Nachhaltiges Bauen "Wir bauen Piloten, keine einsamen Leuchttürme"

Die neue Generation der Rewe Green Buildings steht vor dem Rollout. Über alternative Baustoffe, die Bedeutung nachhaltigen Bauens für den Kölner Konzern, Kosten, Hürden und künftige Herausforderungen sprach die Lebensmittel Praxis mit Klaus Wiens (Foto), Leiter Bauwesen für Rewe-Filialen.

Freitag, 08. September 2023 - Management
Bettina Röttig

Vor dem Hintergrund des Klimawandels, neuer ESG-Gesetze sowie neuer regionaler Entscheidungen zur Dachbegrünungs- oder Solarpflicht: Welche Bedeutung hat der Faktor nachhaltiges und zirkuläres Bauen Ihrer Einschätzung nach, um als expandierendes Handels-Unternehmen rechtssicher und zukunftsfähig aufgestellt zu sein?
Klaus Wiens:
Grundsätzlich hat Nachhaltiges Bauen innerhalb der Rewe Group als Bestandteil unserer Nachhaltigkeits-Strategie seit mehr als zehn Jahren einen hohen Stellenwert. Wo immer es geht, legen wir bei Neubauten und Sanierungen Maßstäbe nachhaltigen Bauens an und tragen das Thema auch in die Branche. Die sich verschärfende Klimakrise und zusätzliche gesetzliche Anforderungen wie die EU-Taxonomieverordnung machen nachhaltiges Wirtschaften auf allen Ebenen notwendig. Wir sehen daher einen stärkeren Drang von Unternehmen, sich mit nachhaltigem Bauen zu beschäftigen und werden häufiger kontaktiert und gefragt, wie es geht. Ich bin davon überzeugt: Nachhaltiges Bauen wird die Norm werden, kein Extra.

Von welchem Zeitrahmen sprechen wir hier perspektivisch?
Das ist schwer vorherzusehen. Ich gehe aber davon aus, dass in zehn Jahren keiner mehr darüber nachdenken wird, ob er nachhaltig bauen soll oder nicht.

Wo liegen für die Rewe Group bereits greifbare Vorteile nachhaltigen Bauens und Sanierens?
Energetisches Sanieren ist nicht immer einfach, da uns nicht alle Standorte gehören. Überall da, wo Technik abgängig ist, ersetzen wir diese durch Elemente, die wir auch in unseren Green-Building Neubauten einsetzen. Zur Zeit vor Green Building haben wir auch mit Gas-Thermen etc. gebaut. Im Vergleich dazu sparen wir mit der neuen Technik rund 40 Prozent Energie und damit auch Geld. Beim nachhaltigen Bauen geht es nicht nur um ökologische und energetische Aspekte. Wir haben schnell gesehen, dass sich Menschen in den Green Building-Gebäuden mit Holz und viel Tageslicht wohler fühlen und diese auch von den Kunden besser angenommen werden. Damit sind die Gebäude in ihrer Funktion einfach besser.

Sind die Green Buildings bereits ein Imagefaktor für die Rewe Group?
Das würde ich klar bejahen. Alleine was die DGNB-Zertifizierungen betrifft, ist die Rewe heute der größte Player im Markt des nachhaltigen Bauens. Die meisten Menschen wissen es aber nicht. Mit der neuen Generation der Green Buildings mit dem Piloten in Wiesbaden-Erbenheim und dem geplanten Rollout des Konzeptes, kommunizieren wir unser Engagement auf dem Feld des nachhaltigen Bauens deutlicher und offensiver. Nicht, um uns selbst auf die Schulter zu klopfen, sondern um anderen zu zeigen: Es geht und es lohnt sich. Da begreifen wir uns auch als Vorreiter für die Branche. Uns geht es auch darum: Wir bauen keine Leuchttürme, die stehen immer allein da. Wir bauen Piloten und wollen mehr daraus machen.

Wo sind auf der anderen Seite Risiken und Hürden nachhaltigen Bauens – auch monetärer Art?
Eigentlich gibt es keine Risiken. Und Hürden gibt es meist nur in den Köpfen der Menschen. Das, was wir aufzeigen wollen und auch nachweisen können, ist, dass nachhaltiges Bauen kein Hexenwerk ist. Unsere Green Buildings sind normale Gebäude. Das Interessante ist: Die Kosten sind die gleichen, abgesehen von den generellen Kostensteigerungen. Die Annahme, dass nachhaltige Bauprojekte mehr kosten, bremst bisher leider die Transformation. Dabei gilt es nur, die Grundhaltung im Projekt zu verändern, anders zu denken, anders mit Konstruktionen und Materialien umzugehen. Nachhaltigkeit ist kein Extra, das ich kaufe, sondern eine Haltung, die ich lebe.

Die Stadt Oslo beispielsweise verfolgt eine stringente Nachhaltigkeitsstrategie und kann als größter Auftraggeber der Braubranche auch die Bedingungen diktieren. Dazu gehören zum Beispiel emissionsfreie oder fossilfreie Baustellen. Dies hat Auswirkungen auf die Zulieferer, Projektplaner etc. und reicht bis zur Elektrifizierung von Baumaschinen. Wie weit gehen Sie?
Unsere nachhaltigen Gebäude lassen wir DGNB-zertifizieren. Im Rahmen der Zertifizierung spielt die emissions- und schadstoffarme Baustelle eine bedeutende Rolle und ist in der Ausführungsphase. Genau darum geht es auch: Abfallkonzepte auf der Baustelle zu haben, den Maschineneinsatz zu betrachten. Die Baubranche hier ist noch nicht so weit, dass der Bagger ohne Diesel läuft. Aber der Faktor Bauen ist für rund 40 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Den größten Anteil daran hat der Betrieb, aber wir dürfen Bau und Rückbau ebenfalls nicht vernachlässigen. Nachhaltigkeit bedeutet Ganzheitlichkeit. Zertifizierungssysteme helfen dabei, zu gewährleisten, dass ich vom ersten Gedanken an Nachhaltigkeit zu implementieren, von der nachhaltigen und transparenten Planungsphase bis zur Dokumentation eines Projektes.

Sie haben einen ersten Test mit Infraleichtbeton...
In einem Berliner Markt haben wir erstmals mit Infraleichtbeton gearbeitet. Es ist tatsächlich weltweit das erste Mal, dass der Baustoff in einem Gebäude dieser Größenordnung zum Einsatz kommt. Einerseits versuchen wir, nachhaltige Standards zu setzen. Aber versuchen auch möglichst breit zu denken und verfolgen, was sich Neues in der Welt des Bauens tut. Mit dem ILC – infralight concrete – war es ein Zufall. Eines Tages hat mich Prof. Mike Schlaich angerufen von der TU Berlin angerufen, nachdem er eines unserer Green Buildings besucht hatte. Seine Frage war, ob man nicht mal die Kunststoffdämmstoffe weglassen könne. Wir haben uns zusammengesetzt und er hat uns von seinen Forschungen und ersten Erfahrungen erzählt im Bereich ILC. Wir haben dann zwei Masterarbeiten dazu an der TU begleitet und nun das Projekt in der Region Ost in die Umsetzung gebracht.

Was sind für sie konkret die Vorteile?
Die Vorteile sind klar in dem Material zu sehen: Es ist ein Beton, aber mit vielen Luftporen. Damit benötigen Sie keine zusätzliche Dämmung, keinen Putz. Die Wand ist fertig. Man kann ILC daher auch als tragende Wärmedämmung bezeichnen. Der Dämmwert des Materials ist so hoch, dass wir mit der einer Wandstärke von ca. 52 Zentimetern monolithisch bauen konnten und waren fertig. Für den Bauprozess bedeutet dies, dass man Zeit gewinnt.

Ist der Markt also auch ein Pilot?
Wir werten den Markt aktuell noch aus, auch die Prozesse. Ich glaube nicht, dass ILC künftig Holz ersetzen kann - Holz hat seine Berechtigung als nachwachsender Baustoff. Aber ein Nebeneinander der Baustoffe ist interessant. Beispielsweise sind Hybridbauten denkbar. Wo ich erhöhten Brandschutz benötige, könnte ILC zum Einsatz kommen.

Was war schwierig auch in den Zulassungen?
Wie erwähnt, ist der Markt das erste Gebäude mit ILC in der Größenordnung weltweit. Daher war klar, dass die Zulassung etwas komplexer würde. Das Material ist daher ganz klassisch eine Zulassung im Einzelfall. Das heißt wir mussten Prüfverfahren durchlaufen, bis die Behörde ihr Okay gab.

Wo arbeiten Sie noch mit wissenschaftlicher Begleitung an Innovationen?
Aktuell an keinen weiteren. Wir sind vier Mitarbeiter in meiner Abteilung und sind aktuell vor allem damit beschäftigt, aus dem Piloten in Wiesbaden-Erbenheim ein Serienkonzept zu entwickeln, das nächstes Jahr in den Rollout gehen soll. Der ILC-Markt in Berlin muss ausgewertet werden. Somit sind wir dabei, unsere Innovationen zu analysieren und unsere nächsten Schritte abzuleiten. Anstatt eine Innovation nach der anderen zu bringen, ist es wichtig, zu untersuchen, welche Wertschöpfung darin liegt. Das nächste große Thema ist die Digitalisierung der Baustellen, dabei geht es mehr um die Prozesse.

Welche Elemente werden Sie im Rollout übernehmen, welche nicht?
Wir haben in Wiesbaden bewusst nicht alles umgesetzt, da wir dort recht schwierige Gegebenheiten hatten. Das Thema Photovoltaik wird in Zukunft eine große Rolle spielen, wurde in Wiesbaden jedoch erst einmal nicht integriert. Aufgrund der schlechten Bodenqualität und der geringen Fläche mussten wir zweigeschossig bauen, was wir künftig vermeiden wollen. Auch mussten wir zum Teil Beton verwenden. Künftig wollen wir jedoch zu 100 Prozent auf Holzkonstruktionen setzen. Was wir übernehmen werden, ist das Tragwerk und die Modularisierung des Tragwerks. Dies gibt uns mehr Möglichkeiten zur Vorfertigung und mehr Flexibilität. Übernehmen wollen wir die Offenheit des Verkaufsraums, es soll der Treffpunkt sein. Neben der Dachfarm können Wohnungen sein. Wir wollen ohne fossile Energieträger auskommen. Abwärme aus der Gewerbekälte, Luft-Wärmepumpen, aber zusätzlich nehmen wir noch das Thema erneuerbare Energien rein.

Wie viel Potenzial haben Sie für Photovoltaik auf Bestandsmärkten und Neubauten?
Zu Bestandsfilialen kann ich es Ihnen nicht sagen. Es gibt das Ziel der 1.000 Dächer unserer Tochter EHA. Bei Neubauten haben wir nun erstmals Photovoltaik als festen Bestandteil des Green Building Konzeptes etabliert. Aktuell haben wir gemeinsam mit der EHA eine klare Vorstellung dazu erarbeitet.

In manchen Regionen wird die Dachbegrünung Pflicht. Welche Rolle spielt künftig die Begrünung der Märkte?
Bisher gilt dies Pflicht vereinzelt. Auch hier gehen wir jedoch proaktiv nach vorne. Zumindest in zwei von drei Gebäuden soll die Begrünung Standard werden. Wir planen weiter mit drei Gebäudetypen. Im Standard und in den Top-Variante ist die Begrünung mit geplant, da sie Vorteile hat, sie dämmt, kann dazu beitragen, Hitzeinseln in Städten zu reduzieren, sie speichert Regenwasser und gibt es verzögert ab.

Carbon-Beton, Reisstrohbeton, Pilzmyzel: Es wird aktuell mit diversen alternativen Baustoffen getestet. Welche sehen Sie künftig noch als vielversprechend an?
Für uns ist Holz der Baustoff der Zukunft. Holz ist ein nachwachsender Baustoff und noch dazu stellt das entstandene Gebäude dann einen CO2-Speicher dar. Uns treibt um, wie wir noch schlauer mit Holz bauen und besser mit dem Baustoff umgehen können. Wiesbaden soll auch ein Pilot dafür sein, wie wir die Träger wiederverwenden können. Wie schaffe ich es, die Holzkonstruktion eines Gebäudes, das vielleicht 50 Jahre steht, mit möglichst geringem Verlust für drei oder vier Gebäudegenerationen im Stoffkreislauf zu halten – das Holz also 150 oder 200 Jahre nutze. Da Holz einen Nachwuchszyklus von 30 Jahren hat, kann ich so eine Entlastung der Wälder schaffen. Unabhängig, ob wir mit Holz, Lehm oder Infraleichtbeton bauen: Das zirkuläre Bauen ist der Schlüssel.

Welche Wünsche haben Sie an die Baubranche oder Politik?
Da bin ich wieder mal beim Holz und der Kreislaufwirtschaft. Im Moment ist es so, dass man mit Altholz nicht bauen darf. Gesetzliche Regelungen müssen daher angepasst werden. Auch müssen wir darüber nachdenken, wie diese Baustoffe in 40 Jahren im Stoffkreislauf gehalten werden können. Wie organisieren wir eine Baustoffbörse, damit künftige Bauherren auch wissen, welche Materialien rückgebaut werden und wo sie zur Verfügung stehen? Hierfür brauchen wir Lösungen.

Über die Herausforderungen und Chancen nachhaltigen Bauens in Lebensmittelhandel und -industrie informiert die Lebensmittel Praxis in ihrer monothematischen Nachhaltigkeits-Ausgabe, der LP Green Edition (Ausgabe 15/2023).

https://lebensmittelpraxis.de/zentrale-management/37981