Trading-up im Discount Betriebstypen nähern sich an

Discount und Supermarkt unterscheiden sich deutlich. Hier der Preiseinstieg, da Vollsortiment und Premium. In Krisenzeiten kommen sich die Betriebstypen aber näher.

Montag, 27. März 2023 - Management
Matthias Mahr
Artikelbild Betriebstypen nähern sich an
Bildquelle: Aldi Süd

Schlechte Zeiten sind gute für den Discount. Während die Marktanteile der Discounter steigen, treten die Supermärkte auf der Stelle. Die Aussagen von Dr. Robert Kecskes, Insights Director bei GfK Consumer Panels & Services, klingen paradox. „Derzeit verlieren Supermärkte keine Käufer, sie gewinnen sogar neue hinzu – genauso wie die Discounter“, sagt er. Allerdings: „Die Umsätze wachsen im Discount stärker als im Supermarkt. Das liegt daran, dass die Nebenausgaben der Supermarktkäufer steigen. Und diese Nebenausgaben werden im Discount getätigt“, erklärt der Marktforscher. Das Kaufverhalten hat sich rasant verändert, weil Geld weniger wert ist. Dr. Tobias Maria Günter, Partner bei Simon-Kucher, spricht vom „Kampf der Händler um den Kunden im Preiseinstiegssegment“. Viele Kunden müssen sparen und das geringer werdende Budget zusammenhalten. Die neuen Aldi-Märkte machen einen sehr guten Eindruck auf den Pricing-Experten. Ihm gefällt, dass Aldi den Kunden inzwischen ein zwar einfaches, aber angenehmes Einkaufserlebnis im neuen Designkonzept mit Fokus auf der Frische der Lebensmittel biete. Nicht nur in den modernisierten Filialen von Aldi Süd werden die Kunden mittlerweile direkt am Eingang von einer reichen Auswahl an frischem, teils gekühltem Obst und Gemüse sowie Frischfleisch und Fisch begrüßt.

Umsatzschwund: Supermärkte kämpfen

Wenn Umsätze vom Supermarkt zum Discount wandern, dann ist das schlecht. Wenn Kunden mit den Füßen abstimmen und abwandern, dann ist das verheerend, da sie nur schwer zurückzugewinnen sind. Noch verlieren die Supermärkte keine Käufer, noch sind es nur Umsätze, die eine Umschichtung erfahren. Die Nebenausgaben der Supermarktkunden im Discount steigen, weil das Geld in den Taschen knapper wird. Aldi, Lidl, Netto, Penny und Norma nehmen den Ball derzeit auf und versuchen, Supermarktkunden mit Zusatzsortimenten zu binden. Aldi punktet im Süden und Norden mit pflanzlichen und Bio-Produkten. Wenn die Zeiten schlecht bleiben, droht den Supermärkten weiterer Umsatzschwund.

Trading-up hat es beim Discount immer gegeben

Will Aldi zu den Supermärkten aufschließen? Schließlich kann Edeka ja auch Discount, wie die Hamburger Zentrale vergangenes Jahr wissen ließ. 7.000 Artikel pries Deutschlands führender Händler zum Niedrigpreis an. Vor allem die 2.600 Produkte der eigenen Marke sollten ins Schaufenster gerückt werden. Im eigenen Haus schuf die Edeka sogar eine Wettbewerbssituation zwischen ihren Vollsortimentern und Netto, zwischen Selbstständigen und Regie. Verringert sich in Zeiten von Inflation der Abstand im Angebot der Handelskanäle? „Nein“, sagt Prof. Dr. Carsten Kortum, Studiengangsleiter BWL-Konsumgüterhandel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Ein Trading-up beim Discount habe es schon immer gegeben. Kortum schreibt den Betriebstypen weiterhin unterschiedliche Zielgruppen zu. Beim Discount stehe auch weiterhin die Produktivität im Vordergrund, beim Supermarkt die Profilierung über die Sortimentsvielfalt.

Als nicht zielführend sehen GfK-Konsumforscher Kecskes und Wissenschaftler Kortum den eingeschlagenen Weg der Edeka an, als Supermarkt auch Discounter sein zu wollen. „Kurzfristig war das nicht falsch“, betont Kecskes, aber mittelfristig gehe es um eine strategische Perspektive. Und die sei hier nicht gegeben. Kortum pflichtet bei, Vollsortimenter sollten in ihrer Kommunikation nicht dem Discount entgegenkommen. Das schade eher. Die Edeka verliert wohl schon Kunden, wie ein Gebietsleiter, der nicht genannt werden will, auf LP-Nachfrage verrät. Und irgendwie scheint es, als zerstöre die Edeka seit Monaten das berühmte Porzellan im eigenen Laden. Markus Mosa hat als Edeka-Vorsitzender seit 2008 sehr viel richtig und gut gemacht. Aber seine Discount-Strategie hat bei seinen selbstständigen Kaufleuten nicht richtig verfangen können. Dass sich Mosa zum Anwalt des Verbrauchers aufgeschwungen hat, bereitet auch nicht allen Kaufleuten Freude. Wer auf Marken des US-Konzerns Mars verzichten muss, verliert Markenkäufer, die lieber Miracoli statt Delverde kaufen wollen – um nur ein Beispiel zu nennen. Schlimmer noch sind allerdings derzeit die Supply-Chain-Probleme der Hamburger. Der Gebietsleiter berichtet von Kaufleuten, die von einer wahnsinnigen Out-of-stock-Quote sprächen und Regallücken beklagten. „Die Kunden verstehen es nicht, wenn es ihre Marke bei Tiernahrungs- oder anderen Produkten nicht gibt. Und um bei uns Discountpreise zu bekommen, muss sich der Kunde, falls es sie gibt, auf die Brustwarzen legen. Wir sind aktuell vielfach schlecht sortiert“, berichtet der erfahrene Manager vom Leiden der eingefleischten Edeka-Kaufleute. Die Edeka rudert schon zurück: Die aggressive Discount-Kommunikation findet nicht mehr statt. Ein möglicher Fehler besteht weiter fort: Auf Eigenmarkenverpackungen prangen oft die Logos von Edeka und Netto. Auch das ist aus der Sicht der Selbstständigen nur für Netto eine gute Situation.

Der ehemalige Kaufland-Topmanager Frank Lehmann weiß: „Ich verärgere als Händler meine Kunden, wenn ich Preisversprechen nicht erlebbar mache. Ich kann verstehen, dass Rewe und Edeka mit ihren Handelsmarken die Preiseinstiegskunden halten wollen.“ Lehmann, heute Herausgeber von „Supermarkt Inside“, unterstreicht: Im Supermarkt müsse der Einkauf ein Erlebnis sein. Das falle dem Discounter schwer. Wer Probleme mit dem Personal habe und deshalb Bedientheken schließen müsse, habe in der Vergangenheit viel falsch gemacht. Besonders an der Bedientheke und bei Frischethemen werde der Unterschied zwischen Supermarkt und Discount manifest.

Marktforscher Kecskes denkt in Szenarien. „Wenn die wirtschaftliche Lage angespannt bleibt, werden wir kurzfristig eine weitere Anpassung der beiden Handelstypen sehen, aber mittelfristig werden da zwei klare Profile weiter existieren“, blickt er voraus. Der Discount arbeite im Raum der Restriktion, der im Moment aufgrund der wirtschaftlichen Situation Zulauf habe, sagt er. Der Supermarkt spiele im Raum der Möglichkeiten, der Opportunitäten. „Und das ist meines Erachtens eine zielführende Platzierung. Beim Raum der Möglichkeiten heißt es nicht, dass ich keine Menschen im Markt haben möchte, die finanziell nur wenig Freiheiten haben. Ich sollte auch Preiseinstiegsmarken haben. Aber ich starte vom Raum der Möglichkeiten und schaue dann, wie ich die Menschen an meinen Markt binden kann, die weniger Geld zur Verfügung haben.“ Umgekehrt im Discount: Dieser starte vom Raum der Restriktion und schaue dann nach den Käufern aus der Mittelschicht, die noch Geld haben. Das sei eine andere Perspektive. In beiden Fällen werden die Handelsmarken weiteres Gewicht bekommen, aber auch da kommt es zu Differenzierungen zwischen Discount und Supermärkten.

41%

der Verbraucher wollen laut einer Tegut-Umfrage in günstigeren Läden und seltener einkaufen. Der Kauf von Bio-, regionalen und Frische-Produkten verlagert sich zum Discount.

21%

der Deutschen geben bei der GfK an, öfter im Discount einkaufen zu wollen. Die Verfügbarkeit von günstigen Handelsmarken und Promotions werden besonders geschätzt.

60%

betragen die Marktanteile von Handelsmarken in der Schweiz in Supermärkten in etwa. Für Deutschland sei das so nicht zu erwarten, betont Kecskes von der GfK.

Marktanteile: Discounter profitieren

50 Prozent der Deutschen kommen mit der aktuellen wirtschaftlichen Situation zurecht. Faktisch sei es aber so: „Alle Haushalte haben weniger oder wenig Geld zur Verfügung im Vergleich zu den Vorjahren“, betont Robert Kecskes, Marktforscher der GfK. Im GfK-Panel geben aktuell 23 Prozent der Haushalte an, dass sie sich fast gar nichts mehr leisten könnten. Das sei eine große Steigerung im Vergleich zum Vorjahr. „Und die, die sich noch etwas kaufen könnten, gehen vorsichtig mit ihren Ausgaben um. Diese angespannte Situation werden wir 2023 weiterhin haben“, verheißt der Ausblick für Vollsortimenter nichts Gutes. Entspannt sich die wirtschaftliche Situation nicht, könnten Discounter wie Handelsmarken weitere Marktanteile gewinnen.