Herr Galvin, wollen sich die Deutschen nicht einmal mehr die 1-Liter-Flasche Coca-Cola leisten?
John Galvin: Wie kommen Sie darauf?
Sie haben in Deutschland gerade eine 0,85-Liter-Flasche eingeführt. Die gab es bisher nur in Polen.
Es wird Coca-Cola weiterhin auch in einer 1-Liter-Mehrwegflasche geben. Aber in der Tat, bei unserem Einweg-Portfolio haben wir uns für eine neue Strategie entschieden. Mit der 0,85-Liter-Flasche möchten wir die große Gruppe der Gelegenheitskäufer besser erreichen. Das ist eine Strategie, die zu den Trends in Deutschland passt – dazu, dass die Haushalte immer kleiner und die Konsumenten im Durchschnitt älter werden.
Letztlich geht es Ihnen darum, ein Produkt anzubieten, das günstiger ist als die 1-Liter-Flasche, oder?
Die neue 0,85-Liter-Flasche ist aufgrund des Formats viel sichtbarer im Regal. Aber ja, auch der Preis spielt eine Rolle: Wir zielen auf einen Preis unter der 1,50-Euro-Schwelle ab – wobei der Handel darüber natürlich entscheidet.
Das ist Coca-Cola Europacific Partners
John Galvin ist Deutschlandchef von Coca-Cola Europacific Partners (CCEP). Das Unternehmen füllt Getränke wie Coke und Fanta in vielen Ländern Europas und Südostasiens sowie in Australien ab. CCEP ist börsennotiert. Nur 17 Prozent der Anteile gehören dem Coca-Cola-Konzern in Atlanta, der die Rechte an der Marke Coca-Cola hält. CCEP ist gemessen am Umsatz nach eigenen Angaben der weltgrößte Abfüller von Coca-Cola-Produkten. Das Unternehmen ist der größte Getränkehersteller in Deutschland.
Im vergangenen Jahr ist Coca-Cola in Deutschland gemessen an der Menge nicht gewachsen. Haben Sie die Preisschraube überdreht?
Wir wissen, dass wir uns das Recht auf Preiserhöhungen verdienen müssen. Und ich glaube, das haben wir: 2023 haben wir ein massives Umsatzwachstum von 12,5 Prozent erzielt. 2024 sind wir – auch mengenmäßig – im Handel weitergewachsen. Allerdings waren die Absätze auf dem Außer-Haus-Markt schwach, das hat sich auf unser Geschäft ausgewirkt.
Woher kommt diese Schwäche in der Gastronomie?
Die Mehrwertsteuer auf Gastronomie-Umsätze spielt dabei eine große Rolle. Anfang 2024 hat die Politik den entsprechenden Mehrwertsteuersatz ja wieder auf 19 Prozent erhöht, nachdem dieser in der Corona-Krise auf 7 Prozent gesenkt worden war. Das hat den Aufschwung des Jahres 2023 in der Gastronomie zunichtegemacht. Wir fordern, dass die neue Bundesregierung den Satz wieder auf 7 Prozent senkt. Es steht schließlich viel auf dem Spiel: die Vielfalt der Gastronomie, die Lebensqualität, Arbeitsplätze. Die Lebendigkeit unserer Städte ist längst bedroht: Fußgängerzonen werden immer leerer.
Anfang 2024 waren Sie trotz Mehrwertsteuererhöhung optimistisch: Sie versprachen sich viel von der Fußball-Europameisterschaft. Wie konnte der EM-Effekt derart verpuffen?
Im Handel ist es für uns durchaus gut gelaufen: Wir haben unseren Kunden im vergangenen Jahr 300 Millionen Euro mehr Umsatz gebracht. Auch für die Gastronomie sind die Rahmenbedingungen in Deutschland eigentlich positiv: Wir haben Vollbeschäftigung, die Inflation sinkt, die Löhne steigen. Das Problem ist, dass die Verbraucherstimmung schlecht ist. Ich hatte gehofft, dass ein Ereignis wie die Fußball-EM daran etwas ändern würde. Aber, zugegeben, das war nicht der Fall. Das Wetter spielte nicht mit, die politische Lage war schwierig. Trotzdem, ich bleibe Optimist. Ich rechne fest damit, dass die künftige Bundesregierung auf Investitionen und Fortschritt setzen wird. Das wird die Stimmung der Verbraucher heben.
Ihr Unternehmen sendet unterschiedliche Signale: Sie schließen einerseits Standorte. Anderseits investieren Sie in diesem Jahr 150 Millionen Euro in Deutschland, zum Beispiel in eine neue Dosen-Linie in Halle. Wie viel Vertrauen haben Sie in den Standort Deutschland?
Wir haben die Zahl unserer Werke in Nordrhein-Westfalen von drei auf zwei reduziert, weil dort hohe Investitionen nötig gewesen wären. Diese Entscheidung war Teil eines Rationalisierungsprozesses – und kein Zeichen mangelnden Vertrauens in den Standort Deutschland. Wir haben außerdem Vertriebsstandorte geschlossen, weil unsere Kunden zunehmend die Auslieferung selbst übernehmen möchten. Wir glauben an den Standort Deutschland. Wir wissen allerdings auch, dass dies immer weniger ausländische Investoren tun – und wir verstehen die Gründe dafür. Auch unser Aufsichtsrat stellt kritische Fragen zum Standort Deutschland.
Was antworten Sie dann?
Ich sage: Wette niemals gegen Deutschland! Das Land hat es immer wieder geschafft, sich zu reformieren. Das hat langfristig zu seinem Erfolg beigetragen. In der künftigen Regierung sind die Probleme zumindest bekannt: Praktisch alle Politiker sprechen von der Bürokratie als Hindernis und der Notwendigkeit, die Produktivität zu steigern, mehr Anreize für Investitionen zu schaffen. Unsere Hoffnung ist, dass sie entsprechend handeln. Deshalb geben wir dem Standort einen großen Vertrauensvorschuss: Unsere Investitionen in Produktionslinien zum Beispiel sind auf einen Planungshorizont von
40 Jahren ausgelegt.
Wäre es günstiger, Getränke für den deutschen Markt im Ausland abzufüllen?
Heute sicherlich noch nicht, unsere Nähe zu den Kunden ist immer noch ein Wettbewerbsvorteil. Deshalb investieren wir auch langfristig. Das Risiko ist allerdings da, wenn die Kosten und die Komplexität weiter steigen. Die Politik muss auch deshalb deutlich aktiver werden.
Coca-Cola hat bislang bewusst auf die regionale Abfüllung gesetzt. Ändert sich das?
Wir sehen in der lokalen Produktion einen großen Vorteil: Die Nähe zum Markt ist wichtig, kurze Transportwege machen unsere Produktion nachhaltiger. Trotzdem müssen die Rahmenbedingungen stimmen. In der Lebensmittelbranche zeigt sich längst, dass immer mehr Produkte importiert werden. Der Preisdruck vom Konsumenten über den Handel ist enorm. Und die Produktion ist hierzulande für viele Unternehmen einfach nicht effizient genug.
Sind die Arbeitskosten dafür der entscheidende Faktor?
Die eigentlichen Löhne sind in Deutschland im Durchschnitt 30 Prozent höher als in anderen europäischen Ländern. Dazu kommen steigende Lohnnebenkosten und immer neue hohe Tarifabschlüsse, die die Kosten weiter in die Höhe treiben, ohne dass die Produktivität entsprechend steigt. Auch die Energiekosten sind ein Thema. Die Strom- und Gaspreise sind zwar wieder gesunken, aber immer noch historisch hoch. Und die Unsicherheit über die Energiepolitik macht es schwer, die künftigen Kosten abzuschätzen. In anderen Ländern gibt es deutlich mehr Planungssicherheit.
Haben Sie einen Vorschlag, wie sich die Kosten senken lassen?
Ein Beispiel: Der Krankenstand bei CCEP in Deutschland liegt bei fast 10 Prozent. Das ist schwer zu erklären, besonders im Vergleich zu Ländern wie Schweden, wo der Krankenstand bei nur 3,5 Prozent liegt. Dort gibt es keine Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag, was offenbar einen Unterschied macht. Es fehlt an Dringlichkeit und Mut bei den Politikern, diese Probleme anzugehen. Für Investoren und große Unternehmen ist das extrem frustrierend.
Das klingt auch nach Bürokratiekritik.
Die Bürokratie ist ein echtes Problem. Es scheint, als ob wir hier alles bis ins kleinste Detail dokumentieren und genehmigen müssen. Diese Bürokratie bremst uns aus, und das Kapital fließt in Regionen, die schneller und effizienter sind. Deutsche Unternehmen investieren zunehmend im Ausland, weil sie dort schneller Rendite erzielen können. In den vergangenen Jahren haben wir eine massive Zunahme an bürokratischen Auflagen erlebt, ohne dass etwas abgebaut wurde.
Hört Ihnen die Politik ausreichend zu?
Wir stoßen hier in Deutschland durchaus auf offene Ohren. Wir sind einer der wenigen ausländischen Investoren, die regelmäßig und in großem Umfang investieren – das wird durchaus wahrgenommen. Und lassen Sie mich bei aller Kritik noch einmal sagen: Derzeit formiert sich eine neue Regierung, und die ersten Überlegungen der wahrscheinlichen Regierungskoalition gehen in die richtige Richtung. Der Staat hat in den vergangenen 20 Jahren viel zu wenig investiert, und es ist gut, dass das jetzt erkannt wurde. Ich glaube fest daran, dass dieses Land nicht grundlos erfolgreich ist. Wir haben hier viele Weltmarktführer und eine starke Innovationskraft. Unser Ausbildungssystem ist einzigartig. Es gibt viel Positives in Deutschland, aber wir müssen das Potenzial besser nutzen und ein positiveres Investitionsklima schaffen.

Coca-Cola Europacific Partners hat den weltweiten Umsatz im vergangenen Jahr um fast 12 Prozent auf 20,4 Milliarden Euro gesteigert. Der deutsche Konzernteil trug rund 15,5 Prozent zum Gesamtumsatz bei: Er steigerte die Erlöse um 5,3 Prozent auf 3,18 Milliarden Euro. CCEP begründet das im eigenen Jahresbericht mit der Preiserhöhung im dritten Quartal sowie mit für den Konzern günstigen Verschiebungen im Produktmix: Den Angaben zufolge waren Monster und Powerade im vergangenen Jahr besonders gefragt in Deutschland. Die abgesetzte Gesamtmenge veränderte sich dagegen kaum – weil das Unternehmen unter den Schwierigkeiten der Gastronomie leidet.
Die Menschen sind so verunsichert wie lange nicht mehr. Auf einmal steht selbst der Frieden in Westeuropa infrage. Welche Auswirkungen hat das auf das Verbraucherverhalten?
Es lassen sich auch positive Aspekte sehen: Die Europäer sind enger zusammengerückt und wollen mehr investieren. Vergleicht man die aktuelle Lage mit der in der Zeit des Kriegsausbruchs oder während der Covid-Pandemie, sind die Rahmenbedingungen heute deutlich besser. Historisch gesehen gab es immer Tiefpunkte, aus denen wir wieder herausgekommen sind. Das sind gute Voraussetzungen für eine Verbesserung der Verbraucherstimmung.
Sie vertreten eine sehr amerikanische Marke. Welche Auswirkungen hat das Handeln von Donald Trump auf Ihr Unternehmen?
Wir stellen unsere Produkte in Deutschland her. Unsere Marke ist zwar mit Amerika assoziiert, aber Coca-Cola ist in Deutschland fest verwurzelt. Wir produzieren hier seit fast 100 Jahren, und das ist ein wichtiger Teil unseres Markenimages.
Das klingt sehr zurückhaltend im Vergleich zu Ihrer Kritik an der Bundesregierung.
Jeder hat seine Meinung zu Donald Trump, aber meine persönliche Sichtweise ist hier nicht entscheidend. Aus wirtschaftlicher Perspektive ist es so: Trumps Regierung baut in den USA Bürokratie ab, senkt Steuern und schafft Anreize für Investitionen. Das zieht Kapital an. Europa muss aufwachen und darauf reagieren, um ebenfalls attraktiver für Investitionen zu werden.
Verdrängt die Angst um die Wirtschaft und den Frieden das Thema Nachhaltigkeit?
Nicht für uns. Wir halten an unseren Nachhaltigkeitszielen fest, auch wenn das Thema in der Gesellschaft zeitweise weniger präsent ist. Die globale Erwärmung ist eine Realität. Unsere Stakeholder und Konsumenten erwarten von uns, dass wir sie ernst nehmen.
Welche konkreten Ziele haben Sie sich für die Dekarbonisierung gesetzt?
Unsere Aufgabe als Lieferant und Produzent ist es, jedes Jahr weniger CO2 zu produzieren, um langfristig auf null zu kommen. Unser Ziel ist es, bis 2030 eine Reduktion um 30 Prozent zu erreichen. Dafür haben wir einen klaren Fahrplan: Wir investieren in die Werke, erhöhen den Rezyklatanteil bei unseren Verpackungen und arbeiten eng mit unseren Lieferanten zusammen, beispielsweise um deren Produktion auf Grünstrom umzustellen. Dieser Plan steht seit fünf Jahren, und unsere Fortschritte können in den jährlichen Nachhaltigkeitsberichten nachgelesen werden.
Wie hoch ist Ihre Mehrwegquote aktuell?
Die lag zuletzt bei etwa 37 Prozent. Wir investieren allein in diesem Jahr 42 Millionen Euro in unseren Mehrwegflaschen- und Kisten-Pool.
Der Anteil war mal höher. Ist das nicht ein Rückschritt?
Nein, denn wir konzentrieren uns auf Dekarbonisierung, nicht auf die alte Debatte über das Für und Wider von Einweg oder Mehrweg. CO2-Reduzierung ist die Herausforderung von heute, und wir investieren erheblich in diese Richtung. Ein Beispiel für das Potenzial ist die Dose: Früher wog eine Coca-Cola-Dose 100 Gramm, heute sind es nur noch 9,9 Gramm, mit Deckel 11,8 Gramm. Der Anteil von recyceltem Material in unseren Dosen liegt mittlerweile bei 60 Prozent. Zwar ist die CO2-Belastung bei der Produktion der Dose recht hoch, vor allem wegen der benötigten Hitze, aber wir arbeiten mit unseren Lieferanten daran, auch diesen Prozess zu dekarbonisieren. Sobald das gelungen ist, wird die Dose eine der besten Verpackungen sein.
Kommen wir noch einmal zur nahen Zukunft: Wie wollen Sie dafür sorgen, dass 2025 ein erfolgreiches Jahr für Coca-Cola in Deutschland wird?
Unsere Innovationspipeline ist gut gefüllt, zum Beispiel mit neuen Produktvarianten der Marken Monster, Powerade, Fanta und Fuze Tea. Wir konzentrieren uns mit dem Marketing in diesem Jahr zwar stark auf den Außer-Haus-Markt – da besteht, wie gesagt, der größte Bedarf. Wir planen aber auch viel Unterstützung für den Handel: zum Beispiel eine Kampagne unter dem Titel „Share a Coke“ – die größte Kampagne von Coca-Cola in Deutschland seit Langem.
Viele Händler loben die Investitionsbereitschaft Ihres Unternehmens. Es gibt aber auch Kritiker: Manche monieren, es gebe zu viele Produktvarianten im Regal.
Unser Regalplatz im Handel ist kleiner als unser Marktanteil. Mit anderen Worten: Wir generieren auf gleichem Platz mehr Umsatz als unsere Wettbewerber.
Sie beanspruchen also mehr Platz im Handel?
Ja, unserem Marktanteil nach stünde der uns
zu.
Streit um Payback
Aktuell brechen alte Konflikte zwischen Deutschlands größtem Lebensmittel-Einzelhändler Edeka und Coca-Cola wieder auf. Zur Erinnerung: 2022 und 2023 gab es juristisches Gezerre um die Frage, ob Coca-Cola die Belieferung aussetzen darf, wenn ein Händler neue Preise nicht akzeptieren will. Das Landgericht Hamburg entschied schließlich zugunsten von Coca-Cola. Seitdem war Ruhe.
Mitte März staunten Edeka-Händler aber nicht schlecht, als sie die Mitteilung erreichte, dass der Coca-Cola-Außendienst in Edeka-Märkten nicht mehr willkommen sei. Eine solche Maßnahme gilt als erste Warnung im Streit mit Lieferanten. Coca-Cola spielt für die Händler eine wichtige Rolle. Der Marktanteil der amerikanischen Brause liegt zwischen 70 und 80 Prozent. Entsprechend selbstbewusst tritt das Unternehmen auf und fordert jährlich im September eine Preisanpassung.
In dem Schreiben, das der Lebensmittel Praxis vorliegt, heißt es: „Leider ist es uns trotz harter Verhandlungen bislang nicht gelungen, eine Einigung mit dem Lieferanten zum Thema Payback zu erzielen.“ Leere Regale müssen Händler und Kunden zunächst aber nicht fürchten. In dem Schreiben heißt es weiter: „Es steht das volle Sortiment zur Verfügung.“
Coca-Cola könnte auch dieses Mal am längeren Hebel sitzen. Weil Edeka zeitgleich mit Pepsi im Clinch liegt, gibt es derzeit keine Alternative. Kaum ein Händler dürfte bereit sein, auf gleich zwei so umsatzstarke Getränkemarken zu verzichten.