Für Rewe-Kaufmann Michael Rieck hatte es ein Feierabend auf der Couch werden sollen. Draußen regnet es. In seinem Supermarkt in Schleiden, im Herzen der Eifel, brummt das Geschäft. Ein Anruf aber ändert alle Pläne – für den Abend und viele Monate danach. Das Gespräch hat sich in Riecks Gedächtnis eingebrannt: Der Parkplatz seines Marktes steht unter Wasser. Der kleine Fluss Olef, 50 Meter entfernt, schwillt an. „Ich bin ein Eifeler Jung. Wir kennen Regen. Aber was dann kam, war nicht zu erahnen“, sagt Rieck. Er fährt in den Laden, greift sich Säcke voll Blumenerde, um damit die Eingangstüren abzudichten. Heute weiß er: ein Fehler. Es gab nichts, was zu retten war – außer das eigene Leben. Der Chef und seine Mitarbeiter müssen später von der Feuerwehr über das Dach evakuiert werden, verbringen die Nacht im Bürgerhaus einen Ort weiter, „klitschnass, zitternd“, wie Rieck sagt, aber in Sicherheit.
Über die Flutkatastrophe in dieser Julinacht 2021 wird weltweit als „Jahrhunderthochwasser“ berichtet. Allerdings: Seit Beginn des neuen Jahrhunderts gibt es immer wieder Fluten dieser Kategorie allein in Deutschland. Nach Hochwasserkatastrophen in den Jahren 2002, 2005, 2013 und 2021 trifft es an Weihnachten 2023 Niedersachsen, im Juni 2024 versinkt Süddeutschland. Außerdem jagt ein Hitzerekord den nächsten. Die Folgen des fortschreitenden Klimawandels zerstören nun auch in Deutschland Existenzen.
Gerade der Ernährungswirtschaft steht das Wasser zuweilen im Wortsinn bis zum Hals. Schritte, um den Klimawandel zu bremsen, also die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, sind deshalb wichtiger denn je. Mittlerweile aber geht es nicht mehr nur darum, aufzuhalten – es geht auch darum, auszuhalten. Menschen und Unternehmen müssen sich anpassen, um mit den schon spürbaren Auswirkungen des Klimawandels umzugehen. Was genau aber braucht es, um Betriebe und Lieferketten widerstandsfähig gegen Dürre, Fluten, Stürme zu machen? Den Verantwortlichen der Branche stellen sich immer drängender ganz praktische Fragen: Wie zum Beispiel müssen Standorte künftig geplant, wie Märkte umgebaut werden, um auch in langen Hitzephasen und bei Starkregenereignissen sicher zu sein? Von den Antworten hängen die Versorgungssicherheit der Verbraucher und die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen ab.
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Klimawandel und Extremwetter
Monsunregen und Dürre hängen zusammen: Beide Phänomene entstehen durch den Wasserkreislauf der Erde. Der Klimawandel stört dieses wichtige System. Denn: Wärmere Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen als kältere. Bei höheren Temperaturen sind also mehr Niederschläge zu erwarten. Umgekehrt kann eine erhöhte Verdunstung auch die Trockenheit in Gebieten verstärken, die zu Dürre neigen: Das Wasser entweicht in die Atmosphäre, statt auf dem Boden zu bleiben.
Weit weg vom Klima-Ziel
Im Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 hatte sich die Staatengemeinschaft darauf geeinigt, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Die gegenwärtig umgesetzte Klimapolitik reiche jedoch noch nicht aus, warnt etwa das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Die Forscher prognostizieren bis zum Ende dieses Jahrhunderts eine globale Erwärmung von 2,6 Grad Celsius.
Kaffeebohnen schrumpfen zu stark
Die Folgen des Klimawandels sind im Globalen Süden von Region zu Region, von Produkt zu Produkt und in jeder Saison neu und unterschiedlich – und unter dem Strich existenzbedrohend, berichtet Fairtrade Deutschland. Im ersten Halbjahr 2024 führten beispielsweise monatelange Regenfälle und Überschwemmungen in Ostafrika zu Hochwasser. „Erdrutsche haben Ernten zerstört, Straßen sind unpassierbar, was Exportmöglichkeiten beeinträchtigt. Betroffen sind auch mehrere Fairtrade-Kooperativen in Kenia und Uganda“, so Benjamin Drösel, Vorstand Marketing und Vertrieb bei Fairtrade. Vietnam, ein wichtiges Anbauland von Robusta-Kaffee, litt zuletzt unter extremen Hitzewellen, das größte Arabica-Anbauland Brasilien unter extremen Regenfällen. Der Klimawandel führe nicht nur zu Ernteverlusten, sondern auch zu Qualitätseinbußen: „In manchen Regionen ist beispielsweise die Bohnengröße geringer als sonst. Das hat Auswirkungen darauf, für welchen Markt die Ware geeignet ist“, erläutert Drösel. Wird Kaffee als ganze Bohne verkauft, braucht es größere Bohnen – die es künftig seltener gibt. Deshalb setzt sich Fairtrade für Verbesserungen ein: „Trainings zu Bodenfruchtbarkeit, nachhaltigen Anbauweisen und Anpassungsmaßnahmen wie Agroforstsysteme bei Kaffee und Kakao gehören zum Angebot der Produzentennetzwerke in allen Regionen“, zählt Drösel auf. Hinzu kommen Kooperationsprojekte mit Partnern, auch aus der Wirtschaft.
Deutsche Landwirte müssen handeln
10 Prozent weniger Getreide, regionale Totalausfälle bei der Obsternte: Der Erntebericht des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ist alarmierend und macht die Klimakrise klar verantwortlich. Allein der Hagel im April 2024 hat Schäden von rund 500 Millionen Euro verursacht, berichtet der Deutsche Bauernverband, die Frostschäden summierten sich nach Schätzungen auf mindestens 210 bis 254 Millionen Euro. „Die Landwirtschaft wird künftig in der Regel mit weniger Niederschlag auskommen, längere Dürrephasen überbrücken und mit Extremwetterereignissen umgehen müssen“, erklärt eine Verbandssprecherin. Mit den bisherigen Instrumenten für eine angepasste Bestandsführung, Sortenwahl und wassersparende Bodenbearbeitung seien diese Herausforderungen in vielen Fällen künftig nicht mehr zu bewältigen.
Branche in der Pflicht
7,5 Millionen Farmer im Globalen Süden arbeiten mit der Organisation Rainforest Alliance zusammen. Extreme Hitze und Regenfälle, Hochwasser, die Veränderung in der Niederschlagsverteilung und die Zunahme von Pflanzenkrankheiten führten im Globalen Süden bereits zu Ernteverlusten, berichtet Celia Harvey, Director Climate bei der Rainforest Alliance, von den Auswirkungen des Klimawandels. Stark betroffen sei Kakao, wo sich die Pilzkrankheit Black Pod ausbreite. „In Ghana ging die Kakaoernte zuletzt um rund 20 Prozent zurück. Aber auch dem Kaffee wird es zu trocken und zu heiß“, so die Expertin.
Seit 2020 hat die Rainforest Alliance ihren Standard angepasst und regenerative sowie klimagerechte Praktiken eingeführt. „Wir sehen, dass zum Beispiel Schatten spendende Bäume auf Kaffeeplantagen die Durchschnittstemperaturen um bis zu 4 Grad senken können, zugleich wird die Bodengesundheit gefördert über mehr Biodiversität“, berichtet sie. Ihre Kollegin Juliana Jaramillo, Lead Sustainable and Resilient Agriculture, sieht Lebensmittelhandel und -industrie in der Pflicht: „Der Fokus im Kampf gegen den Klimawandel liegt aktuell auf der Reduktion von CO2-Emissionen, es fehlt aus unserer Sicht das Commitment, in Klima-Anpassungsmaßnahmen der Kakao-, Tee-, Bananen- oder Kaffeeproduzenten zu investieren.“ Der Zugang zu Saatgut, um auf neue, klimaresiliente Sorten umzusteigen, und Baumpflanzungen kosteten. Es brauche faire Preise, um die Lieferketten abzusichern, aber auch mehr Aufklärung über die Herausforderungen der Farmer im Lebensmittelhandel.
Alles schwimmt – auch Kühltheken
Denn schon die ersten Folgen des Klimawandels kosten gigantische Summen. Allein 2023 verursachten Naturkatastrophen weltweit Gesamtschäden in Höhe von 250 Milliarden US-Dollar (226 Milliarden Euro) und forderten rund 74.000 Todesopfer, berichtet der Rückversicherer Munich Re. Gut drei Viertel der Schäden waren wetterbedingt.
Etwa für dm sind das längst nicht mehr nur abstrakte Zahlen: „Auch wir bei dm beobachten mit zunehmenden Extremwetterereignissen steigende Beeinträchtigungen für die Gebäude und damit einhergehende Kapitalschäden“, berichtet Markus Trojansky, als Geschäftsführer bei der Drogeriekette verantwortlich für die Expansion und die dm-Vermögensverwaltungsgesellschaft. Jüngst waren einzelne dm-Drogeriemärkte im Saarland, Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein betroffen.
Verwüste die Flut einen Supermarkt, liefen schnell Kosten in Millionenhöhe auf, sagt Rewe-Händler Rieck. In nur wenigen Stunden hatten die Wassermassen sein Getränkelager vernichtet, drangen bis zu 1,70 Meter Höhe in den Markt ein, kippten jedes noch so schwere Kühlmöbel um, schoben die 15 Meter lange Bedienungstheke wie Spielzeug durch den Markt. „Alles schwimmt, sogar Dosenerbsen“, erinnert sich Rieck. Zu den Kosten für den Wiederaufbau kam somit die Rechnung für die Entsorgung von Waren und Mobiliar.
Auch in der Landwirtschaft richten Extremwetterereignisse große Schäden an. Im Globalen Süden haben Ernteausfälle und Überschwemmungen in den vergangenen Monaten viele Rohstoffpreise in die Höhe schnellen lassen. Ein Vorgeschmack auf das, was droht: Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) prognostiziert jährliche Inflationsraten von bis zu 1,8 Prozent für den Lebensmittelsektor – allein durch den Klimawandel.
Ein Blick auf die Temperaturen zeigt, dass diese in Deutschland schneller steigen als im Durchschnitt. Der Klimawandel in Form von Spätfrösten, Hochwasser und heftigen Unwettern beeinträchtigt denn auch die Erträge in Deutschland, belegt die gerade veröffentlichte Erntebilanz des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. „Klimaschutz und Klimaanpassung sind das Gebot unserer Zeit“, mahnt Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, als er den Bericht vorlegt. Jelena Nikolić, Nachhaltigkeitsexpertin beim Handelsverband Deutschland (HDE), sagt: „Klimaschutz und Klimaanpassung sind zwei Seiten der gleichen Medaille – es braucht beides, um Unternehmen nachhaltig für die Zukunft abzusichern und Schadensrisiken zu reduzieren.“
Die Versicherung? Zahlt längst nicht immer
Dass sie längst ausreichend vorgesorgt haben, glauben manche – und begehen damit oft einen Denkfehler. Wer sich beispielsweise durch Versicherungen und Bauvorschriften in Sicherheit wähnt, geht ein hohes Risiko ein: „Mir war nicht klar, dass ich nicht gegen Flutkatastrophen und Extremwetterereignisse versichert war“, berichtet etwa Rewe-Kaufmann Michael Rieck.
Mehrere Millionen Euro kostete der Wiederaufbau seines Marktes nach der Flut. Obwohl er finanzielle Hilfe über den „Aufbaufonds 2021“ der Bundesregierung in Anspruch nahm, blieb er auf einem guten Teil der Kosten sitzen. Denn nur 80 Prozent des nachweislich von der Flut zerstörten Wertes wurden erstattet, so die Regeln. „Ohne einen so starken Partner wie die Rewe, die Millionen Euro vorgestreckt hat, wäre mein Laden weg gewesen“, sagt Rieck und fordert: „Die Politik sollte Versicherer dazu zwingen, dass Elementarversicherungen niemals ausgeschlossen werden dürfen.“ Heute hat er eine solche abgeschlossen und rät Kollegen dringend dazu, sich intensiv beraten zu lassen.
Und: Versicherungen können keine Präventionsmaßnahmen ersetzen, sondern nur das verbleibende Restrisiko finanziell absichern, wie die Versicherer selbst betonen. „Prävention und Klimafolgenanpassung sind der Dreh- und Angelpunkt, damit Sachschäden sowie Betriebsunterbrechungen durch Naturkatastrophen und damit auch die Versicherungsprämien finanziell nicht aus dem Ruder laufen“, sagt Oliver Hauner, Fachmann für Sachversicherungen und Schadenverhütung beim Gesamtverband der Versicherer (GDV).
Dazu raten Versicherungen
Der Gesamtverband der Versicherer weist auf diese Punkte hin:
- Ob renitenter Zulieferer oder Hochwasser: Für jedes Szenario, das zu einem Betriebsstillstand führen könnte, sollten Pläne entwickelt und auf Praxistauglichkeit überprüft werden.
- Für eine vorausschauende Standortplanung braucht es Daten zu Gefährdungen – etwa Überschwemmungen, Starkregen oder Hangrutsch. Kommunen und Versicherer sind die ersten Ansprechpartner.
- Wer in 50 bis 100 Meter Entfernung zu einem fließenden Gewässer baut, muss dieses Risiko einbeziehen.
- Ein Blick in Länder mit Monsunregen oder starker Hitze lohnt, um zu sehen, wie dort gebaut wird, um Überschwemmungen von Gebäuden und Infrastruktur zu vermeiden.
- Es ist auch zu bedenken, welche Materialien und Technologien bei lang anhaltender extremer Hitze zuverlässig funktionieren.
Vorschriften für alles – nur nicht für Resilienz
Ein weiteres Problem: Die gesetzlichen Bauvorschriften seien unzulänglich für klimaresilientes Bauen, erklärt Klaus Wiens, der das Bauwesen bei der Rewe Group leitet, im Interview mit der Lebensmittel Praxis.
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„Aus unserer Sicht berücksichtigen die geltenden Bauvorschriften in Deutschland die Auswirkungen des Klimawandels und seine Folgen bislang nicht“, bestätigt GDV-Experte Hauner. Das Schutzziel „klimaangepasstes Bauen“ müsse in die Baugesetzgebung aufgenommen werden, fordert er, und: „Bestehende Gebäude sollten zudem durch präventive Maßnahmen gegen Überschwemmung und Starkregen geschützt werden.“
Der Handelsverband Deutschland hat 2023 das Weiterbildungsprojekt HDE-Adapt gestartet, um Einzelhändler dabei zu unterstützen, sich gegen die unvermeidlichen Folgen des Klimawandels zu wappnen. Mit den zunehmenden Extremwetterereignissen steigt die Nachfrage nach dem Angebot. „Standorte haben je nach Lage unterschiedliche Risiken – deshalb braucht es eine individuelle, systematische Analyse der Bedingungen vor Ort, um wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen abzuleiten“, sagt HDE-Expertin Nikolić. Für den Fall von Starkregen oder Überflutungen müssten Einzelhandelsgebäude ausreichend gesichert sein, um nicht nur den Warenbestand, sondern auch Leben zu retten.
Besser bauen wie in Singapur
Lidl lässt nach eigenen Angaben daher schon vor dem Erwerb eines Grundstücks und dem Bau einer Filiale Risiken analysieren und spielt mögliche Szenarien wie Überflutungen durch. Auch bestehende Märkte lasse Lidl regelmäßig mit Blick auf sich verändernde Risiken prüfen und anpassen, erklärt das Unternehmen. Zu den möglichen Anpassungen zählt der Discounter große Dachabläufe und Notüberläufe, außerdem etwa Regenrückhaltebecken. Als Grundlage für seine Entscheidungen nutzt Lidl den Angaben zufolge „Überflutungsberechnungen und Entwässerungsplanungen“.
Helfen könnte auch ein Blick in andere Länder, so der Rat mehrerer Experten. In Ländern mit Monsunregen wie Singapur gebe es keine Lichtschächte, in die Wasser stürzen könne, selbst U-Bahn-Eingänge seien erhöht gebaut, um Wasser daran zu hindern, die Treppen hinabzufließen. Die Experten fordern ganzheitliche Konzepte – die auch etwa das Thema Barrierefreiheit berücksichtigen.
Ist ein Markt erst gebaut, ist Anpassung oft schwierig. Diese Lektion hat Rewe in der Eifel gleich doppelt gelernt. Nicht nur der Markt von Michael Rieck war von der Flut im Sommer 2021 betroffen, sondern auch der Rewe-Markt von Thomas Okon im Stadtteil Schleiden-Gemünd, der damals erst auf dem Papier bestand. „Glück im Unglück“, meint der Inhaber, der den Markt vor rund einem Jahr übernahm. Wäre alles nach den ursprünglichen Plänen gelaufen und der Markt bereits vor 2021 gebaut und eröffnet worden, wäre dieser in Höhe von zwei Metern überschwemmt und verwüstet worden – so hoch stieg das Hochwasser der Urft, die sich heute friedlich am Grundstück entlangschlängelt.
Um den neuen Markt an das Standortrisiko anzupassen, ließen die Planer das gesamte Gebäude und umgebene Grundstück auf den Höchststand des damaligen Hochwassers anheben. Die Böschung zur Urft wurde zusätzlich mit einer Winkelstützwand abgesichert, zeigt Okon beim Besuch. Dem Kundenauge verborgen bleibt ein 250.000 Liter großer Rückstaubehälter, der sich unter dem Parkplatz befindet und als Puffer bei Starkregen und Hochwasser dienen soll. Die Anpassung an die neue Gefahrensituation war aufwendig: Ein neuer Bauantrag musste gestellt werden, die Bauzeit verlängerte sich um rund ein Jahr, und die reinen Baukosten erhöhten sich laut Rewe West um gut eine Million Euro. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) zertifizierte das neue Gebäude – auch weil es aus nachhaltigen Baumaterialien besteht und mit moderner Technik ausgestattet ist. Für die Zertifizierung spielen mittlerweile auch Klimaanpassungskriterien eine bedeutende Rolle. „Es ist wichtig, mit solchen Gebäuden auch Zeichen zu setzen“, meint Kaufmann Thomas Okon. Doch es geht bei Weitem nicht nur um ein Zeichen: Dachbegrünung und Solarpaneele sollen die Aufheizung des darunterliegenden Gebäudes reduzieren und so den Markt vor Hitze schützen. Eine weitere Zukunftsaufgabe, denn die sich häufenden Hitzewellen haben Folgen für Mitarbeiter, Kunden und Unternehmen.
Zum Einkaufen zu heiß
Hitze hat unter anderem einen großen Einfluss auf die Haltbarkeit von Lebensmitteln, auf die Technik und auf die Konzentrationsfähigkeit, was im schlimmsten Fall zu Unfällen führen kann, warnt der GDV. Und: „Hitzewellen senken die Kauflust“, sagt HDE-Expertin Nikolić. Unternehmen, die ihre Gebäude etwa durch Markisen und Rollos oder Fassaden- und Dachbegrünung angenehm und nachhaltig temperierten, seien gefragter als andere. Um bei der Klimatisierung Energiekosten zu sparen, könne es helfen, Kühl- und Gefrieranlagen besser zu positionieren.
Lidl konzentriert sich nach eigenen Angaben darauf, die Kältetechnik der Märkte an die steigenden Temperaturen anzupassen, um eine ununterbrochene Kühlkette unter Einsatz natürlicher und energieeffizienter Kältemittel zu gewährleisten. „Zusätzlich setzen wir auf umweltfreundliche Baumaterialien, Dachbegrünung und die Entsiegelung von Flächen, um Biodiversität zu fördern und das Mikroklima zu verbessern“, teilt das Unternehmen mit. Auch etwa Bäume vor den Gebäuden und elektrochromes Glas, das sich automatisch bei Lichteinfall abdunkele, trügen dazu bei, die Temperaturen zu senken und den Lichteinfall zu steuern.
Eine Hürde bei Klimafolgenanpassungsmaßnahmen sind oft die Eigentumsverhältnisse. So ist Rewe beispielsweise in 80 Prozent ihrer Filialen Mieter, berichtet Manager Klaus Wiens. Auch dm ist in den meisten der von der Drogeriekette genutzten Gebäude nicht Eigentümer. „Bauliche Schutz- oder Energieeffizienzmaßnahmen sind oft kostspielig und ihr Effekt langfristig. Die Dringlichkeit solcher Maßnahmen empfinden deshalb nicht alle Eigentümer gleichermaßen wie wir“, sagt dm-Manager Trojansky. Würden mehr Kommunen solche Maßnahmen in ihren Bauvorschriften regeln, wäre die finanzielle Bereitschaft sicherlich höher, ist er sich sicher.
Pläne sind wichtig – besonders im Katastrophenfall
Doch was tun, wenn der Katastrophenfall eintritt? Vorbereitet sein ist das Gebot der Stunde, weiß Trojansky. „Innerhalb der dm-Vermögensverwaltungsgesellschaft, VVG, haben wir ein Havarie-Management etabliert, das Krisenpläne aufstellt und Verhalten und Verantwortlichkeiten im Notfall regelt“, erklärt er. Darüber hinaus pflege und erweitere dm ein flächendeckendes Dienstleister- und Handwerkernetzwerk, das teils auf Wasserschäden spezialisiert sei, um im Fall der Fälle Schäden schnell beheben zu können. Zudem sind Angebote zur mentalen Unterstützung im Krisenfall bedeutend. dm kooperiert hierzu mit einem Partner.
Einen ganz pragmatischen Tipp ergänzt Rewe-Kaufmann Michael Rieck: Eine Notfallliste mit den Kontakten aller Mitarbeiter und Lieferanten sowie Kopien von Versicherungsunterlagen sollten jederzeit gesichert und verfügbar sein. Seine Unterlagen waren dem Wasser zum Opfer gefallen, was vieles erschwerte.
Rieck gibt seine Erfahrungen gerne weiter. Sein wichtigster Rat: Aufstehen und weitermachen. „Eine Sekunde habe ich daran gedacht, aufzugeben. Aber ich habe Verantwortung für Mitarbeiter, die zum Teil persönlich große Schäden verkraften mussten. Wir haben Ehepaare und ganze Familien bei uns beschäftigt. Sie brauchten mehr denn je sichere Jobs“, sagt Rieck. So begann er schon zwei Tage nach der Katastrophe mit dem Team die Aufräumarbeiten und den Wiederaufbau. Eine Befürchtung aber bleibt: Menschen könnten langfristig aus den Flusstälern in Lagen mit geringerem Risiko umsiedeln, die Kaufkraft mitnehmen, sorgt sich der Kaufmann. „Die Politik muss dem entgegenwirken und Maßnahmen ergreifen, um Risiken zu minimieren“, plädiert Rieck. Und er fordert, dass Kommunen darüber sprechen, wenn sie Vorsorge treffen – schon um Einwohnern und Gewerbetreibenden Sicherheit zu vermitteln.
Rieck selbst hat nach der Flut getan, was sich tun ließ, um die Hoffnung aufrechtzuerhalten. Innerhalb kürzester Zeit stellte er die Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln wieder sicher: Er ließ aus einem Festzelt verkaufen. Das „weiße Zelt von Rewe“ sei zu einem Symbol für den Wiederaufbau der Stadt und zum Vorbild für andere Geschäfte geworden, berichtet Rieck.