Klimaschutz Nachhaltiges Bauen

Klimawandel, steigende Energiepreise, neue Gesetze: Ökologisches Bauen und Sanieren wird für Handel und Industrie zur Notwendigkeit. Die Potenziale sind hoch, die Herausforderungen auch.

Mittwoch, 13. September 2023 - Management
Bettina Röttig
Artikelbild Nachhaltiges Bauen
Wird Kaffeesatz zu einem kohleähnlichen Material (Biochar) verarbeitet, kann dieses 15 Prozent des Sandes ersetzen und Beton um 30 Prozent stärker machen, haben Wissenschaftler der RMIT University Australia erforscht.
Bildquelle: Peter Eilers, Stefan Gröschel/TU Dresden, Getty Images, Adobe Stock

Grauer Beton statt begrünte Fassade oder warme Holzkonstruktion: Der Rewe-Markt in der Revaler Straße 33 in Berlin-Friedrichshain entspricht optisch keineswegs dem Klischeebild eines nachhaltigen Gebäudes. Was nach Klimasünde aussieht, hat jedoch das Potenzial, die Baubranche grüner zu machen. Der Clou: der alternative Baustoff Infraleichtbeton (ILC). Dieser wurde von der Technischen Universität (TU) Berlin erforscht und von der Rewe nun in der Praxis erprobt. „Es ist tatsächlich weltweit das erste Mal, dass der Baustoff in einem Gebäude dieser Größenordnung zum Einsatz kommt“, berichtet Klaus Wiens, Leiter Bauwesen Filialbau Rewe, der Lebensmittel Praxis. Die Vorteile: Der Beton mit vielen Luftporen kommt mit einem geringeren Zementgehalt aus und benötigt keine zusätzlichen Kunststoffdämmstoffe oder Schallschutz. „Die Wand ist fertig. Man kann ILC daher auch als tragende Wärmedämmung bezeichnen“, so Wiens. Dies wirkt sich laut Prof. Mike Schlaich vom Institut für Bauingenieurwesen (TU Berlin), positiv auf die CO2-Bilanz aus und ermöglicht später eine sortenreine Trennung der Baustoffe.

Ökologische und energetische Bau- und Sanierungskonzepte sind seit mehr als zehn Jahren Bestandteil der Nachhaltigkeitsstrategie der Rewe Group. Aus gutem Grund: „Der Faktor Bauen ist für rund 40 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich“, weiß Wiens. Den größten Anteil an den Emissionen habe der Betrieb der Gebäude, „aber wir dürfen Bau und Rückbau ebenfalls nicht vernachlässigen. Nachhaltigkeit bedeutet Ganzheitlichkeit“, betont er.

Gesetzliche Pflichten als Treiber
„Wenn Unternehmen zukunftsfähig sein wollen, dann müssen sie aktuelle Entwicklungen im Blick behalten und ihre Effizienz steigern. Nachhaltiges Bauen ist da ein Faktor von vielen, der allerdings nicht zu unterschätzen ist“, meint Stefanie Sabet, Geschäftsführerin der BVE (Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie).

Zu diesen Entwicklungen zählen neue Verpflichtungen. „Der Bedeutungszuwachs von ESG und Nachhaltigkeit in der Immobilienbranche wird in Zukunft sehr wahrscheinlich noch deutlich dynamischer ausfallen als bisher“, prophezeit Hermann Horster, Head of Sustainability von BNP Paribas Real Estate. Seit Januar 2023 gelte die CO2-Abgabe auch für gewerbliche Nutzungen in Deutschland, das Gebäudeenergiegesetz (GEG) solle verschärft werden, ein Emissions-Handelssystem für Gebäude sei in Brüssel in Vorbereitung und die EU plane mit der EPBD-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EU Energy Performance of Buildings Directive) neue Pflichten.

So nimmt der Beratungsbedarf von Unternehmen zu. Diese Beobachtung macht Dr. Axel Kölle, Gründer und Leiter des Zentrums für Nachhaltige Unternehmensführung (ZNU) innerhalb des Netzwerkes. Bei den Anfragen gehe es sowohl um Energieeffizienzstandards des Gebäudes, die einen Einfluss auf die 1,5-Grad-Kompatibilität der Immobilie haben, als auch um Bodenschutz und die Frage, ob alte oder neue Flächen genutzt werden, bis zur Nutzung rezyklierter Rohstoffe und der Planung von Gebäuden als Rohstofflager der Zukunft. Die Erfahrungen aus dem Netzwerk zeigten: „Das größte Potenzial liegt in der Sanierung der Gebäudehülle sowie beim Einbau moderner und energiesparender Heiz-, Lüftungs- und Klimaanlagen“, so Kölle.

Die Ernährungswirtschaft hat hier einen bedeutenden Hebel. Sabet: „Die deutsche Ernährungsindustrie umfasst knapp 6.000 Betriebe mit mehreren Gebäuden. Diese Anzahl allein zeigt schon das Potenzial in der Branche, durch Bau- oder Sanierungsmaßnahmen zum Klimaschutz beizutragen. Generell muss jedes Potenzial für mehr Nachhaltigkeit ausgeschöpft werden, damit die ambitionierten Ziele erreicht werden können.“ Baumaßnahmen seien zeit- und vor allem kostenintensiv und wirkten sich erst langsam auf die Klimabilanz aus, doch die Chancen dabei seien groß, betont sie: „Nach Schätzungen der Beraterfirma Ökotek könnten Fotovoltaik und Windturbinen in Kombination mit einem Stromspeicher – je nach Standort und Bedarf – beispielsweise bis zu 60 Prozent des Energiebedarfs eines Produktionsstandortes abdecken.“

Unkomplizierte Lösungen gefordert
Auf der anderen Seite sieht sie Unternehmen in ihren Umbauplänen jedoch auch ausgebremst. Neben fehlender energiepolitischer Planungssicherheit und hoher Investitionssummen nennt sie die oft lange Dauer von Genehmigungsverfahren und eine Flut von benötigten Gutachten. „Eine grundsätzliche Erleichterung wäre die Bund-Länder-übergreifende Harmonisierung von Rechtsvorschriften und Normen für Bebauungen, um Überschneidungen zu reduzieren und gegebenenfalls abweichenden Anforderungen vorzubeugen“, schlägt sie vor.

Zukunft in Holz - Rewe Bau-Strategie

2024 will die Rewe den Rollout ihres neuen Green-Building-Konzeptes starten. Der Pilot, das Rewe Green Farming in Wiesbaden-Erbenheim, wird dafür weiterentwickelt. Aufgrund schlechter Bodenqualität und geringer Fläche musste der Markt zum Teil mit Beton gebaut werden. Künftig wolle Rewe jedoch zu 100 Prozent auf Holzkonstruktionen setzen, kündigt Klaus Wiens an, als Leiter Bauwesen bei der Rewe für den Filialbau verantwortlich: „Uns treibt um, wie wir noch schlauer mit Holz bauen und besser mit dem Baustoff umgehen können. Wiesbaden soll auch ein Pilot dafür sein, wie wir die Träger wiederverwenden können.“ Fester Bestandteil des neuen Konzeptes soll auch die Fotovoltaik sein.

Ihr letztes Bauvorhaben aufgegeben hat die Schwarzwaldmilch. Geplant war die Eröffnung einer CO2-neutralen Schaukäserei als kreisrunder Holzbau mit begehbarem Dach für Ende 2023. Die steigenden Baukosten führten zum Aus. „Das Projekt ,Käserei‘ wird momentan weder weiterverfolgt noch in absehbarer Zukunft neu aufgenommen“, teilt die Molkerei auf Nachfrage mit. Die aktuellen und zurückliegenden Rahmenbedingungen und damit einhergehende Risikofaktoren bestünden nach wie vor, wodurch das Vorhaben wirtschaftlich nicht verantwortungsvoll umgesetzt werden könne. Sehr wohl investiert das Unternehmen in eine Energiezentrale in Zusammenarbeit mit einem Energieversorger vor Ort auf dem Werksgelände im kommenden Herbst, die drei Stadtteile in Freiburg mit Fernwärme versorgen soll. Auch die Brauerei Veltins wendet Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe für den Umbau ihrer Energieversorgung auf: Fotovoltaik-Anlage und die Nutzung von Windkraft inklusive.

Auch der Lebensmitteleinzelhandel ist aktiv. „In den vergangenen Jahren wurden im Handel jährlich etwa 7 bis 10 Prozent der Filialnetze energetisch saniert“, berichtet Benjamin Chini, Projektleiter Forschungsbereich Klima + Energie beim EHI. Auch er sieht Hemmnisse: Neben den erhöhten Kosten für nachhaltige Materialien und komplexen Förderbedingungen für nachhaltige Bauprojekte nennt er mangelnde Material- und Fachkräfteverfügbarkeit.

Rewe-Manager Wiens relativiert das Argument der Aufpreise für Nachhaltigkeit: Abgesehen von den generellen Kostensteigerungen seien Green Buildings nicht teurer, habe die Rewe bewiesen. Hürden gebe es nur in den Köpfen der Menschen, meint er. „Ich erlebe in Gesprächen sehr viel Kreativität darin, alles auf die Kostenseite zu schieben, zugleich fehlt jede Inspiration, was die positiven Effekte angeht. Das kann doch nicht sein“, rügt auch die Chefin der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), Dr. Christine Lemaitre (siehe Interview Seite 16). Sie fordert ein Umdenken.

Die Chance: zirkuläres Bauen
Den Beweis, dass nachhaltiges Bauen nicht im Widerspruch zu Wirtschaftlichkeit stehe, habe Alnatura angetreten, meint Bernhard Schmidt, bei dem Bio-Händler im Bereich Expansion und Immobilien für die Marktplanung und -gestaltung verantwortlich. Seit dem ersten Tag lege Alnatura bei allen Bauprojekten ein besonderes Augenmerk auf nachhaltiges Bauen und die Verwendung von ökologischen Baumaterialien. Der neue Unternehmenssitz in Darmstadt sei das größte Bürogebäude Europas in Lehmbauweise. Durch ein gutes und innovatives Gesamtsystem aus passiven und aktiven Maßnahmen zur Energieversorgung, Klimatisierung und Belüftung, die fein aufeinander abgestimmt sind, können rund 130 Tonnen CO2 (Äquivalent) pro Jahr eingespart werden.

Neben der Frage der Technik geht es beim nachhaltigeren Bauen vor allem um die Frage künftiger Baustoffe. Werden aktuell auch neue Alternativen getestet, steht aktuell vor allem der nachwachsende Baustoff Holz im Fokus. So will etwa die Rewe für ihre Green Buildings zu 100 Prozent auf Holzkonstruktionen setzen, verrät Wiens. Denkbar seien auch Hybridbauten mit ILC.

Die Vorzeigefabrik mitten im Wald 
„The Plus“ ist Möbelfabrik und Touristenziel in einem.
Nicht weniger als die nachhaltigste und zugleich erste zirkuläre Möbelfabrik der Welt hat die Firma Vestre im Südosten Norwegens errichten lassen. Das Gebäude „The Plus“ in namensgebender Form fügt sich harmonisch in seine Umgebung, einen Produktionswald, ein. Der Waldboden, der für die Baustelle sorgfältig abgetragen wurde, bedeckt nun mitsamt der natürlichen Vegetation die vier Werksflügel und macht die Fabrik aus der Vogelperspektive nahezu unsichtbar.

Knapp 900 Solarzellen auf dem begehbaren Dach produzieren rund 250.000 kWh erneuerbare Energie pro Jahr. Zudem nutzt The Plus die überschüssige Prozesswärme zur Klimatisierung. Insgesamt verbraucht die grüne Fabrik 60 Prozent weniger Energie als vergleichbare konventionelle und verursacht einen um 55 Prozent geringeren CO2-Fußabdruck. Beziehe man die Verarbeitungsanlagen in die Betrachtung ein, bringe The Plus im Vergleich einen um 90 Prozent reduzierten Energieverbrauch mit, informiert Vestre. Die gläserne, zirkuläre Produktion ist darauf ausgerichtet, die gefertigten Stadtmöbel aus Holz in Zukunft aufzuarbeiten und in mehrere Nutzungskreisläufe zu bringen. Nach Angaben von Vestre wird The Plus weltweit das erste Gebäude in seiner Kategorie mit der höchsten Umweltzertifizierung, BREEAM, „Herausragend“ für ein globales Leuchtturmprojekt sein. Der Bau solle symbolisieren, dass ökonomisches Wachstum und Naturreichtum einander nicht ausschließen.

Holz sei trotz seiner enormen Stärke und Tragkraft um bis zu 80 Prozent leichter als Beton, wodurch kleinere Fundamente genutzt werden und bestehende Gebäude energieeffizient erweitert werden könnten, erklärt Christian Fild, Director des Geschäftsfeldes für den konstruktiven Holzbau bei Henkel. Mit dem wachsenden Interesse am Holzbau verzeichnet Henkel eine kontinuierlich steigende Nachfrage nach den Klebstofflösungen der Marke Loctite. Holz werde derzeit im Vergleich zu traditionellen Baustoffen wie Beton und Zement jedoch weiterhin benachteiligt, daher sei es entscheidend, „dass die Bauordnungen klar definiert und auf dem neuesten Stand der Technik sind, dass Produktzulassungen effizient funktionieren und dass der Baustoff Holz in Ausschreibungsverfahren nicht benachteiligt wird“, fordert er. Investiert werden müsse in die Ausbildung und Anwerbung von Fachkräften im Holzbau sowie die Förderung der Kreislaufwirtschaft.

Letzteres sieht Wiens als größte Zukunftsaufgabe. Derzeit dürfe man mit Altholz nicht bauen: „Gesetzliche Regelungen müssen daher angepasst werden. Auch müssen wir darüber nachdenken, wie diese Baustoffe in 40 Jahren im Stoffkreislauf gehalten werden können. Wie organisieren wir eine Baustoffbörse, damit künftige Bauherren auch wissen, welche Materialien rückgebaut werden und wo sie zur Verfügung stehen?“ Hierfür brauche es Lösungen, auch aus der Politik. Die Rewe beschäftige sich bereits mit den Fragen, wie die Holzkonstruktion eines Gebäudes mit möglichst geringem Verlust für drei oder vier Gebäudegenerationen im Stoffkreislauf gehalten, das Material also über 150 oder 200 Jahre genutzt werden könnte. „Da Holz einen Nachwuchszyklus von 30 Jahren hat, kann ich so eine Entlastung der Wälder schaffen“, betont Wiens.

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Bild öffnen Anbaubare Rohstoffe könnten die Zukunft der Braubranche sein. Die TU München forscht an einem Verbundstoff aus Granit und Carbonfasern aus Algen. Werden die Fasern aus Algenöl hergestellt, soll der Atmosphäre laut TU mehr CO2 entzogen werden, als dabei freigesetzt wird.