Interview mit Renate Künast Freiwillig klappt nichts - Interview mit Renate Künast: Teil 2

Renate Künast ist streitbar wie eh und je und hat feste Vorstellungen über eine gesündere Ernährung. Die LP traf die Landwirtschaftsministerin a. D. in Berlin.

Freitag, 31. August 2018 - Management
Andrea Kurtz
Artikelbild Freiwillig klappt nichts - Interview mit Renate Künast: Teil 2
Bildquelle: Santiago Engelhardt

Warum ist die städtische Ernährung für Sie so wichtig?
Ich habe verschiedene Gründe dafür. Wir haben Abkommen unterzeichnet wie das Klimaschutzabkommen oder Ziele der WHO. Derartige Zielstellungen können wir gar nicht erreichen, wenn wir die Städte nicht mitnehmen – und die Städte ihrerseits diese Aufgaben nicht annehmen. In naher Zukunft werden 80 Prozent der Menschen in Städten leben. Die Gelegenheit für einen solchen Ansatz war noch nie so günstig, eben weil es ein wachsendes Food-Movement gibt. Und dort, wo Eltern sich darin nicht einbringen können oder wollen, um sich um die Ernährung der Kinder zu kümmern, sind wir als Staat gefragt, in Kindergärten und Schulen anzufangen.

Gibt es bereits ein Beispiel für ein solches Stadtkonzept?
Kopenhagen ist derzeit wohl schon am weitesten. Dort wurde entschieden, in allen 900 Gemeinschaftsküchen der Stadt – bis hin zu den Küchen in den Pflegeheimen – auf Bio umzustellen. 90 Prozent wurden mittlerweile umgestellt. Das zeigt für mich, was erreicht werden kann. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine solche Grundentscheidung großen Einfluss auf die Einkaufsentscheidungen aller Bürger dort hat, eine Absatzperspektive für Bauern ist und gut fürs Klima sowie Biodiversität ist.

Wie wollen Sie dieses Gesamtkonzept umsetzen?
Ich würde an dieser Stelle gern das Wort ‚Foodscape‘ einführen, abgeleitet vom englischen Landscape (Landschaft). Denn das meint die Art, wie sich die Stadt ernährt, für sich selbst zu einer Stadtlandschaft wird und Landschaft außerhalb gestaltet. Das schließt Böden, Gärten, Äcker, aber auch Handel, Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung ein. Wie sich eine Stadt ernährt, muss geplant werden. Woher kommen Lebensmittel für Kindergärten, Schulen, Mensen, Kantinen – und können wir bei diesem Essen darauf achten, dass es Vielfalt hereinholt statt zerstört. Ernährungsstandards wie die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sollen Maßstab werden. Das ewig gleiche Angebot von aufgebackenen Brötchen oder Gebäck unterstützt die gesunde Ernährung einer Stadt jedenfalls nicht. Mir geht es um den gemeinschaftlichen Ansatz dabei, in der Gemeinschaftsverpflegung und im öffentlichen Raum.

Klingt logisch … aber ungeheuer vielschichtig …
Das ist ja das Faszinierende. Hier geht es um Biodiversität, aber auch um die Pflege von regionalen, saisonalen und biologischen Produkten, die verwendet werden. Das ist dann gleichzeitig schon Ernährungsbildung, denn ich kann Kindern erklären, warum es nicht zu jeder Jahreszeit dasselbe Gemüse geben kann. Es bietet der Landwirtschaft im Umland Perspektiven, integriert Stadt und Land neu und nimmt auch die bäuerlichen Betriebe mit, in dem es ihnen Absatzmöglichkeiten beschert. Ich nenne das ‚Erhalten durch Aufessen‘. Das geht natürlich auch mit Trinken, denn regionale Biere oder ein guter Wein gehören auch in dieses Konzept. Stadt und Land müssen ihre Kontaktstrukturen verändern, um diese Produkte in die gesamte städtische Verpflegung einfließen zu lassen.

Welche Rolle hat der Handel dabei?
Ich gehe davon aus, dass der Handel sieht, welche Produkte gefordert sind und dass der Bedarf an Vielfalt steigt. Man merkt dies ja bereits. Auf der Expo in Mailand beispielsweise gab es diesen Modell-Supermarkt, bei dem bei jedem Produkt schon der ökologische Fußabdruck sichtbar war. Nun muss sicher nicht jeder Supermarkt so aussehen, aber die Erkenntnis ‚Genuss ist nicht immer Kaviar‘ ist wünschenswert. Der tolle Apfel von nebenan ist es genauso – plus die große Auswahl, die ein Händler an Äpfeln vorhalten kann. Der Handel hat sich schon auf den Weg gemacht, diese Vielfalt zu zeigen. Darüber hinaus hat er begriffen, dass die Kunden auch Produkte von kleineren Herstellern suchen und bedient diese Vielfalt. Aber die Strecke ist noch weit.

Wie soll der Handel diese Vielfalt denn ausloben?
Mit einer deutlichen Kennzeichnung. Das ist zum einen die Lebensmittelampel, zum anderen ein Siegel für Regionalität etc. So kann damit auch geworben werden. Für die Kunden ist das Lebensqualität, denn sie entscheiden sich ja bewusst, in welches Geschäft mit welchem Angebot sie gehen. Aber das geht nur mittels Transparenz.

Sehen Sie auch Änderungsbedarf in der Lebensmittelherstellung?
Auf jeden Fall. Wir müssen an den Reformulierungen arbeiten. Wir haben eine hohe Anzahl von hoch verarbeiteten Lebensmitteln, bei denen nicht mehr erkennbar ist, was es ist. Darüber hinaus haben diese Lebensmittel eine viel zu hohe Energiedichte. In meinen Augen reicht es nicht, hier auf die Gesamtkalorienzahl zu verweisen, wie Frau Klöckner das macht. Der englische Satz ‚Make it easy to go the healthy way‘ (‚Mach es leicht, gesund zu leben‘) muss unser Grundsatz werden. Es hat sich über die Jahre eine Praxis entwickelt, die häufig den billigsten Rohstoff einsetzt oder bei Rohstoffen trickst. Das darf es nicht mehr geben. Auf jeden Fall brauchen wir Transparenz über alles, was in den Produkten steckt.