Greenwashing Vorsicht bei der Grünfärberei

Die kürzlich veröffentlichte EU-Richtlinie zu den „Green Claims“ muss noch den Weg der Gesetzgebung gehen. Aber eines ist jetzt schon klar: Wer in Zukunft mit grünen Versprechen werben will, muss aufpassen, sagt im LP-Interview Rechtsanwalt Mathis Breuer.

Freitag, 15. September 2023 - Management
Jens Hertling
Artikelbild Vorsicht bei der Grünfärberei

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Fallstricke für Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit?

Mathis Breuer: Bislang fehlen einheitliche konkrete gesetzliche Maßstäbe für umweltbezogene Werbeaussagen. Auch die Gerichte, die sich derzeit verstärkt mit solchen Ausnahmen beschäftigen, haben noch keine einheitliche Linie gefunden. Die Nutzung „grüner“ Claims birgt daher Rechtsunsicherheit.

Wie wird Greenwashing definiert?

Greenwashing ist der Versuch, sich den Verbraucher*innen als umweltfreundlich oder nachhaltig zu präsentieren, ohne dass dies tatsächlich durch entsprechende Maßnahmen gerechtfertigt ist. Man will sich also in dieser Hinsicht „reinwaschen“ und sich und seinen Produkten einen „grünen Anstrich“ geben.

Wann ist es rechtlich problematisch?

Rechtlich problematisch wird es, wenn in der Werbung vage oder gar unbegründete umweltschutz- oder nachhaltigkeitsbezogene Angaben gemacht werden, die als irreführend im Sinne des Wettbewerbsrechts bewertet werden könnten. Wer hier vorschnell handelt und zu vollmundige oder allzu vage und damit nicht nachprüfbare umweltbezogene Werbeclaims verwendet, läuft Gefahr, dass Verbraucherverbände oder Mitbewerber wettbewerbsrechtliche Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche durchsetzen. Die Anforderungen der Rechtsprechung sind aufgrund der erheblichen Sogwirkung, die auf Umweltfreundlichkeit abzielende Werbeversprechen auf viele Verbraucher ausüben, durchaus streng.

Was sollte ein Unternehmen bedenken und einhalten, wenn es um "grüne" Absichten und Versprechen geht?

Wichtig sind im Zusammenhang mit umweltbezogener Werbung stets Transparenz und wirkliche Nachprüfbarkeit. Vage Schlagworte, wie zum Beispiel klimaneutral, umweltfreundlich, -verträglich, -schonend oder nachhaltig, für die kein einheitliches Verbraucherverständnis besteht, sind erklärungsbedürftig. Unternehmen müssen Verbraucher in diesen Fällen alle wesentlichen Informationen zur Verfügung stellen, die es ihnen ermöglichen, die Richtigkeit der Aussagen einschätzen zu können und eine informierte Kaufentscheidung zu treffen. Hierzu gehört auch, ausreichend klar zu machen, ob eine Umweltaussage sich auf das Unternehmen als solches, auf ein einzelnes gesamtes Produkt oder nur auf einen seiner Inhaltsstoffe oder eine Phase des Produktlebenszyklus bezieht.

Gibt es aktuell neue Regeln, die unbedingt eingehalten werden müssen?

In Deutschland und auf EU-Ebene gibt es bislang nur punktuell spezielle Vorschriften. Ein bekanntes Beispiel dafür sind die neuen Energieeffizienzetiketten für verbrauchsintensive Produkte. Über das allgemeine Wettbewerbsrecht und die hierzu ergangenen (leider uneinheitlichen Entscheidungen) gilt aber bereits jetzt, dass bei umweltbezogenen Aussagen unbedingt auf Richtigkeit, Transparenz und Nachprüfbarkeit zu achten ist.

Was sagt die EU und auch die deutsche Rechtsprechung dazu?

Die Europäische Union sieht hier Handlungsbedarf und hat den European Green Deal verabschiedet, in dessen Zuge auch die Diskussion über umweltbezogene Werbung und ein strenges Vorgehen gegen Greenwashing aufkam. Auch die UGP-Richtlinie soll spezifische Tatbestände für Umweltaussagen ergänzt werden.

Die EU-Kommission will gegen Greenwashing vorgehen. Mit ihrem lang erwarteten Gesetzentwurf für eine „Green Claims“-Richtlinie legt sie strenge Regeln für Umweltwerbung vor. Was besagt der Entwurf.

Die Green Claims-Richtlinie soll bestehende EU-Verbraucherschutzvorschriften um ein einheitliches Konzept der Begründungspflicht von freiwilligen Umweltaussagen und die Kommunikation hierüber ergänzen. Der Richtlinienentwurf sieht europaweit einheitliche (hohe) Standards an die Nachweisbarkeit und Kommunikation umweltbezogener Werbeaussagen vor. Freiwillige Umweltaussagen müssen danach künftig vor der Benutzung von einem unabhängigen Umweltgutachter geprüft werden und die Behauptungen wissenschaftlich belegt, substantiiert und transparent sein.

Auch die Vergabe von Umweltsiegeln durch einen externen Zertifizierungsmechanismus wird mit der Green Claims-Richtlinie stark reguliert werden. Mitgliedstaaten sollen nach Inkrafttreten keine neuen Siegelsysteme mehr einführen dürfen. Neue private Siegel und öffentliche Siegel aus Drittstaaten sollen nur nach vorheriger behördlicher Zulassung in der Europäischen Union eingeführt werden dürfen und dies unter der Voraussetzung, dass ihr zusätzlicher Nutzen gegenüber bestehenden Siegeln oder Zertifikaten nachgewiesen wird.

Die externe Vorabprüfung und Freigabe dürfte das Irreführungspotential langfristig maßgeblich senken und mehr Sicherheit nicht nur für Verbraucher*innen, sondern auch für Hersteller und Handel bringen.

Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern und 2 Mio. Euro Umsatz sind von den strengen Anforderungen des Richtlinienentwurfs ausgenommen.

Wann wird die Richtlinie bindend?

Der Richtlinienentwurf muss zunächst das EU-Gesetzgebungsverfahren vollständig durchlaufen. Im Anschluss daran haben die Mitgliedstaaten 18 Monate Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Es wird danach zusätzlich weitere sechs Monate dauern, bis die Bestimmungen in Kraft treten.

Wie könnte ein einheitlicher Rahmen bei Green Claims dafür aussehen, um Sicherheit zu haben und juristisch einwandfrei aufzutreten?

Ein einheitlicher Rahmen für Green Claims sollte klare Definitionen und Kategorien enthalten. Dazu könnten auch einheitliche Standards für ESG-Schlagwörter wie „umweltfreundlich“, „nachhaltig“ und „klimaneutral“ zählen. Eine Nachweispflicht von Unternehmen, dass Produkte oder Dienstleistungen bestimmte Umweltauswirkungen erfüllen, wie es der Entwurf der Green Claims-Richtlinie bereits vorsieht, kann dazu einen Beitrag leisten. Eine Basis hierfür könnten branchenweite Standards oder staatliche Zertifizierungen sein, der auch die vorgesehene verpflichtende Freigabe durch unabhängige Umweltgutachter dienen soll.

Was können Handel und Hersteller tun, um diese Gefahren zu verringern?

Handel und Hersteller sollten aufgrund der strengen geltenden Maßstäbe bereits im Vorfeld zur Verwendung von Umweltschutz- und Nachhaltigkeitsclaims rechtliche Beratung in Anspruch nehmen, um sicherzustellen, dass die schon jetzt bestehenden Aufklärungs- und Nachweiserfordernisse eingehalten werden. Beziehen sich Umweltwirkungen nur auf einen bestimmten Aspekt des Produkts, ist etwa darüber aufzuklären, in welchem Aspekt das Produkt umweltfreundlicher als Konkurrenzprodukte ist. Bestehen neben den beworbenen positiven Eigenschaften auch andere, umweltschädliche Eigenschaften, so ist auch darauf hinzuweisen.

Gibt es Begriffe, die aus rechtlicher Sicht eindeutig oder nicht eindeutig sind, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht?

Eine Einteilung in eindeutige oder nicht eindeutige Begriffe zum Thema Nachhaltigkeit fällt aufgrund der noch fehlenden speziellen Gesetzgebung schwer. Es ist stets eine Einzelfallbetrachtung der Werbeaussage und deren Wahrnehmung durch die Verbraucher*innen in der Kaufsituation vorzunehmen.

Was sollte darüber hinaus bei der Nachhaltigkeitskommunikation beachtet werden?

Bei der Kommunikation mit umweltbezogenen Aussagen (sowie allgemein in der Werbung) ist wichtig zu beachten, dass auch die Werbung mit objektiv richtigen Angaben als irreführend bewertet werden kann, wenn sie bei einem erheblichen Teil des Verkehrs einen unrichtigen Eindruck erweckt. Das kann der Fall sein, wenn mit einer Werbeaussage eine bestimmte, objektiv richtige, aber gesetzlich ohnehin vorgeschriebene Eigenschaft in einer Weise betont wird, die einen tatsächlich nicht vorhandenen Vorzug der beworbenen Ware im Vergleich mit Konkurrenzangeboten suggeriert.

In welchem Umfang kann man sich durch die Verwendung von Siegeln und Zertifikaten absichern?

Etablierte externe Umweltsiegel und Zertifikate bieten hier eine gewisse Sicherheit und genießen Vertrauen bei Verbraucher. Die Zertifizierungssysteme stellen zumeist strenge Anforderungen an die Siegelvergabe und führen regelmäßige Kontrollen der zertifizierten Betriebe durch. Staatlich gesetzte Zertifizierungsstandards und eine gesetzliche Grundlage für die Festlegung der zentralen Vergabekriterien gibt es indes nicht. Handel und Hersteller sind deshalb dazu aufgerufen, sich über Zertifizierungssysteme eingehend zu informieren und kritisch zu hinterfragen, welche Standards und Kontrollen tatsächlich durchgeführt werden und ob diese über den Industriestandard und/oder die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Selbstredend müssen entsprechende Zertifizierungen vor der Verwendung tatsächlich erteilt worden sein und die Verwendung eines Siegels im geschäftlichen Verkehr in dem genutzten Umfang gegebenenfalls vertraglich gestattet worden sein.

Dafür gibt es doch die unabhängigen Audits, die von den Labelgebern durchgeführt werden?

Unabhängige Audits im Kontext von Umweltsiegeln leisten eine objektive Überprüfung und Bewertung der Umweltauswirkungen eines Produkts oder eines Unternehmens durch eine externe Prüfstelle. In vielen Fällen sind unabhängige Audits für die Verwendung von Umweltsiegeln jedoch freiwillig.

Was ist mit den eigenen Labels, die viele Hersteller und Händler entwickeln?

Bislang steht Herstellern und Händlern die Verwendung eigener Umweltlabels frei. Da ihnen keine unabhängige Zertifizierung zugrunde liegt, bergen sie jedoch ein gewisses Irreführungspotential und damit wiederum ein rechtliches Risiko.  Auch hier wäre erforderlich, dass die Anforderungen für prämierte Unternehmen und Produkte transparent und nachvollziehbar kommuniziert werden und über den bloßen Branchenstandard oder schon gesetzgeberisch vorgesehene Selbstverständlichkeiten hinausgehen. Ein solches Siegel muss einen wirklichen ESG-Mehrwert auszeichnen.

Können Sie zwei wichtige Urteile zum „Greenwashing“ kurz erläutern?

Das OLG Düsseldorf (Az.: 20 U 72/22) entschied im Juli zu der Bewerbung einer Marmelade mit Klimaneutralität, dass der Durchschnittsverbraucher den Begriff „klimaneutral“ grundsätzlich im Sinne einer ausgeglichenen CO2-Bilanz der CO2-Emissionen des Unternehmens verstehe, wobei ihm bekannt sei, dass die Neutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden kann. Für eine informierte Entscheidung des Verbrauchers sei allerdings eine Aufklärung auf der Produktverpackung oder in der Werbeanzeige, zumindest durch eine verweisende Angabe z.B. auf eine Website, notwendig. Hier muss erläutert werden, ob die in der Werbung behauptete Klimaneutralität ganz oder teilweise durch Einsparungen oder durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werde. Der Verbraucher müsse auch dadurch aufgeklärt werden, ob bestimmte Informationen von der CO2-Bilanzierung ausgenommen werden. Bemerkenswert ist dabei, dass das OLG der Auffassung einiger Wettbewerbsvereine folgt, wonach „klimaneutrale Produkte“ zwingend voraussetzen, dass auch das Unternehmen als solches klimaneutral ist. Die Anforderungen sind also hoch.

Das OLG Frankfurt a. M. (Az.: 6 U 104/22) untersagte einem Hersteller ökologischer Wasch-, Putz und Reinigungsmittel unter anderem die prominente Werbung mit dem Siegel „Deutscher Nachhaltigkeitspreis 2022“, der dem Unternehmen als Ganzes, nicht jedoch zumindest auch in Bezug auf das konkret beworbene Produkt verliehen worden war.

Ist die Flut von Gesetzen nicht eine Überforderung für die Unternehmen?

Die Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen und Urteilen kann tatsächlich für Verwirrung bei Unternehmen sorgen. Eine bessere Harmonisierung und Standardisierung der Vorgaben auf Unionsebene durch die Vorgaben der Green Claims-Richtlinie können aber dazu beitragen, die Herausforderungen zu verringern. Unternehmen, die umweltfreundliche Praktiken umsetzen, werden künftig von den strengeren und klareren Regeln profitieren. Wer tatsächlich nachhaltig handelt, kann dies kommunizieren und so Wettbewerbsvorteile erzielen.

Würden Sie eine Beratung in diesem Bereich empfehlen?

Angesichts der sich noch ausbildenden, aber sicher eher als streng anzusehenden Linie der Gerichte und der Vielzahl der zu beachtenden Aspekte zu diesem Problemkreis ist eine rechtliche Beratung vor der Verwendung entsprechender Aussagen und Siegel in jedem Fall sinnvoll.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.07.2023 – Az.: 20 U 152/22 

Hochaktuell urteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf vergangenen Monat, dass bei der Werbung mit dem Begriff „Klimaneutralität“ eine Aufklärung darüber erforderlich sei, ob die behauptete Klimaneutralität durch Einsparungen oder durch Kompensationsmaßnahmen erreicht wird und, ob bestimmte Emissionen von der CO2-Bilanzierung ausgenommen wurden. Für ein rechtmäßiges Handeln sei die Angabe „Klimaneutralität wird auch durch Kompensation erreicht“, verbunden mit einem QR-Code oder mit einer ohne weiteres abrufbaren Website, auf die genannten Informationen aufgefunden werden können, ausreichend.

LG Düsseldorf, Urteil vom 24.03.2023 – Az. 38 O 92/22

Das Landgericht Düsseldorf entschied zur Werbung mit der Kompensation von Kohlenstoffdioxidemissionen, dass es sich um eine den Verbrauchern mitzuteilende wesentliche Information im Sinne des § 5a Abs. 1 UWG handele, wie und in welchem Umfang die beworbene Kompensation tatsächlich praktisch umgesetzt werde. Gerade bei der Verwendung umweltbezogener Begriffe, die mit häufig mit unscharfen und unterschiedlichen Erwartungen verknüpft seien und des oft geringen Wissensstandes des Publikums für naturwissenschaftliche Zusammenhänge seien deutliche Hinweise, welche klimaschädlichen Emissionen in den Ausgleich einbezogen sind und inwieweit ein Climate Partner Projekt eine Kompensation herbeiführt, erforderlich.  Zur Verfügung zu stellen seien also alle Informationen, die erforderlich sind, um die sachliche Rechtfertigung einer Werbeaussage nachzuvollziehen und die Bedeutung der zugrundeliegenden Tatsachen einordnen zu können.

OLG Schleswig, Urteil vom 30.6.2022 – 6 U 46/21

Das Oberlandesgericht Schleswig entschied, dass der Begriff „Klimaneutralität“ die Erklärung enthalte, dass die damit beworbene Ware eine ausgeglichene CO2-Bilanz aufweise. Die Werbung mit dem Begriff sei insbesondere dann nicht irreführend, wenn zugleich darauf hingewiesen werde, dass die Klimaneutralität durch Kompensationsmaßnahmen erreicht wird. 

OLG Hamm, Urteil vom 19.08.2021, Az. 4 U 57/21

Das Oberlandesgericht Hamm urteilte, dass die Werbung mit den Begriffen „CO2-reduziert“, „umweltfreundliche Produkte und nachhaltige Verpackungen“ sowie „unser Beitrag zur Nachhaltigkeit“ in ihrer Allgemeinheit vollkommen offen ließe, in Bezug auf welchen konkreten Aspekt des Produktionsprozesses, der Verpackung und des Vertriebs eine Umweltfreundlichkeit oder CO2-Reduktion in Relation zu welchem Standard konkret vorliegen soll und in welcher Hinsicht die verwendeten Verpackungen besonders nachhaltig sein sollen. Entsprechende Hinweise müssten deutlich sichtbar herausgestellt werden.