Wann haben Sie das erste Mal von BEPS gehört?
Alexander Graf Lambsdorff: Anfang der 90er-Jahre habe ich in den USA studiert und mich mit dem Vorgängerthema „multinational corporation“ beschäftigt, das damals aktuell wurde. Das war lange vor Amazon und Google und betraf damals vor allem Automobil- und Bergbau-Giganten oder auch Ikea. Damals wurde die absolut legale Steuergestaltung von Unternehmen zunehmend als Problem und unfair empfunden.
Das Problem ist also nicht neu?
Nein. Die Probleme Steuerflucht und BEPS gab es schon lange vor der OECD-Initiative aus dem Jahre 2013. Auch innerhalb der EU gibt es mit Irland, Malta, Luxemburg und Zypern Steueroasen. Ganz legal haben Unternehmen Gewinne in solche Niedrigsteuerländer verschoben, um ihre Gewinne zu maximieren. Durch die Praktiken digitaler Konzerne wie Amazon und Facebook wird das Problem nur virulent.
Worum geht es aktuell konkret?
Das Hin- und Herschieben von Patenten, Lizenzgebühren oder Darlehenszinsen soll in Zukunft erschwert werden, und schädlicher Steuerwettbewerb soll eingeschränkt werden. Die G-20- und OECD-Staaten arbeiten seit 2013 an gemeinsamen internationalen Regeln, damit Unternehmen dort, wo sie Geschäfte machen, auch Steuern zahlen. Zu diesem Zweck wurde von den Staaten ein BEPS- Aktionsplan mit 15 Punkten vereinbart.
Wie viele Staaten machen mit?
Aus der Initiative von 2013 entstand ein „inclusive framework“, dem 137 Staaten beigetreten sind. Im Rahmen dieses Frameworks wurde 2016 ein multilaterales Abkommen beschlossen, das Deutschland 2017 unterzeichnet hat.
Was beinhaltet das Abkommen?
Bei dem Abkommen geht es um Unterschiede in den Doppelbesteuerungsabkommen und deren Ausnutzung durch Unternehmen. Zu den umzusetzenden Punkten gehört vor allem die Einführung eines Mindeststandards zur Verhinderung von Abkommensmissbrauch analog Punkt 6 des BEPS-Aktionsplans.
Warum hört man seit einigen Jahren nur noch wenig davon?
BEPS ist ein sehr spezielles und auch ein sehr technisches Thema. Das sollte aber kein Grund sein, dem Thema keine Aufmerksamkeit zu schenken. Die OECD-Initiative ist ein wichtiger Baustein im Kampf gegen unfaire internationale Steuerpraktiken. Gerade für Länder mit hohen Steuersätzen wie Deutschland kann eine internationale Harmonisierung der steuerlichen Bemessungsgrundlagen vorteilhaft sein. Die Bundesregierung muss sich aber aktiv in die genaue Ausgestaltung einbringen, damit unsere exportorientierte Wirtschaft nicht vor zusätzlichen Herausforderungen durch mehr Bürokratieaufwand oder Doppelbesteuerung steht.
Tut sie das nicht?
Jedenfalls nicht genug. In Deutschland hat es bis zum 8. Oktober 2020 gedauert, bis das Gesetz zur Umsetzung der BEPS-Punkte im Bundestag angenommen wurde.
Wie geht es weiter?
Die Bundesregierung muss sich nachhaltig für unsere Unternehmen starkmachen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie sieht zum Beispiel die Gefahr, dass die bisherigen OECD-Vorschläge die durchschnittliche Unternehmensbelastung in Deutschland sogar weiter erhöhen und somit der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Industriestandorts schaden könnten. Das gilt es zu verhindern. Die Bundesregierung muss den Prozess konstruktiv begleiten.