Handelsverbände 700 Millionen Euro Verlust...

… täglich: Das verliert der gesamte Einzelhandel in Deutschland an jedem weiteren Tag des Lockdowns. Die Handelsverbände befürchten eine Pleitewelle; viele Unternehmen wollen klagen.

Freitag, 26. Februar 2021 - Management
Andrea Kurtz
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Es falle ihm extrem schwer, den sonst üblichen Jahresausblick zu geben. Stefan Genth, Chef des Handelsverbands Deutschland (HDE), wurde drastisch. Nach dem vorausgegangenen Corona-Gipfel wirft er der Politik Wortbruch vor. Jeder Tag, an dem der Handel weiter schließen müsse, koste die Branche 700 Millionen Euro, rechnete er vor.
Es sei eine Farce, wie der Bundeswirtschaftsminister parallel zur Entscheidung eines verlängerten Lockdowns verkündet habe, jetzt könne die Überbrückungshilfe III beantragt werden – denn bisher seien nur rund 90 Millionen Euro an Hilfen überhaupt bei den Händlern angekommen. „Ohne weitere Hilfe müssen nach unseren Umfragen 20 Prozent der Innenstadthändler im ersten Halbjahr aufgeben; 37 Prozent rechnen im zweiten Halbjahr damit“, rechnet Genth vor. Selbst wenn die Mode-, Schmuck- und Elektro‧nik‧läden bereits im März wieder öffnen dürften, werde der Umsatz im sogenannten Non-Food-Bereich im Gesamtjahr 2021 um 15 Prozent oder 25 Milliarden Euro unter dem Niveau des Vorkrisenjahres 2019 liegen. Verzögere sich die Öffnung bis in den Mai, liege das Minus sogar bei 29 Prozent – oder 47 Milliarden Euro.

Ging der HDE bisher davon aus, dass die Krise zu bis zu 50.000 Insolvenzen und dem Verlust von bis zu 250.000 Arbeitsplätzen führen könne, so blickt der Verband inzwischen noch pessimistischer in die Zukunft. „Die 50.000 sehen wir mittlerweile als untere Grenze. Es können deutlich mehr werden“, sagte Genth.

Altmaiers Einsicht?
Die klaren Worte von HDE und anderen Wirtschaftsverbänden blieben bei Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier offenbar nicht ungehört. Mitte Februar hatte er Vertreter von rund 40 Organisationen und Unternehmen zum Wirtschaftsgipfel eingeladen – und Hilfen angekündigt. Der HDE begrüßte die Hilfszusagen für größere Handelsunternehmen; jetzt können die staatlichen Überbrückungshilfen künftig auch Unternehmen mit mehr als 750 Millionen Euro Jahresumsatz zustehen.

Eine Öffnungsstrategie fehlt aber noch immer. Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbands Die Familienunternehmer, zeigt sich nach dem Gipfel überrascht, dass der Bundeswirtschaftsminister den Austausch nicht dazu genutzt hat, einen eigenen Stufen-Öffnungsplan vorzustellen. „Es braucht jetzt einen für ganz Deutschland einheitlichen Stufenplan, der von den Landkreisen je nach Lage vor Ort umgesetzt wird“, sagt er. Wichtig sei dabei nicht nur der starre Blick auf die Inzidenzzahlen, sondern auch auf die Auslastung der Intensivbetten oder die Impfquote unter den Risikogruppen“

Öffnungsstrategie gefordert
Nach wie vor aber setzt sich der Verband für weitere Veränderungen bei den Coronahilfen ein und pocht auf eine transparente und faire Öffnungsperspektive für den Handel. So müsse eine Möglichkeit zur Auszahlung eines Unternehmerlohns geschaffen werden. Ansonsten drohe vielen Inhabern kleiner und mittelständischer Unternehmen der Absturz in die Armut. Zudem müssten die Abschreibungsmöglichkeiten für die unverkäufliche Ware vereinfacht und auf die komplette Saisonware bezogen werden.

Zudem fordern alle Unternehmensvertreter wie schon zuvor eine transparente und faire Öffnungsperspektive für die derzeit geschlossenen Einzelhändler. Der Einzelhandel habe in den letzten Monaten bewiesen, dass er auch bei Inzidenzen von über 50 oder 35 mit seinen funktionierenden Hygienekonzepten sicherstellen könne, dass der Einkauf nicht zum Hotspot werde. Das zeige besonders der durchgehend geöffnete Lebensmittelbereich. Hier seien täglich rund 40 Millionen Kundenkontakte ohne größere Ansteckungen möglich, so Genth.

Händler werden klagen
Nicht nur der HDE rechnet jetzt mit Klagen der Unternehmen gegen die Regierungsbeschlüsse. Einige machen bereits Ernst: Der Unitex-Einkaufsverbund mit 800 angeschlossenen Mode-Einzelhändlern hat Eilanträge gegen den verlängerten Lockdown angekündigt. Die Lockdowns seien unverhältnismäßig, denn es gebe keinen Beleg, dass die Geschäfte Corona-Hotspots seien, so die Begründung. In Bayern unterstützt der Handelsverband die Klagen. „Wir werden diese abstrusen Regelungen gerichtlich überprüfen lassen“, so der Sprecher des Handelsverbands Bayern, Bernd Ohlmann. „Die Politik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht und bleibt in dieser für uns alle dramatischen Situation den versprochenen Plan zum Ausstieg aus dem Lockdown schuldig“, klagte er. Der Umgang der Politik mit den betroffenen Handelsunternehmen sei unangemessen.