Interview mit Jörg Hieber „Nur schlechtes Wetter macht gute Seeleute“ - Interview mit Jörg Hieber: Teil 3

Jörg Hieber wird 80! Seit 1966 schreibt er Handelsgeschichte. Die LP tourte mit ihm durch seine Märkte. Themen dabei: Die Macht der Zahlen, finanzielle Schiffbrüche, Discount als Herausforderung und der Wettlauf mit dem E-Commerce.

Donnerstag, 26. April 2018 - Management
Andrea Kurtz
Artikelbild „Nur schlechtes Wetter macht gute Seeleute“ - Interview mit Jörg Hieber: Teil 3
Stationen eines Kaufmannslebens: Hier dürfte vor allem die Farbe heute gewöhnungsbedürftig sein.
Bildquelle: Peter Eilers, Hieber, Reinhard Rosendahl

Wenn Sie auf die Entwicklung im Handel schauen: Was war die größte Herausforderung seit Sie Mitte der 60er-Jahre begonnen haben?
In den 60ern waren das die Discounter. Als diese auftauchten, hat sie zunächst keiner Ernst genommen. Die Fülle von kleinen Einzelhändlern: Wo sind die heute alle?

Hat der Discount Sie so stark gemacht?
Beim Discounter muss klar sein: Mit dessen Waffe, dem Preis, können wir klassischen Supermärkte nicht gewinnen. Das haben viele, auch die Handelszentralen, zu spät erkannt. Mehr noch: Die Discounter haben uns zu immer größerer Leistung getrieben. Ich habe schon damals immer gesagt ‚Ich kann gegen Klitschko gewinnen, aber nicht im Boxen‘. Wir müssen die Kunden verführen, Emotionen schaffen, mehr und bessere Sortimente führen, Top-Frische, freundliches und gut geschultes Personal und damit einen Mehrwert für den Kunden bieten. Auch Gastronomie kann ein Weg sein.

Lässt sich mit der Gastronomie denn doch schon Geld verdienen?
Nein, noch nicht. Aber als wir vor 40 Jahren angefangen haben, Fleisch und Wurst zu verkaufen, haben wir auch jahrelang kein Geld verdient. Ohne Fleisch-Abteilung wären wir heute aber nicht existenzfähig. Das sehe ich als normale Entwicklung und als Investition in die Zukunft.

Und die größte Herausforderung heute ...
... ist der Onlinehandel, auch wenn das noch ein schleichender Prozess ist. Dafür haben wir alle noch keine zündende und vor allem gewinnbringende Idee oder gar die richtige Strategie. Das gilt für alle: Keiner verdient Geld mit dem Onlinehandel, aber alle wollen mit dabei sein. Selbst wenn uns im Lebensmittelhandel der Onlinehandel nur zehn Prozent wegnimmt, dann fehlt uns von vornherein schon mal die Spitze der Rendite. Und dann kommt unsere schrumpfende Bevölkerung dazu, die demografische Entwicklung, das steigende Gesundheitsbewusstsein: Das macht noch mal fünf Prozent. Und wir haben doch schon eine zu hohe Flächendichte. Der Wettbewerb wird sicher noch härter werden. Darüber hinaus können wir die Digitalisierung noch gar nicht richtig beurteilen. Eine Antwort auf diese Herausforderungen, auf das immer schneller werden, habe ich auch nicht. Was wir auf keinen Fall dürfen: den Service reduzieren. Und vielleicht brauchen wir gar nicht mehr die ganz großen Flächen, weil Getränke-Großgebinde, Windeln und Toilettenpapier stationär keine Rolle mehr spielen.

Und bei der Technologie? Was war da die bahnbrechende Erfindung?
Zum einen haben uns die Energiekosten gezwungen, bei Beleuchtung oder Kühlung auch technologisch weiterzudenken. Fotovoltaik ist ein gutes Beispiel dafür. Im Markt selbst? Wir waren die Ersten, die vor 25 Jahren mit elektronischen Regaletiketten gearbeitet haben, obwohl das noch viel zu teuer war. Auch die Scannerkassen haben uns sehr geholfen, als diese endlich verfügbar waren. Und als es aufkam, war das Fax-Gerät schon eine große Erleichterung.

Sie sind gelernter Konditor. Backen Sie noch? Oder was ist Ihr Rezept für Entspannung und fit bleiben?
Ich war mit Leidenschaft Konditor, aber das war vorbei, als ich in den Lebensmittelhandel einstieg. Nur in den ersten drei Jahren habe ich, um unser 50 Quadratmeter großes Lädelchen über Wasser zu halten, Marzipanfiguren oder Osterhasen gemacht, die wir auf Messen angeboten haben. Ein paar Jahre habe ich für unsere Märkte noch Schoko-Hasen gemacht. Aber das ist vorbei. Fitbleiben? Drei Dinge sind dabei ganz wichtig: viel Bewegung, gesunde Ernährung und soziale Kontakte. So kann man relativ gesund alt werden und fit bleiben. Und: Probleme nicht mit in den Feierabend nehmen. Der Feierabend ist zum Abschalten und die Nacht zum Schlafen da.

Fanden und finden Sie immer die Zeit für Bewegung?
Ich fahre noch immer Rad, Mountain Bike oder Rennrad – und zwar viel. Ich ziehe mein Trikot eigentlich nur für mindestens 70 Kilometer an. Oft werden es 80 bis 140 Kilometer. Mein Ziel sind 10.000 km im Jahr. Wenn es möglich ist, mache ich jedes Jahr eine Fernfahrt mit dem Rennrad nach Barcelona, Paris, Nizza oder Bilbao. Selbst in meinen stressigsten Zeiten habe ich manchmal gesagt, ich bin jetzt drei Stunden Radfahren. Dafür habe ich auch nie irgendwelche Termine vorgeschützt. Hinterher war dann der Kopf immer frei und riesengroße Probleme waren oft nur noch halb so groß. Das Radrennen Tour de Hieber, das wir seit 20 Jahren veranstalten, ist auch eins unserer erfolgreichsten Kunden-Events. Bei gutem Wetter starten mehr als 100 Teilnehmer.

Nur Radfahren werden Sie nach dem 80. aber nicht?
Auf keinen Fall. Ganz aufhören konnte ich mir nie vorstellen, auch wenn ich die operative Verantwortung schon lange an Dieter abgegeben habe. Wir machen viele Dinge gemeinsam wie beispielsweise Meetings mit den Führungskräften. Ich ziehe fast jeden Tag meinen Kittel an, besuche Märkte oder gehe jeden Tag ins Büro. Gleich morgens um 7.30 Uhr schaue ich auf die Zahlen des Vortags; bis vor zwei Jahren habe ich diese, trotz Computer, sogar noch richtig mit der Hand abgeschrieben und verarbeitet. Zahlen muss man schreiben, muss sie leben, um sie zu begreifen.

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Bild öffnen 80 Jahre –  und den Schelm stets im Nacken: Jörg Hieber.<br />
Bild öffnen Stationen eines Kaufmannslebens: Hier dürfte vor allem die Farbe heute gewöhnungsbedürftig sein.
Bild öffnen Neben Jörg Hieber, seine Frau Anneliese.
Bild öffnen Wenn es möglich ist, jedes Jahr eine Fernfahrt mit dem Rennrad nach Barcelona, Paris, Nizza oder Bilbao. Auch im größten Stress wird mal drei Stunden Rad gefahren.
Bild öffnen Edeka-Vorstand Markus Mosa war sicher gerne Gast bei der MLF-Tagung, die letztes Jahr von Jörg und Dieter Hieber ausgerichtet wurde.