Interview - Josef Sanktjohanser, HDE Gemeinsame Risiken tragen

Was ist erlaubt? HDE-Präsident Josef Sanktjohanser fordert eine lebensnahe Anwendung des Kartellrechts. Was das bedeutet, erklärt der Top-Manager im LP-Gespräch.

Donnerstag, 07. Oktober 2010 - Management
Markus Oess
Artikelbild Gemeinsame Risiken tragen

Von Nachfragemacht des Handels kann keine Rede sein, betont HDE-Präsident Josef Sanktjohanser. Im Gegenteil, er hält die Diskussion für überzogen und setzt auf die Einsicht, Risiken der Wertschöpfungskette zu teilen.

Herr Sanktjohanser, der HDE ist an die Öffentlichkeit gegangen, um sich gegenüber den Vorwürfen gegenüber dem Kartellamt zu positionieren. Stichwort vertikale Preisabsprachen. Was fordert der HDE in diesem Zusammenhang?
Josef Sanktjohanser: Bisher hat das Kartellamt noch keine Beschuldigtenschreiben versandt, sondern lediglich Durchsuchungen durchgeführt. Das heißt, dass offiziell derzeit gegen kein einzelnes Handelsunternehmen konkrete Vorwürfe erhoben werden. Noch prüft das Kartellamt, ob und welchen Händlern kartellrechtliche Vergehen vorgeworfen werden können. Es gibt zahlreiche langjährige Praktiken zwischen den einzelnen Wirtschaftsstufen, die plötzlich unter Generalverdacht geraten sind, obwohl sie unserer Meinung nach mit kartellrechtswidrigen Preisabsprachen nichts zu tun haben.

Wir haben kein Interesse daran, unsere Preishoheit mit der Industrie zu teilen oder gar an diese abzutreten. Wir bestimmen selbst unsere Preise und richten uns am Wettbewerb aus. Wir erzielen unsere Marge im Absatzmarkt, also im Verhältnis zu unseren Wettbewerbern. Die Industrie wiederum muss ihre Marge gegenüber dem Einzelhandel durchsetzen. Das ist letztlich die Ursache für ihr immer währendes Bestreben, Einfluss auf den Endverbraucherpreis zu nehmen.

Das Bundeskartellamt hat „Graubereiche" definiert, die die Branche über Erzeuger, Industrie und Handel extrem verunsichern. Wir stehen deshalb mit dem Bundeskartellamt im Dialog, um eine lebensnahe Anwendung des Kartellrechts zu gewährleisten. Für uns hat absolute Priorität, bestehende Handlungsspielräume für die Unternehmen unter allen Umständen zu sichern.

Wie stellt sich Kartellamts-Chef Andreas Mundt dazu?
Herr Mundt hat uns die Möglichkeit gegeben, unsere Argumente vorzutragen, und wir erkennen seine konstruktive Dialogbereitschaft.

Sie sprechen von langjährigen Formen der Zusammenarbeit zwischen Handel und Industrie, die plötzlich unter Generalverdacht geraten sind. Warum kam es Ihrer Meinung zu dem Sinneswandel in Bonn?
Das Amt hat eigene Erkenntnisse gewonnen. Dazu müssten Sie die Behörde fragen. Ich möchte darüber nicht spekulieren.

Wo beginnen für Sie Absprachen zwischen Handel und Industrie, die gegen das GWB verstoßen?
Die Preisbildung mit Belohnung oder Bestrafung ist ein harter Kartellrechtsfall. D.h. das wäre eine Vereinbarung zu Lasten Dritter, in diesem Falle des Verbrauchers oder ggfs anderer Marktteilnehmer. Diese Form der Preisfestsetzung wäre am Ende der vertikalen Kette in der Tat eine schwerwiegende Verletzung der Verbraucherinteressen. Aber das sind weder unsere Absichten noch unsere Geschäftsprinzipien.

Was macht die Verhandlungen zwischen Industrie und Handel diesbezüglich so kompliziert, dass die Bonner Behörde aktiv wird?
Unser gemeinsames Geschäft ist sehr komplex, und es herrscht an allen Enden der Lieferkette ein harter Wettbewerb. So strömen jährlich 120.000 neue Artikel in unsere Regale, nur 5-10 Prozent davon bleiben dauerhaft im Sortiment. Es gibt große Überkapazitäten auf Erzeuger- und Industrieseite, aber auch beim Einzelhandel. Dort reichen diese aber nicht aus, unbegrenzt Listungswünsche zu erfüllen. Ständig lösen neue Produkte alte ab, für die es plötzlich kaum noch Nachfrage gibt. Es ist schier unmöglich, das Geschäft ohne permanente Information untereinander zu betreiben. Wir wollen die Kartellbehörde davon überzeugen, dass die Risiken unseres Geschäfts nicht allein am Handel hängen bleiben können.

Die BKA-Handreichung vom April hat da keine Abhilfe geschaffen?
Nein, sie hat die Branche verunsichert. Uns geht es darum, bei dem Amt Verständnis für die Wirkungsweise bestimmter, von ihm als problematisch bewertete Verhaltensweisen zu schaffen und den volkswirtschaftlichen Nutzen darzustellen. Die Praxis braucht keine weiteren Leitlinien. Wir müssen dem Bundeskartellamt vielmehr vermitteln, dass Handel und Hersteller die Risiken der Wertschöpfungskette gemeinsam tragen und sich dazu austauschen müssen.

Wie ist das Papier generell einzuordnen?
Das Kartellamt hat seine restriktiven Vorstellungen genannt und – was wir für sehr bemerkenswert und positiv erachten – öffentlich gemacht. Wir nehmen die gute Gelegenheit wahr, uns im offenen Dialog und auch öffentlich zu erklären.

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