Neue EU-Regeln für Gentechnik EU-Kommission läuft Zeit davon

Welchen Fahrplan die Kommission hat und was ihr einen Strich durch die Rechnung machen könnte.

Freitag, 21. April 2023 - Management
Thomas Klaus
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Die Mühlen der Europäischen Union – sie mahlen langsam. Und das gilt auch für die Regeln, die nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission nun endlich an aktuelle gentechnische Entwicklungen angepasst werden sollen. Im Mittelpunkt stehen gentechnisch veränderte Organismen (GVO). Deren genetisches Material wurde durch technische Eingriffe so umgebaut, wie das unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder Rekombination unmöglich wäre. Befürworter verweisen unter anderem auf große Chancen für die Ernährung einer größer werdenden Weltbevölkerung; Gegner sorgen sich wegen möglicher gesundheitlicher Risiken.

Der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) hält eine Neuregelung für europarechtlich nachvollziehbar. Zugleich betont der BVLH, wie wichtig Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit der aus GVO gewonnenen Produkte wären. Zuletzt 2001 war eine europäische Gentechnik-Richtlinie verabschiedet worden. Sie basierte auf Erkenntnissen aus den 1990er-Jahren. Das ist lange her und schreit nach einer Modernisierung. Auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus dem Juni 2018 zwingt die EU zum Handeln.

Vorschlag für Gesetzestext im Juni
Allerdings ist das Vorhaben der Europäischen Kommission sehr umstritten. Dass es bis zur Wahl zum Europäischen Parlament im Frühjahr 2024 eine Einigung geben wird, halten mehrere Insider, mit denen LP gesprochen hat, für eher unwahrscheinlich. Nach dem Gang zur Wahlurne könnten dann die Weichen komplett neu gestellt werden: Der Gesetzgebungsprozess würde zunächst nicht automatisch weiterlaufen. Zur Freude der einen und zum Leid der anderen Seite.

Doch die EU-Kommission macht trotzdem oder gerade deshalb Tempo bei dem Thema. Voraussichtlich im Juni soll ein konkreter Vorschlag für einen Gesetzestext öffentlich gemacht werden. Danach ist der Startschuss für einen sogenannten Trilog-Prozess geplant: Bei dem beratschlagen sich Europäische Kommission, Rat der Europäischen Union und Europäisches Parlament.

Zuletzt wurden mögliche Gentechnik-Lockerungen im März beim EU-Umweltrat behandelt. „Umweltminister stellen sich gegen EU-Kommissions-Vorschlag zur Gentechnik-Deregulierung“: Diese Überschrift in der Pressemitteilung der führenden österreichischen Umweltschutzorganisation Global 2000 war allerdings eher Wunschdenken als eine korrekte Wiedergabe des Sitzungsverlaufes. Den hatte auch LP verfolgt.

Uneinheitliche Haltung der Bundesregierung
Zwar hatten sich sieben Minister gegen den Kurs der EU-Kommission gestellt, doch von den meisten Regierungsrepräsentanten gab es gar kein Statement. Diejenigen, die ihre Stimme erhoben, waren – von Deutschland und Österreich abgesehen – nicht unbedingt die allerbedeutendsten EU-Mitglieder (zum Beispiel Luxemburg, Slowenien, Slowakei und Zypern). Hingegen bleibt die Position wichtiger Akteure wie Frankreich oder Polen unklar.

Durch die Haltung Deutschlands bekommt das uneinheitliche Stimmungsbild ebenfalls große Kleckse. Während Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) Lockerungen ablehnt und sich der jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz als SPD-Kanzlerkandidat vergleichbar geäußert hatte, nennt Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) die bisherigen Regeln „veraltet“. Sollten die Ministerinnen uneinig bleiben, würde sich Deutschland bei einer möglichen Abstimmung enthalten müssen. Für die Lockerungsgegner wäre das eine gute Nachricht: Enthaltungen würden sich wie Nein-Stimmen auswirken.