Kartellrecht Neue Instrumente

Die Kartellbehörden können künftig verstärkt gegen Wettbewerbsverstöße der großen Digitalkonzerne vorgehen. Rechtsanwalt Axel Kallmayer erläutert im Interview die wesentlichen Eckpunkte.

Freitag, 12. Februar 2021 - Management
Jens Hertling
Artikelbild Neue Instrumente
Bildquelle: Getty Images

Der Bundestag hat ein neues Kartellrecht – in dem Fall das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) – beschlossen. Können Sie die wesentlichen Punkte herausstellen?
Axel Kallmayer: Die GWB-Novelle zielt in erster Linie darauf ab, Wettbewerb auch in der digitalisierten Wirtschaft sicherzustellen. Solche Bestrebungen gibt es auch auf EU-Ebene und in anderen EU-Staaten, sie sind in den meisten Fällen aber noch nicht spruchreif. Deutschland ist hier Vorreiter. Das neue Kartellrecht bringt unter anderem Vorschriften für Plattformbetreiber und Inhaber wichtiger Datenschätze. Wenn sie über Marktmacht verfügen, sind sie zu besonderer Fairness gegenüber ihren Geschäftspartnern und Nutzern verpflichtet. Ferner wurden die Ermittlungsbefugnisse des Bundeskartellamts erweitert und an das EU-System angepasst.

Was bedeutet das konkret?
Bei Auskunftsverlangen und Durchsuchungen haben Unternehmen und Mitarbeiter zukünftig weitgehende Mitwirkungs- und Offenlegungspflichten. Wo es bisher hieß: „Sie haben das Recht zu schweigen!“, wird es künftig eher heißen: „Sie haben die Pflicht, uns Rede und Antwort zu stehen!“. Unternehmensleitung und Mitarbeiter dürfen zwar weiterhin nicht zu Geständnissen gezwungen werden. Sie können aber verpflichtet werden, allgemeine Fragen zu den Umständen der Vorwürfe zu beantworten, aus denen dann auf die Art und Weise des Kartellrechtsverstoßes geschlossen werden kann. Das Aussageverweigerungsrecht entfällt vollständig, wenn das Bundeskartellamt gegenüber einer an einem Verstoß (angeblich) beteiligten Person eine sogenannte Nichtverfolgungszusage ausspricht. Diese garantiert der Person, dass ihr kein Bußgeld auferlegt wird. Das ist besonders gefährlich für das Unternehmen, das dann trotzdem noch bebußt werden kann. Unternehmen sollten jetzt interne Leitlinien schaffen/ergänzen und die relevanten Mitarbeiter für die neuen Vorgaben sensibilisieren.

Das Kartellamt kann künftig schärfer gegen Wettbewerbsverstöße der großen Digitalkonzerne vorgehen. Was können Sie nun bewirken?
Mit den neuen Regelungen werden insbesondere Plattformnutzer in ihren Rechten gestärkt. Die Möglichkeiten des Bundeskartellamts, Maßnahmen gegen solche Plattformen umzusetzen, fußen auf zwei Pfeilern: Zum einen darf ein Marktbeherrscher anderen Unternehmen ohne sachlichen Grund den Zugang zu seinen Daten, Netzen und Infrastrukturen nicht verwehren, sofern diese für eine vor- oder nachgelagerte Tätigkeit erforderlich sind. Zum anderen hat das Bundeskartellamt nun die Möglichkeit, die überragende marktübergreifende Bedeutung eines Unternehmens festzustellen und diesem Vorgaben zu machen, wie das Verbot, die eigenen Angebote bei der Darstellung zu bevorzugen oder andere Unternehmen daran zu hindern oder es ihnen zu erschweren, eigene Angebote zu bewerben. Damit soll bereits präventiv verhindert werden, dass das Unternehmen seine Machtstellung zu sehr ausbaut, indem es andere Unternehmen behindert.

Inwieweit betrifft das neue Kartellrecht die Lebensmittelhersteller und -händler?
Für Lebensmittelhändler und -hersteller sind mehrere der neuen Regeln wichtig: Hersteller, die über Plattformen wie Amazon vertreiben, erhalten neue Rechte, gegen unfaires Verhalten vorzugehen. Das ist besonders wichtig, weil sich die Bedeutung von Plattformen auch im Lebensmittelhandel weiter erhöhen dürfte. Das Verbot des Missbrauchs von Marktmacht gilt nun weiter gehend: Unternehmen dürfen von ihnen abhängige Unternehmen nicht unbillig behindern oder diskriminieren – und das unabhängig davon, wie groß das abhängige Unternehmen ist. Bisher galt das Missbrauchsverbot nur, wenn das abhängige Unternehmen ein kleines oder mittelgroßes Unternehmen war. Abhängigkeit bedeutet, dass der Hersteller keine ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten hat, auf andere Kunden auszuweichen.

Gibt es hier Beispiele?
Das Bundeskartellamt hat zum Beispiel im Verfahren von Sektkellereien gegen Edeka gezeigt, dass es bereit ist, gegen Konditionenforderungen starker Händler vorzugehen, wenn es sie als missbräuchlich ansieht. Bedeutsam ist auch, dass Unternehmen ab jetzt ihr Bußgeldrisiko deutlich reduzieren können, wenn sie Compliance-Maßnahmen ergreifen. Falls es in Unternehmen zu Kartellrechtsverstößen kommt, ist die vorherige Implementierung angemessener Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung solcher Verstöße bußgeldmindernd zu berücksichtigen. Neben der Vermeidung persönlicher Haftung von Unternehmensleitung und Führungskräften ist das ein weiterer guter Grund für Unternehmen, sich um das Thema Compliance zu kümmern. Relevant ist schließlich die neue Möglichkeit, Rechtssicherheit im Hinblick auf Kooperationen zu erhalten. Wettbewerber, die miteinander kooperieren möchten, also gemeinsam einkaufen oder produzieren wollen, haben nunmehr ‧einen Anspruch auf eine Entscheidung des Bundeskartellamts, wenn ein erhebliches rechtliches und wirtschaftliches Interesse daran besteht.

Was hat sich bei der Überarbeitung der Fusionskontrolle getan?
Die Umsatzschwellen für die Anmeldepflicht von Unternehmenszusammenschlüssen wurden hochgesetzt. Drei Umsatzschwellen müssen überschritten sein, damit eine Anmeldepflicht beim Bundeskartellamt besteht: Neben der gleich gebliebenen weltweiten Umsatzschwelle von gemeinsam 500 Millionen Euro muss in Deutschland ein beteiligtes Unternehmen einen Jahresumsatz von 50 (statt wie bisher 25) Millionen Euro und ein weiteres Unternehmen einen Jahresumsatz von 17,5 (statt bisher 5) Millionen Euro erzielt haben. Kleinere Zusammenschlüsse werden also ohne Anmeldepflicht möglich.

Was hat sich im Bereich der Bußgeldvorschriften und der Kronzeugenregelung getan?
Die neuen Bußgeldregeln treffen insbesondere Unternehmensvereinigungen wie Verbände. Zwar konnten schon vor der GWB-Novelle auch sie Bußgelder erhalten. Jedoch können nunmehr deutlich höhere Bußen festgesetzt werden. Sie bemessen sich jetzt nicht mehr nach dem Umsatz der Unternehmensvereinigung selbst, sondern nach dem Gesamtumsatz der am Verstoß beteiligten Unternehmen. Die Kronzeugenregelungen, die bisher als reine Richtlinie des Bundeskartellamts existierten, sind nun in das Gesetz aufgenommen worden. Damit wird die herausragende Bedeutung der Kronzeugenregelung – jedes zweite Kartell wird durch Kronzeugen aufgedeckt – nochmals verdeutlicht.
Die 9. Novelle des Wettbewerbsrechts verbessert den Ordnungsrahmen für die digitalisierte Wirtschaft.