrohstoffen wie Mehl, Eier und Zucker sowie für Kartonagen, Etiketten, Reinigungsmittel uvm.
Investiert hat Kuchenmeister vor allem in seinen Fuhrpark und innovative Technik. Rund 1,6 Mio. km umfasste die Gesamtfahrleistung der Kuchenmeister-Flotte 2013. Allein die regelmäßigen Fahrerschulungen für Kraftstoffsparendes Fahren führten zwischen 2010 und 2014 zu Kraftstoffersparnissen von knapp 3 l pro 100 km. Für das Jahr 2012 floss unterm Strick eine Ersparnis von rund 31.000 Euro in die Nutzen-Rechnung ein. Investitionen in neue Erdgas- und Euro-VI-Diesel-Zugfahrzeuge führten zudem zu deutlichen CO2-Einsparungen. Insgesamt verbuchte Kuchenmeister für den Posten des klimafreundlichen Fuhrparks einen um 20 Prozent höheren Nutzen im Vergleich zu den Ausgaben.
Gerechnet haben sich auch bereits die Investitionen in neue Technik in der Produktion. Ein Beispiel hierfür ist der Einsatz einer neuen patentierten Desodorierungs- und Wärmerückgewinnungsanlage, durch die heiße Backschwaden in der Backstraße mithilfe von Wasser aufgefangen und gefiltert werden und deren Energie in Form von Reinigungs- und Heizungswasser weiterverwendet wird. Durch die jährliche Energieersparnis amortisierten sich die Kosten für die Anlage bereits nach 24 Monaten.
Auch indirekte Einsparungen durch eine, gemessen am Durchschnitt, sehr geringe Mitarbeiterfluktuation und damit verbundene Kosten-Einsparungen für Mitarbeiter-Akquise, Einarbeitung etc. wurden schließlich zusätzlich mit einem konkreten Wert dem Nutzen-Konto hinzuaddiert.
Alle Werte auf Kosten- und Nutzen-Seite für das Jahr 2012 zusammengezählt, kommt die Analyse des ZNU zu einem eindeutigen und sehr erfreulichen Ergebnis: Das Nachhaltigkeits-Engagement rechnet sich! So überstieg der Nutzen des Maßnahmen-Pakets, das Kuchenmeister bereits umgesetzt hat, die Investitionen im siebenstelligen Bereich im Vergleich um gut ein Drittel – indirekte Nutzen durch eine geringere Mitarbeiterfluktuation und CO2-Einsparungen eingerechnet. In den nächsten Jahren dürfte die Bilanz durch weitere Maßnahmen noch besser ausfallen.