Wo anfangen und wie managen? Die Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes stellt Unternehmen schnell vor genau diese Fragen. Und sofort ist klar, ohne automatisierte, digitale Tools wird es nicht gehen. „Der Verwaltungsaufwand wäre nicht zu bewältigen, und es gibt nicht das Fachpersonal, um alles gesetzeskonform zu beachten und abzuwickeln“, sagt Stefan Heun, CSR-Manager bei Netto (Salling Group). Als er Ende 2021 zu Netto wechselte, hatte ein Kollege bereits damit angefangen, über Excel händisch Lieferanten zu clustern. „Die größte Herausforderung dabei war für uns: Wie bewerten wir die Lieferanten gemäß der geforderten Risikoanalyse?“, berichtet der Manager von der Vorbereitung auf das LkSG.
Zehn verschiedene Anbieter für Software-Lösungen hatte Netto im Frühjahr 2022 geprüft, bevor sich das Unternehmen für die Zusammenarbeit mit dem Mannheimer Software-Spezia-listen Osapiens entschied. Osapiens habe mit einer praktikablen, sehr schlanken Lösung überzeugt. „Wir mussten keine neue Software in unser System integrieren, und alle Bereiche des LkSG werden abgedeckt“, zählt Heun weitere Pluspunkte auf. Auch habe das Start-up bewiesen, dass es neue Entwicklungen und Anforderungen schnell integriert.
Das Wichtigste: Die Lösung musste bis 1. Januar 2023 stehen, denn der Händler zählte zu den Ersten, die von dem Gesetz betroffen sind. Und: Die Risikopriorisierung der Lieferanten, ein elementarer Baustein des Gesetzes, wird automatisiert vorgenommen. „Ich will nicht bewerten müssen, was schlimmer ist, Kinder- oder Zwangsarbeit“, verdeutlicht Heun. „Osapiens arbeitet mit der Wirtschaftskanzlei Graf von Westphalen zusammen, welche uns zu den rechtlichen Anforderungen an die Risikoanalyse und der Interpretation des LkSG und der Handreichungen des BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) beraten hat“, erklärt Matthias Jungblut, Mitgründer von Osapiens.
Mit dem KI-gestützten Tool kann Netto heute Lieferanten gemäß den Anforderungen automatisiert und rechtskonform managen und nach Risikoeinschätzung clustern. Das Tool bietet Lieferantenfragebögen, ein Beschwerde-management, ermöglicht das Hochladen von Zertifikaten und die Erstellung von Berichten. In Zusammenarbeit mit Graf von Westphalen entstanden interaktive Trainings mit Wissenstests, mit denen Unternehmen ihre Lieferanten schulen und für Themen sensibilisieren können – eine mögliche Abhilfemaßnahme bei Verstößen, die direkt im System mit einem Zertifikat nachgewiesen werden kann.
Genau zugeschnittene Lösung
Drei Monate dauerte die Umsetzung des IT-Projekts. In vielen gemeinsamen Terminen wurde erarbeitet, welche Benutzerrollen von Netto benötigt werden, welche Risikoabwägungen vorgenommen werden sollen, wie die Workflows gestaltet werden. Die Kooperation war für beide Seiten ein Lernprozess, berichtet Jungblut. Eine Herausforderung: komplexe Lieferketten und eine enorme Dynamik. Rund 1.500 direkte Lieferanten zählt Netto. Und diese ändern sich laut Heun ständig. „Wenn Engpässe in der Lieferkette auftreten, muss man schnell reagieren, auch in der Risikoeinschätzung gemäß dem LkSG, denn die Erfüllung des Gesetzes soll ja die Prozesse nicht verlangsamen“, erklärt Jungblut.
Ein Knackpunkt: Laut LkSG muss ein Unternehmen bei „substantiierter Kenntnis“ von Missständen in der eigenen Lieferkette aktiv werden. Über Osapiens nutzt Netto einen News-Crawler, der weltweit Nachrichten ausliest. Wenn die Software feststellt, dass eine Nachricht LkSG-relevant ist und zugleich einen Lieferanten von Netto betrifft, dann gibt das System eine Warnung aus. Aus dem Bericht kann Netto dann einen Fall erstellen, sofort eine E-Mail verfassen und eine Stellungnahme des Lieferanten anfordern.
Heun und seine Kollegen haben also noch immer genug zu tun. „Es handelt sich nicht um eine KI, die alles autonom regelt“, erklärt der Nachhaltigkeitsexperte. So sei die individuelle Kommunikation mit den Lieferanten wichtig. „Uns war zuvor nicht klar, wie viel Aufwand allein die Aufklärung mit sich bringen würde. Es ist wichtig, sensibel zu erklären, warum wir welche Informationen in der Selbstauskunft abfragen. Dass es sich um potenzielle Risiken handelt, keinen Generalverdacht.“ Es komme auch auf die korrekte Übersetzung an. Schon ein kleiner Übersetzungsfehler könne dazu führen, dass Lieferanten nicht wüssten, was sie antworten sollten. Osapiens arbeitet für die Software daher für rund 30 Sprachen mit professionellen Übersetzungsbüros, da maschinelle Übersetzungen nie die gleiche Qualität haben, weiß Jungblut.