Handelsgastronomie „Professionelle Abläufe und kundiges Personal“

Essen gehen im Supermarkt ist mittlerweile so normal wie einkaufen nach 20 Uhr. Doch einfach ist der Schritt in die Gastronomie für den Händler nicht. Fragen an Olaf Hohmann, Forschungsbereichsleiter Gastronomie beim EHI Retail Institute.

Montag, 30. März 2020 - Management
Silvia Schulz
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Bildquelle: Mirco Moskopp

Eine Gastro-Zone in seinem Markt zu eröffnen, das ist für den Händler eine Entscheidung, die gut durchdacht, also durchgerechnet, werden muss. Doch woher bezieht der Kaufmann das notwendige Know-how? Sicherlich hilft wie immer der Austausch mit Kollegen, die diesen Schritt schon gewagt haben – oder ihn unterlassen haben. Kompakte und unabhängige Fakten und Hintergründe bietet zudem der EHI-Leitfaden „Gastronomieplanung im Handel 2020 – Von der Vision zur Umsetzung“. Worauf ein Händler bei Entwicklung und Umsetzung eines Gastro-Konzepts achten sollte, dazu im Gespräch Olaf Hohmann, Forschungsbereichsleiter Handelsgastronomie, Mit-Autor des Leitfadens und Mitglied der Geschäftsführung EHI Retail Institute.

Herr Hohmann, welchen Stellenwert nimmt die Gastronomie im Lebensmittel-Einzelhandel ein: aktuell und künftig?
Olaf Hohmann: In allen Handelsbranchen ist das Ziel eine stärkere Emotionalisierung der Verkaufsfläche, um im Wettbewerb ein erlebnisreiches Angebot zu schaffen. Die Kunden sollen sich wohlfühlen, länger verweilen und sich inspirieren lassen. Gastronomie unterstützt dabei, schafft Atmosphäre und Erlebnis für die Kunden und erhöht im Idealfall Frequenz, Attraktivität und Verweildauer. Vor allem der Lebensmittel-Einzelhandel kann mit seiner Foodkompetenz davon profitieren. Schließlich eint Lebensmittel-Einzelhandel und Gastronomie die Liebe zum Lebensmittel.

Was hat der Händler von einer Gastro-Zone, einem gastronomischen Angebot?
Wir Menschen schätzen den Austausch und die Geselligkeit, Handelsstandorte sind eine gute Plattform dafür. Und Gastronomie ist dabei ein wichtiger Baustein und eignet sich für Händler als Profilierungsinstrument, um sich vom Wettbewerb und dem Onlinehandel zu differenzieren. Auch für Konsumenten wird die Handelsgastronomie immer attraktiver. Mit der großen Auswahl, der sofortigen Verfügbarkeit des Speisenangebots und einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis passt sie ideal zu ihren Bedürfnissen und zum Zeitgeist.

Wie unterstützt der EHI-Leitfaden „Gastronomieplanung im Handel 2020 – Von der Vision zur Umsetzung“ den Händler konkret?
Der Leitfaden hat das Ziel, Händler bei der Entscheidungsfindung und der Planung gastronomischer Angebote zu unterstützenden. Er bietet einen Schnellcheck, mit dem überprüft werden kann, welche Voraussetzungen bereits bestehen oder erst geschaffen werden müssen, um das Ladenkonzept in Richtung Gastronomie zu erweitern. Vor- und Nachteile von verschiedenen gastronomischen Formaten wie Eigenregie, Fremdvergabe oder Franchise sowie Bedienung und Selbstbedienung werden analysiert.

Das klingt sehr theoretisch: Gibt es auch praktische Beispiele?
Ja, anhand dieser praktischen Beispiele veranschaulicht der Leitfaden Themen wie Planung, Technik, Produktion, Vorschriften und Personal. Exemplarische Kalkulationsmodelle mit Kennzahlen für durchschnittliche Referenzbetriebe, Preiskalkulationen für Gerichte sowie die Themen Kochen, Abluft, die Präsentation der Speisen, Spülen, Entsorgung, Bestell- und Bezahlsysteme sind ebenfalls Bestandteil des Leitfadens.

Was unterscheidet diesen Leitfaden von den anderen Angeboten, die es derzeit gibt?
Das EHI hat den Leitfaden in Zusammenarbeit mit erfahrenen Handelsgastronomen, unabhängigen Beratern des FCSI Deutschland-Österreich sowie Expertinnen und Experten aus der Industrie über einen Zeitraum von 15 Monaten entwickelt. Der Leitfaden klärt wichtige Fragen zur Einführung und Verbesserung gastronomischer Konzepte im Handel und wie diese in ein Geschäftsmodell implementiert werden können. Das gibt es in dieser Ausführlichkeit und mit dem Fokus auf Handelsgastronomie bislang nicht.

Was sind die größten Fehler bei der Etablierung eines gastronomischen Konzepts im Lebensmittel-Einzelhandel, was muss der Händler unbedingt vermeiden?
Bei aller Euphorie beim Thema Handelsgastronomie existieren auch Gefahren, denn ein Selbstläufer ist das gastronomische Engagement nicht. Es braucht professionelle Abläufe und kundiges Personal. Die Händler können mit gastronomischen Angeboten zwar ihre Attraktivität erhöhen, sich aber möglicherweise auch in eine wirtschaftliche Schieflage bringen. Hinzu kommen unterschiedliche Denkweisen: Händler wünschen skalierbare Prozesse, um ihren Kunden ein umfangreiches Warenangebot standardisiert in konstanter Qualität anzubieten. Gastronomen mögen das Individuelle und Außergewöhnliche. Deshalb sind grundsätzliche strategische Überlegungen bezogen auf die Zielsetzung, die Kunden, das Angebot, die Wettbewerbssituation und die richtige Planung und Umsetzung des Gastronomieangebots existenziell.
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