Volker Jung, Hakle: „Ich bin nicht gut im Kopieren“

Hakle setzt auf Innovationen bei Hygienepapieren. Im Interview spricht Geschäftsführer Volker Jung über alternative Zellstoffe, Nachhaltigkeit und die Strategie des Traditionsunternehmens.

Dienstag, 18. Mai 2021 - Drogerieartikel
Bettina Röttig,Wibke Niemeyer
Artikelbild „Ich bin nicht gut im Kopieren“
Bildquelle: Hakle

Sie haben Hakle vor rund drei Jahren übernommen. Was waren die wichtigsten Ziele, die Sie sich vorgenommen haben?
Volker Jung: Ich bin zu Hakle gekommen und habe gemerkt, von der Produktionsseite musst du denen nichts vormachen. Das können die. Ich wollte aber immer Innovationen vorantreiben. Masse machen, immer effizienter werden – das macht die Papierindustrie seit mehreren hundert Jahren. Personal durch Maschinen zu ersetzen, das ist für mich jedoch keine Innovation. Das Thema Nachhaltigkeit ist mir zudem ein wichtiges Anliegen. Wir müssen in der nicht gerade energiearmen Branche etwas tun. Toiletten- und Küchenpapier sind Wegwerfartikel und Reichtumsindikatoren. Je reicher die Volkswirtschaft wird, desto mehr wirft sie weg. Diesem Immer-Mehr-Trend müssen wir zugunsten des Klimaschutzes etwas entgegensetzen.

Sie setzen also auf nachhaltige Innovationen. Was haben Sie erreicht?
Das Thema alternative Fasern treibt mich um. Gras ist nur ein Beispiel von vielen. Schon 2012 habe ich Uwe D’Agnone (Geschäftsführer von Creapaper, Anm. d. Red.) kennengelernt. Von ihm stammt die Idee, Papier aus Gras herzustellen. 2019 sind wir mit der Zusammenarbeit für das Graspapier gestartet. Mit der Papierverpackung fing es an. Im Januar habe ich dem Management-Team davon erzählt, im März hatte ich die ersten Muster von der Maschine. Das fand ich klasse.

Sie haben nun Hakle Grass&Clean als Küchenpapier eingeführt. Welche Herausforderungen gibt es in der Graspapierherstellung?
Bis wir nun unser Hygienepapier mit bis zu 30 Prozent Grasanteil präsentieren konnten, gab es viele Versuche und Optimierungen. Zunächst haben wir bis zu 40 Prozent Zellstoff auf Holzbasis verdrängt und stattdessen Gras eingesetzt. Die größte Herausforderung bei den ersten Testergebnissen war, dass es keine chemische Bindung zwischen den Zellstofffasern und Grasfasern gab. Das ist reine Physik und hat etwas mit der elektrischen Ladung der Zellstoff- und Grasteilchen zu tun. Beide müssen jedoch eine Bindung eingehen, sonst holt man die Küchenrolle aus der Verpackung und es rieselt unten heraus. Also mussten wir weiter experimentieren. Mit der Reduktion des Grasanteils auf 30 Prozent funktionierte es ganz gut. Bei Grass&Clean verwenden wir die Duo-Blatt-Technologie, bei der eine Lage aus klassischem Zellstoff und die andere aus Zellstoff mit Grasanteil besteht.

Wie ist das Produkt dann zu verwenden?
So ist eine Seite weiß, die andere nicht. Die weiße Seite dient als Küchenpapier, ich verwende es für Fisch und Fleisch, die andere als Haushaltspapier für Dreck auf dem Boden.

Welche Vorteile aus Nachhaltigkeits-Gesichtspunkten bringt die Herstellung des neuen Produkts mit?
Generell kommt bei der Zellstoffherstellung für Papier sehr viel Wasser zum Einsatz: etwa sechs Liter Wasser für ein Kilogramm Papier. Bei der Herstellung des Rohstoffes Gras benötigt man nur noch ein Zehntausendstel davon und deutlich weniger Energie für die Aufbereitung. Außerdem braucht es keine Chemie. Das Gras wird nicht gebleicht und bleibt im Produkt sichtbar. Beim Graspapier wollten wir darüber hinaus sicher sein, dass es beim Kontakt mit der Haut nicht zu allergischen Reaktionen kommt. Wir haben Produktmuster zu Dermatest geschickt und das Qualitäts-Siegel „Sehr gut“ erhalten. Auch die Verpackung besteht aus 100 Prozent recycelten Produktionsmaterialien.

Wie regional erfolgt die Beschaffung Ihrer Rohstoffe?
Creapaper, unser Lieferant für Grasfasern, hat seine Fabrik in Düren. Das Gras beziehen wir von Flächen aus dem Rheinland bis zur Eifel und damit im Umkreis von 150 Kilometern nahe unserer Produktionsstätten in Düsseldorf. Die Wiesen werden beispielsweise zum Ausgleich für den Bau von Straßen geschaffen und dienen unter anderem als arterhaltende Maßnahme für viele Tiere und Pflanzen. Sie werden nicht zur Futterherstellung bewirtschaftet. Für die Produktion klassischer Zellstoffe beziehen wir die Langfasern aus Deutschland oder Skandinavien. Hierfür dient zum Beispiel Fichtenholz als Rohstoff, den man durchaus in Europa bekommen kann. Bei den Kurzfasern, wodurch wir Weichheit beim Toilettenpapier erzeugen, setzen wir kurzfaseriges Eukalyptus ein. Dieser Rohstoff stammt aus Uruguay. Dort gibt es Plantagen, die nur für die Zellstoffernte verwendet werden und der höchsten Nachhaltigkeitsklassifizierung entsprechen.

Stroh als Nebenstrom-Produkt wird vom Wettbewerb für alternative Zellstoffe verwendet. Sie haben angekündigt, auch aus Kaffeesatz Hygienepapiere produzieren zu wollen. Was ist noch möglich?
Wir arbeiten mit verschiedenen Forschungsinstituten an weiteren Alternativen für die Herstellung von Hygienepapier. Wie Sie richtig sagten, arbeiten wir unter anderem zusammen mit dem Fraunhofer-Institut am Forschungsprojekt „Intermediate aus industriellem Kaffeesatz“, kurz „InKa“. In Deutschland fallen jedes Jahr 80.000 Tonnen industrieller Kaffeesatz an. Die entölten Fasern können ohne Weiteres als Ersatz für klassischen Zellstoff genutzt werden. Ich rechne nächstes Jahr mit Ergebnissen. Damit ist die Reise mit alternativen Fasern aber nicht vorbei. Auch Stroh ist eine Alternative, aber ich bin nicht gut im Kopieren und zu dem Rohstoff gibt es ein Für und Wider. Letztendlich ist mir Regionalität und die Arbeit mit regionalen Produkten wichtig.

Sie setzen unter anderem auf den Einsatz von recyceltem Papier, zum Beispiel im Produkt„Hakle Papier Pur“. Altpapier wird jedoch knapper, seitdem Unternehmen zunehmend auf papierloses Arbeiten setzen. Zudem hatte Öko-Toilettenpapier bisher keinen großen Marktanteil. Warum setzen Sie dennoch auf recyceltes Papier? Und warum wird dieses Öko-Papier weiterhin gebleicht?
Das stimmt, ein Geschäftsbericht beispielsweise erscheint heute als PDF, wird vielleicht noch ausgedruckt, aber meistens online gelesen. Auch Corona hat letztes Jahr einiges dazu beigetragen, Digitalisierung voranzutreiben und die grafischen Papiere noch mehr in den Sinkflug zu bringen. Auch wenn dies Herausforderungen und höhere Kosten mit sich bringt, glaube ich an Papier. Im Hygienepapier-Segment steht die Farbe weiß in Deutschland für Hygiene und Reinheit, daher werden die meisten Produkte – immerhin chlorfrei – gebleicht – bis auf unser neues Graspapier. In Frankreich und Luxemburg gibt es viele pastellfarbene Produkte, in Österreich hauptsächlich gelbes Toilettenpapier.

Mit welchen weiteren Trends und Themen beschäftigt Hakle sich aktuell noch?
Wir wollen Hygienepapier so komfortabel wie gewohnt und so nachhaltig wie möglich produzieren. Toilettenpapier mit Gras kommt ebenfalls in den nächsten Wochen in den Handel. Darüber hinaus stellt sich dann die Frage, ob wir Hygienepapiere auch in Graspapier verpacken können. Zunächst möchte ich aber herausfinden, ob der Verbraucher das neue Papier akzeptiert.

Eine weitere Innovation aus Ihrem Haus ist ein Feuchtigkeitsspray für Toilettenpapiere. Wie fein muss der Sprühnebel sein, damit das Papier nicht reißt?
Das Produkt testen wir gerade. Zwei bis drei Sprühstöße reichen aus, um trockenes Toilettenpapier in feuchtes zu verwandeln.

Die Corona-Pandemie hat Hygienepapieren insgesamt eine neue Bedeutung gegeben. Hat die Pandemie eine Veränderung hinsichtlich der Markenbekanntheit oder Marktanteile gebracht?
Alle Markenprodukte haben in der Pandemie gewonnen, weil das Vertrauen in die Marke doch vorhanden ist. Auch wir haben mehr als 50 Prozent unter unserer Marke verkauft. Das ist für unsere Branche außergewöhnlich hoch. Insgesamt mehr Toilettenpapier haben wir aber nicht verkauft.

Out-of-Stocks und Veränderungen in den Absatzkanälen haben der Branche zu Beginn der Pandemie zu schaffen gemacht. Was machen Sie nun anders als noch vor einem guten Jahr?
Toilettenpapier war kurz mal aus, ist jetzt jedoch wieder ausreichend verfügbar. In der Lagerhaltung machen wir nichts anders, aber wir haben Hamsterboxen als Sonderedition unter dem Motto „Nicht hamstern, aber mit Hamster“ verkauft. Es klingt provokant, aber wir wollten liebevoll mit dem Thema umgehen. Die Nachfrage nach den Plüschhamstern war groß. Im Online-Shop bieten wir außerdem 80 Rollen in einer Recyclingbox an. Vor allem bei Kleinunternehmern und Landwirten sind diese gefragt. Vorteilhaft finden sie daran, dass das Produkt nach Hause geliefert wird und die Box plastikfrei ist. Den Online-Shop haben wir im ersten Lockdown 2020 neu gestartet, um die Menschen zu versorgen, die nicht einkaufen gehen können, weil sie zum Beispiel in Quarantäne sind.

Wie entwickelt sich der Online-Shop?
Innerhalb einer Woche stand der Shop. Nach der Eröffnung hatten wir schon 40 Bestellungen, am nächsten Tag waren es schon 400, am Tag darauf 1.000. Damit hätten wir nicht gerechnet und wir machten uns Gedanken über die Logistik und den Versand. Alle Mitarbeiter haben mitgeholfen. Inzwischen haben wir eine Versandabteilung aufgebaut. Diese Erfahrung zu machen, ist wichtig.

 

Zur Person Volker Jung hat seit mehr als 20 Jahren Erfahrungen in der Papierindustrie. Nach Jahren beim Feinpapierhersteller Zanders wechselte er Anfang der 2000er-Jahre in die Hygienepapierindustrie. Seit 2019 verantwortet er als geschäftsführender Gesellschafter das Unternehmen Hakle in Düsseldorf.

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