Staatliches Klimalabel Ab Mitte 2024 wird es ernst(er)

Ein staatliches Klimalabel ist als erster Schritt hin zu einer staatlichen Umweltkennzeichnung gedacht. Auch „Greenwashing“ gerät immer stärker ins Visier. LP kennt Einzelheiten.

Montag, 27. März 2023 - Management
Thomas Klaus
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Bildquelle: Universität Göttingen

Mitte 2024 könnte in Deutschland ein neues Kapitel in der Klimaschutz-Debatte aufge‧schlagen werden. Denn dann soll der erste konkrete Entwurf eines staatlichen Klimalabels für Lebensmittel vorliegen. Das hat Professor Dr. Achim Spiller (Foto) von der Georg-August-Universität Göttingen im exklusiven LP-Gespräch angekündigt. 2022 hatte das Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung seiner Lehrstätte den Auftrag des Landes Niedersachsen erhalten, eine solche Kennzeichnung zu entwickeln. Obwohl das Klimalabel zuerst einmal ein niedersächsisches „Gewächs“ sein wird, geht der renommierte Marketing-Professor für Lebensmittel und Agrarprodukte von einer bundesweiten Signalwirkung aus. Noch dazu, weil auch der WBAE ein staatliches Klimalabel befürwortet. WBAE – das ist der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz. Vorsitzender dieses einflussreichen Gremiums: Achim Spiller.

Bio-Branche in schwieriger Lage

Wie das Label aussehen soll? Es darf eine farblich codierte, fünfstufige Kennzeichnung erwartet werden – ähnlich dem Nutri-Score oder auch der Energieklassifizierung bei Elektrogeräten. „Das überschaubare und zugleich differenzierte Ampel-Farbschema nutzt den Wiedererkennungswert bereits bekannter Wertungssysteme“, so Spiller. Deshalb könnten die Verbraucher die Bewertung leicht und schnell nachvollziehen, meint der Wissenschaftler.
Unter die Lupe genommen und dem Konsumenten präsentiert werden Treibhausgasemissionen über alle Lebensmittel hinweg. Ein relatives Rating von Produkten innerhalb einer Warengruppe wäre hingegen nach Auffassung von Professor Spiller „tendenziell irreführend“. Überhaupt, die Irreführung… „Greenwashing“ sei weitverbreitet, kritisiert Spiller. Er nimmt sich Begriffe wie „C02-neutral“, „klimaneutral“ oder „klimapositiv“ zur Brust. Ginge es nach dem Göttinger Wissenschaftler, würden solche Werbeaussagen sogar verboten werden, „weil die Verbraucher den realen Treibhausgasausstoß nicht erkennen können, der mit dem Kompensationsanlass verbunden ist“.

Achim Spiller ist überzeugt: „Die bisherige unregulierte Klimawerbung stößt an Grenzen.“ Bei einem staatlichen Klimalabel könnten Anbieter von Produkten, die im grünen Bereich eingeordnet würden, frohlocken. Wenn aber nicht gleichzeitig Greenwa‧shing untersagt werde, würden sich Produzenten klimabelastender Lebensmittel voraussichtlich zu anderen Typen von Klimakennzeichnungen flüchten, wie etwa dem Werbeclaim „klimaneutral“. In der Bredouille könnte ebenfalls die Bio-Branche stecken. Die gilt zwar als umweltfreundlich. Aber bei einer isolierten Betrachtung der Klimabelastung würde die Bio-Branche angesichts der geringeren Flächeneffizienz des ökologischen Anbaus im Durchschnitt ähnlich abschneiden wie konventionelle Produkte. Das Spiller-Fazit: Perspektivisch sollte ein Klimalabel verpflichtend sein. Außerdem sollte der Staat zumindest die Oberaufsicht über ein neutrales Zertifizierungsverfahren behalten.

Lebensmittelwirtschaft mit ins Boot holen

Nichtsdestotrotz legt Achim Spiller Wert darauf, die Lebensmittelwirtschaft beim Klimalabel-Prozess möglichst ins Boot zu holen. Seine Position: „Zunächst und vordringlich ist ein Klimalabel ein Instrument zur klimafreundlichen Gestaltung des Ernährungsstils. Im Anschluss kann es sich zum Instrument im Wettbewerb um mehr Klimaschutz zwischen verschiedenen Herstellern entwickeln.“ Ein Klimalabel würde der Lebensmittelwirtschaft „Anreize für ein optimaleres Angebot“ liefern. Wirtschaft und LEH seien da durchaus offen. Das zeige sich zum Beispiel auch am Klimalabel-Beirat, in dem Unternehmen wie Lidl, Agrarfrost, Deutsches Milch-Kontor und Hochland mitarbeiten.

In die Zukunft gerichtet, würde ein Klimalabel nach Ansicht Spillers allerdings zu kurz greifen. Vielmehr wäre es ein Startpunkt für ein umfassendes staatliches Umweltlabel in Deutschland. Ein Vorbild: Frankreich. Dort wurde 2021 ein Klimagesetz verabschiedet. Und bereis 2023 steht im Nachbarland eine verbindliche staatliche Umweltkennzeichnung für Lebensmittel auf der Agenda.