Interview mit Renate Künast Freiwillig klappt nichts - Interview mit Renate Künast: Teil 3

Renate Künast ist streitbar wie eh und je und hat feste Vorstellungen über eine gesündere Ernährung. Die LP traf die Landwirtschaftsministerin a. D. in Berlin.

Freitag, 31. August 2018 - Management
Andrea Kurtz
Artikelbild Freiwillig klappt nichts - Interview mit Renate Künast: Teil 3
Bildquelle: Santiago Engelhardt

Wie wollen Sie das umsetzen?
Hier muss die Industrie in die Pflicht genommen werden, Lebensmittel anders zu entwickeln – und nicht einfach nur Zucker durch Zuckerersatzstoffe zu ersetzen oder mehr Fett wegen des Geschmacks einzusetzen. Ich weiß, das ist schwierig, aber es gibt Länder, die beispielsweise mit einer Zuckersteuer bereits begonnen haben. Da wird dann auf einmal bis zu 30 Prozent Zucker reduziert, um keine Steuern zu zahlen. Im Bereich Tiefkühlkost war Frosta für mich ein hervorragendes Beispiel, weil sie konsequent auf Zusatzstoffe und ähnliches verzichtet haben. Das war zum Einführungszeitpunkt möglicherweise noch zu früh, hat sich aber als der richtige Weg herausgestellt.

Also auch hier klare Vorgaben?
Uneingeschränkt ja. Ich bin immer noch Verfechter einer klaren Ampelkennzeichnung. Ich würde Kindern sagen, ihr dürft euch einmal am Tag etwas Rotes nehmen – das gehört zum genussvollen Leben dazu. Aber man muss wissen, dass Produkte mit grün und gelb die Basis meiner Ernährung sein sollen. Das ist besser als irgendwelche Rechnereien oder merkwürdige Portionsgrößen, die keiner versteht. Deshalb brauchen wir ein Reduktionsziel, wir brauchen dabei konkrete Zahlenvorgaben für einzelne Produktgruppen.

Die Industrie denkt eher an freiwillige Selbstverpflichtungen …
Die Zeit der Freiwilligkeit ist vorbei. Alle freiwilligen Selbstverpflichtungen haben zu gar nichts geführt. Ich gebe ja zu, das mag wirtschaftlich für die Unternehmen schwierig sein, eine Vorgabe gleich ganz umzusetzen, aber wir können ja klare Zielvorgaben für einzelne Schritte festlegen. Auch das haben die Briten mit dem Childhood Obesity Plan vorgemacht, die 2016 Ziele vereinbart haben, die für verschiedene Produktgruppen wie Kekse, Eis, aber auch Joghurt schrittweise bis 2020 umgesetzt werden. Kinder müssen geschützt werden, denn für sie sind die Folgen ungesunder Ernährung in ihrem ganzen Leben spürbar. Das können wir nicht zulassen.

Was muss also passieren?
Zum einen müssen wir für die gesetzlichen Vorgaben bei den verschiedenen Produktgruppen zeitliche Limits setzen. Zum anderen müssen wir das Kindermarketing einschränken. Das habe ich als Ministerin schon versucht, mit der Industrie zu vereinbaren. Da hieß es, klar, machen wir. Aber wenn man genauer hinschaut, wird in diesem Bereich – ähnlich wie früher bei den Tabakwaren – rumgetrickst. Am Ende werden die Kinder dann im Netz eingefangen – zum Beispiel über Spieleseiten für Produkte, auf denen Kinder etwas gewinnen können. Es sollte keine Lebensmittelwerbung an Kinder unter 12 Jahren geben, wenn die Produkte nicht den Kriterien der WHO für ausgewogene Ernährung entsprechen, Punkt. Entsprechend darf die Werbung auch nicht im Umfeld von Schulen etc. hängen.

Kommt von der EU zu diesen Plänen Rückenwind?
Schon eher als hierzulande. Hier wird die Diskussion oft auf eine sehr kuriose Weise geführt – so als wolle man jemanden vorschreiben, was gegessen wird. Dabei ist es doch Realität, dass es schwierig ist, sich gesund zu ernähren. Die Gesellschaft für Ernährung gibt zwar eindeutige Regeln heraus, aber die ganze Umgebung lebt nicht danach und bietet kaum etwas dem entsprechend an. Es ist für einen Konsumenten schwer, rund um die Uhr tapfer zu sein, wenn es überall Eis, Brezeln Schokolade und andere hoch verarbeitete Produkte gibt. Nur vom mündigen Bürger zu reden, ist ein Ablenkungsmanöver.

Was schwebt Ihnen denn vor, um speziell die Kinder zu schützen?
Kinder stehen vor der ganz großen Herausforderung. Sie werden einfach überall animiert; selbst in Restaurants ist das Kindermenü meist das Schnitzel oder Wurst mit Pommes. Und dann ist Naschen auch noch schick: Denken Sie zum Beispiel an die Kinder-Überraschungseier. Hier geht es um Sammeln, aber auch um das Geschichten erzählen. Das dockt bei ganz kindlichen Bedürfnissen an. Ernährungsbildung allein, damit ist es ja nicht getan. Auch der Handel allein kann es nicht richten. Er kann zwar Süßwaren nicht mehr an die Kasse platzieren, aber wenn draußen die Freunde naschen oder geworben wird, nutzt das ja alles nichts. Wir müssen ganzheitlich planen – und die ganze Umgebung, wie die Städte miteinbeziehen.

Konkret gefragt: Gehen die Aktivitäten des Handels mit den Labeln für Tierhaltung in die richtige Richtung?
Ja, es geht in die richtige Richtung, weil es erste Schritte der Transparenz sind. Seit wir das Bio-Siegel auf den Markt gebracht, es beworben und die Strukturen dahinter geschaffen haben, ist klar, dass wir erkennbare, verlässliche Zeichen für die ganze Produktionskette brauchen. Es hat natürlich in Sachen Tierhaltung Versuche gegeben – wie zum Beispiel über QS – aber diese gingen nicht über die gesetzlichen Standards hinaus. Das bringt ja nichts, dies zu kennzeichnen. Seitdem ist aber auch lange nichts mehr passiert. Die Kunden wollen aber Ware, die die Tierhaltung kennzeichnet. Jetzt geht der Lebensmittelhandel los mit einer Kennzeichnung, aber nicht vergessen: Der Fleischkonsum muss runter gehen. Das ist gesünder.

Was ist Ihr Wunsch in dieser Debatte?
Ein verpflichtendes staatliches Siegel, bei dem ich alle Varianten der Tierhaltung, also alle Standards dafür, erkennen kann. Das soll klar und einfach sein – wie beim Frischei! Dazu gehört auch eine Initiative für eine europaweite Kennzeichnung.

Haben Sie den Handel in der Vergangenheit offen für solche Themen erlebt – oder eher als Blockierer?
Inzwischen als offen. Mag sein, dass aus der Energiedebatte gelernt wurde. Energiesparmaßnahmen wie geschlossene Kühltruhen sparen Kosten und zukunftsweisende Technologien lohnen sich. Der Handel ist näher am Kunden dran und weiß daher, was gefordert wird. Die größte Hürde ist für mich eher die Industrie. Die verweigert sich in meinen Augen mehr in Sachen Transparenz oder Inhaltsstoffe – oder auch gesunder Ernährung. Hier kam am meisten Widerstand. Nun jedoch kommt der Widerstand aus den Städten, von Ernährungsräten und Kunden, die wissen, sie gestalten unsere Lebensgrundlagen mit dem Einkaufskorb.