Recht Neues auf dem Teller

Lebensmittel aus Insekten, Algen oder Pilzen: Die überarbeitete Novel-Food-Verordnung vereinfacht die rechtssichere Zulassung neuartiger Lebensmittel in der EU erheblich: ein Gastbeitrag von Peter Loosen, Geschäftsführer BLL

Donnerstag, 26. April 2018, 22:47 Uhr
Peter Loosen
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Bildquelle: Getty Images

Essen wir demnächst alle Insekten als neue alternative Proteinquelle? Den Eindruck konnte man beim Lesen der Gazetten im Januar 2018 durchaus gewinnen. Die Tatsache, dass seit dem 1. Januar diesen Jahres die neue EU-Verordnung über neuartige Lebensmittel gilt, die den Weg für eine vereinfachte und rechtssichere Zulassung sogenannter Novel Foods ebnet, veranlasste viele Berichterstatter dazu, dies am gängigen Beispiel der Insekten den Lesern verständlich zu machen. Dabei ist Novel Food viel mehr als Insekten. Dies zeigt der folgende Überblick.

Was sind neuartige Lebensmittel?
Neuartige Lebensmittel (Novel Foods) sind alle Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 noch nicht in nennenswertem Umfang in der Europäischen Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und mindestens einer der folgenden Kategorien zugeordnet werden können: Lebensmittel

  • mit neuer oder gezielt veränderter Molekularstruktur,
  • aus Mikroorganismen, Pilzen oder Algen,
  • aus Materialien mineralischen Ursprungs,
  • aus Pflanzen oder Pflanzenteilen,
  • aus Tieren oder deren Teilen,
  • aus Zell- oder Gewebekulturen,
  • die durch ein neuartiges, nicht übliches Verfahren hergestellt wurden,
  • aus technisch hergestellten Nanomaterialien,
  • die Vitamine, Mineralstoffe und andere Stoffe sind,
  • die ausschließlich in Nahrungsergänzungsmitteln als nicht neuartig gelten und nun in anderen Lebensmitteln verwendet werden sollen.

Was beinhaltet die Novel-Food-Verordnung?
Die Verordnung (EU) 2015/2283 löst die „alte“ Verordnung über neuartige Lebensmittel (Verordnung (EG) Nr. 258/97) ab. Diese galt seit 1997 und hatte erstmals das Inverkehrbringen „neuartiger“ Lebensmittel von vorheriger wissenschaftlicher Sicherheitsprüfung und Zulassung durch den Gesetzgeber abhängig gemacht.

125

bisher als neuartig zugelassene Lebensmittel stehen nun in der Unionsliste.

Was ändert sich konkret mit der neuen Novel-Food-Verordnung?
Mit der neuen Novel-Food-Verordnung…

… sind die Zulassungsverfahren „europäisiert“ worden, das heißt, sie laufen gleich über die Kommission und nicht mehr erst über die Mitgliedsstaaten,

… ist neben das Zulassungsverfahren für neuartige Lebensmittel ein Anmeldeverfahren für traditionelle Lebensmittel aus Drittländern getreten,

… ist die Begriffsbestimmung für neuartige Lebensmittel aktualisiert worden,

… ist eine neue Begriffsbestimmung für traditionelle Lebensmittel aus Drittländern eingeführt worden,

… gelten Zulassungen neuartiger Lebensmittel und Anmeldungen traditioneller Lebensmittel aus Drittländern allgemein. Das heißt, es muss nicht mehr jeder Lebensmit-telunternehmer, der ein neuartiges Lebensmittel in den Verkehr bringen will, eine eigene Zulassung erwirken, und

… sind alle bisher zugelassenen neuartigen Lebensmittel (125) in einer neuen „Unionsliste neuartiger Lebensmittel“ zusammengefasst worden.

Was sind bekannte Beispiele für bereits nach alter Verordnung zugelassene neuartige Lebensmittel?
Die bekanntesten Beispiele der seit 1997 zugelassenen neuartigen Lebensmittel sind etwa mit Phytosterinen/Phytostanolen angereicherte Margarine, mit Hochdruck pasteurisierte Fruchtzubereitungen, Chiasamen und Chiaöl, Nonisaft oder Pflaumenkernöl.

2015/ 2283

Diese Verordnung löst EU-weit die alte, seit 1997 geltende Verordnung über neuartige Lebensmittel ab. Die Novel-Food-Verordnung vereinheitlicht die Zulassungsverfahren, die nun auch über die EU-Kommission laufen und nicht mehr über die einzelnen Mitgliedsstaaten.

Wer bestimmt, ob ein Lebensmittel neuartig ist?
Die Lebensmittelunternehmer sind verpflichtet, zu prüfen, ob ein Lebensmittel „neuartig“ im Sinne der Verordnung ist oder nicht. Dazu müssen sie zuerst prüfen, ob es schon einen „nennenswerten Verzehr vor dem 15. Mai 1997“ gegeben hat. Ist dies der Fall, ist das Lebensmittel nicht neuartig und bedarf keiner Zulassung. Die Europäische Kommission hat zu dieser Frage eine Leitlinie „menschlicher Verzehr in nennenswertem Umfang“ erstellt, an der sich die Lebensmittelunternehmer orientieren können.

Hat es keinen nennenswerten Verzehr vor dem Stichtag gegeben, müssen die Lebensmittelunternehmer weiter prüfen, ob das neue Lebensmittel unter eine der zehn genannten Kategorien neuartiger Lebensmittel fällt, denn nur dann handelt es sich um zulassungsbedürftige neuartige Lebensmittel.

Passt das Lebensmittel zu keiner der zehn Kategorien, kann es sein, dass es „neu“, aber nicht neuartig ist. „Neu“ ist ein Lebensmittel beispielsweise, wenn es eine neue Rezeptur aufweist oder sonstige nur marginale Unterschiede zu bestehenden Lebensmitteln bestehen. „Neue“ Lebensmittel in diesem Sinne müssen selbstverständlich nicht zugelassen werden.

Sind sich die Hersteller unsicher, ob ein Lebensmittel neuartig ist oder nicht, müssen sie die in den jeweiligen Mitgliedsstaaten zuständigen Stellen nach deren Einschätzung fragen: In Deutschland ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zuständig.

Wie funktioniert das Zulassungsverfahren für neuartige Lebensmittel?
Wer ein neuartiges Lebensmittel in den Verkehr bringen will, muss einen Zulassungsantrag gemäß Artikel 10 der Verordnung (EU) 2015/2283 bei der Europäischen Kommission stellen. Der Verfahrensablauf ist in den Artikeln 10, 11 und 12 der Verordnung geregelt.

Wie funktioniert die Meldung eines traditionellen Lebensmittels aus einem Drittland?
Wenn ein Lebensmittel eine „Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel„ in einem Staat außerhalb der Europäischen Union hat, kann dafür statt eines Zulassungsantrags eine (vereinfachte) Meldung gemäß Artikel 14 und 15 der Novel Food-Verordnung bei der Europäischen Kommission erfolgen. Dies gilt nur für neuartige Lebensmittel der Kategorien „Mikroorganismen, Pilze, Algen, Tiere, Pflanzen sowie Zell- oder Gewebekulturen“.

Wenn seitens der Kommission, der Mitgliedstaaten und der EFSA binnen einer Frist von vier Monaten keine begründeten Einwände geltend gemacht werden, trägt die Kommission das Lebensmittel in die Unionsliste ein.

Bestehen Einwände, ist eine Aufnahme in die Unionsliste nur noch über ein Zulassungsverfahren mit verkürzten Fristen möglich.