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Beim Geld hört die Freundschaft auf. Das musste Irina L. lernen: Sie hat jeden Werktag Brötchen geschmiert, von morgens 5 bis 9 Uhr, für einen Stundenlohn von nicht einmal 5 Euro. Ihre Chefin, Betreiberin eines Backshops, hat ihr gestattet, täglich genau einen Kaffee zu trinken, ein belegtes Brötchen hingegen war nicht mehr vorgesehen. Die junge Frau hat diesen Job geschmissen, sich aber insgesamt verbessert: Irina putzt jetzt in einem Privathaushalt. Sie verdient unter dem Strich kaum weniger, weil sie knapp doppelt so viel pro Stunde bekommt und zudem die Fahrkosten spart. Dabei kann Irina ihren Lohn brutto für netto behalten, weil sie im Rahmen eines 450-Euro-Jobs arbeitet.
Bei manchen fest angestellten Mitarbeitern im Lebensmittelhandel sieht die Abrechnung genauso mager aus: Etwa, wenn sie nach der Ausbildung zwar übernommen werden, aber nur in Teilzeit. Kai Scholand, selbstständiger Rewe-Einzelhändler in Mülheim und Essen, gerät bei diesem Thema in Rage: „Es ist unseriös, einem 20-jährigen Menschen anzubieten, dass er nur 30 Stunden pro Woche arbeiten soll.“ Denn dann kann er oder sie sich weder den Führerschein noch ein Auto leisten. Diese Nachwuchskräfte sind auf finanzielle Unterstützung der Eltern oder von Freunden angewiesen sind, argumentiert er. Oder aber, die jungen Einzelhändler fahren abends noch Pizza aus oder gehen im Zweitjob kellnern.
Allzu oft wird ein solcher „Teilzeit-Job wider Willen“ als Druckmittel genutzt: Dem Mitarbeiter wird in Aussicht gestellt, dass er bald auf Vollzeit aufgestockt werde, wenn er sich nur richtig ins Zeug lege. Wenn man das Gehalt dann durch die tatsächlich geleistete Zeit dividiert, ist der Stundenlohn beklagenswert.
Kai Scholand ist übrigens einer der wenigen selbstständigen Arbeitgeber, die sich namentlich zu diesem Punkt äußern. Viele möchten ihren Namen beim Thema „gerechte Bezahlung“ lieber nicht in der Zeitschrift lesen. Dabei kennen sie die Problematik durchaus, wissen, dass manche ihrer Mitarbeiter nicht von dem Geld leben können, das sie ihnen zahlen. Aber: Höhere Personalkosten mindern den Gewinn, man kann auch sagen: kratzen an der eigenen Geldbörse.
Spätestens an diesem Punkt der Argumentation wird der Ruf nach einem Mindestlohn laut. Discounter Lidl hat den Weg bereits publikumswirksam beschritten: Seit September 2012, so kann man auf der Lidl-Homepage nachlesen, hat das Unternehmen einen „eigenen Mindestlohn“ auf 10,50 Euro festgesetzt. Das heißt: „Jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin (inklusive geringfügig Beschäftigter) in den Filialen und im Lager verdient ab 1. September 2012 nicht weniger als 10,50 Euro pro Stunde.“ Lidl betont, dass man bereits seit März 2010 einen Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde vergütet.
Das aber lässt sich nicht ohne Weiteres auf den Rest der Branche übertragen, speziell auf Vertriebsformen, die mit Bedienung und Service für den Kunden punkten. So äußerst sich Rudolf Helgers, Vorstandsmitglied der Rewe Dortmund Großhandels eG: „Auf jeden Fall ist es wichtig, dass es eine faire Bezahlung gibt. Aber wir müssen aufpassen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Discounter, die acht oder zehn Leute im Laden haben, können einen Mindestlohn von 10 oder 11 Euro leicht fordern, während wir im Supermarkt 40 oder 50 Mitarbeiter beschäftigen.“