„Bürgerrat Ernährung“ Kostspielige Brückenbauer

160 Bürger sollen den Bundestag bei der „Ernährungswende“ inspirieren. Wirklich eine gute Idee?

Mittwoch, 11. Oktober 2023 - Management
Thomas Klaus
Artikelbild Kostspielige Brückenbauer
Bildquelle: Tobias Koch, Bundestag

Lottofee Bärbel Bas hatte keine Millionensummen oder Traumhäuser im Grünen in petto, als sie im Juli Lose zog. Vielmehr vergab die Bundestagspräsidentin die 160 Plätze im „Bürgerrat Ernährung“. Unter der Überschrift „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“ soll der Bürgerrat dem Bundestag Empfehlungen geben. Für den 29. Februar 2024 ist die Vorlage eines abschließenden „Bürgergutachtens“ geplant. In der Regel wird nicht öffentlich in Kleingruppen getagt. Statt eines Leiters soll ein Moderationsteam für konstruktive Debatten sorgen.

Liste möglicher Themen ist lang
Die Liste möglicher Themen ist lang. Es geht um die Rolle des Staates in der Ernährung, Preisbildung von Lebensmitteln, das Fördern des gesamtgesellschaftlichen Wissens zu Ernährung, Lebensmittelkennzeichnung und Lebensmittelverschwendung. Womit sich die Ratsmitglieder besonders intensiv beschäftigen werden, bleibt ihnen überlassen.

Dass sich in der Lebensmittelwirtschaft die Begeisterung für den Bürgerrat in Grenzen hält, überrascht nicht. Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbandes Deutschland: „Neben der Borchert-Kommission, der Zukunftskommission Landwirtschaft und der jüngst vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft eingesetzten Kommission zur Entwicklung einer Ernährungsstrategie werden und wurden alle Aspekte des jetzt für einen Ernährungsrat gesetzten Themas bearbeitet. Es fehlt nicht an Erkenntnis, sondern an Umsetzung.“

Das Auswahlprozedere für die Teilnahme war an Kompliziertheit kaum zu überbieten. Rund 20.000 Menschen ab 16 Jahren wurden zum Mitmachen eingeladen. Knapp 2.000 von ihnen wollten dabei sein. Dabei sei – lässt Bas auf Anfrage der LP mitteilen – mithilfe eines Stufenverfahrens streng darauf geachtet worden, dass sich Bürger verschiedenen Alters und Geschlechts, verschiedener regionaler Herkunft und Bildung zusammenfinden würden. „Eine Abbildung ,aller‘ Ernährungs- und Lebensstile war nicht beabsichtigt“, so die Bundestagspräsidentin. Doch der „tatsächliche prozentuale Anteil der sich vegetarisch oder vegan ernährenden Personen an der Bevölkerung“ solle im Bürgerrat abgebildet sein.

Am Ende entscheiden die Abgeordneten
Von dem neuen Gremium erhoffen sich Bärbel Bas und die 402 Bundestagsabgeordneten aus vier Fraktionen, die im Mai dafür gestimmt hatten, eine Menge. Der Bürgerrat sei „kein Allheilmittel“, sagte die Bundestagspräsidentin. Aber er sei „vielleicht ein Weg, um auch wieder Brücken zwischen Bürgern und Politik zu bauen“. Am Ende müssten jedoch die gewählten Parlamentarier entscheiden, stellte die SPD-Politikerin klar.

Das lässt sich der Bundestag ein bisschen was kosten. Im Haushalt 2023 sind zunächst drei Millionen Euro eingeplant. Die Aufwandspauschale von 100 Euro pro Präsenz-Sitzungstag (geplant sind drei Wochenendtreffen) und 50 Euro für jede der sechs digitalen Sitzungen ist dabei der geringere Posten. Ebenfalls bezahlt werden müssen die zwölf Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates, die von den Fraktionen benannt wurden. Außerdem wollen die externen Dienstleister Geld sehen, die für Organisation und Planung zuständig sind. Nach einer europaweiten Ausschreibung hatte sich eine Bietergemeinschaft aus einem Verein und drei Firmen durchgesetzt. Das Ganze wird von mehreren Beamten des höheren Dienstes einer Stabsstelle der Bundestagsverwaltung koordiniert.

Chance für andere Perspektiven

Gastkommentar von MdB Leon Eckert

Demokratie lebt von Akzeptanz. Es ist ihre eigene Aufgabe, sich diese Akzeptanz Tag für Tag zu erarbeiten. Aus meiner Sicht gehört dazu auch, neue Arten der Bürgerbeteiligung zu entwickeln, die bei den Menschen das Interesse am eigenen Engagement wecken. Wer es also ernst meint, muss neue Wege gehen und Dinge ausprobieren. Die Bürgerräte öffnen die Chance, Perspektiven von Menschen zu gewinnen, die sich sonst nicht zu Wort gemeldet hätten. Sie ermöglichen es uns, Ideen zu erhalten, die in den politischen Debatten in unseren eigenen Reihen nicht entstehen. Und sie eröffnen Räume für Maßnahmen, die unter den Zwängen der Tagespolitik nicht bestehen würden.

Rat schafft Staat nicht ab
Der erste Bürgerrat des Deutschen Bundestages ist ein Test, den es zu nutzen gilt. Deswegen ist Kritik wichtig, um am Ende fundiert bewerten zu können, ob Bürgerräte das halten, was sie versprechen. Sicher ist auch: Der Bürgerrat wird im Bereich Ernährung weder den Staat abschaffen noch zur Regulierungswut führen. Denn das kann er gar nicht. Seine Beratungen werden an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages übergeben. Diese gewählten und damit legitimierten Mitglieder des Parlamentes müssen am Ende entscheiden, was sie mit den Ergebnissen machen. Ich glaube daran, dass sie so selbstbewusst sind und ihre eigene Meinung formulieren.

Leon Eckert ist Jahrgang 1995 und seit 2021 für die Grünen Mitglied des Bundestages. Dort setzt er sich unter anderem als Mitglied des Bundestagsausschusses für Inneres und Heimat sowie als stellvertretendes Mitglied des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement für das Ehrenamt ein.

 

Hoffen auf eine lebensnahe Sicht

Gastkommentar von MdB Philipp Amthor

Unser „Bürgerrat“ ist zuallererst der Deutsche Bundestag mit seinen unmittelbar vom Volk gewählten Repräsentanten. Die Relevanz unseres Parlamentes steht seit Jahren unter Druck. Etwa durch das Verlagern von Beratungen in Koalitions- und sogenannte Expertengremien, durch einseitigen Personalaufwuchs der Exekutive oder durch immer mehr Auslagerungen in die internationale Politik. In dieser Situation braucht es eher eine Fokussierung auf eine stärkere repräsentative Demokratie und weniger Diskussionen um Nebengremien für eine vermeintlich bessere Willensbildung. Unser Staat ist vom Gedanken übertragener Legitimation aus der Volkssouveränität getragen – und nicht vom Gedanken einer „Los-Souveränität“.

Konstruktiv begleiten
An diesem klaren Grundverständnis darf die Ampel-Koalition keine Zweifel aufkommen lassen, damit das Bemühen um mehr Bürgerbeteiligung nicht zu einer fortschreitenden Erosion der repräsentativen Demokratie führt. Obwohl meine CDU/CSU-Bundestagsfraktion das Einsetzen des Bürgerrates Ernährung abgelehnt hat, werden wir seine Arbeit konstruktiv begleiten. Wir sind gespannt, wie sich der Bürgerrat im Spannungsfeld zwischen grüner Ideologie und Lebensrealität positionieren wird. Und wir hoffen auf eine lebensnahe Sicht, die auch die volkswirtschaftliche Bedeutung der Lebensmittelbranche berücksichtigt.

Philipp Amthor ist Jahrgang 1992 und gehört seit 2017 für die CDU dem Bundestag an. Der Jurist vertritt seine Bundestagsfraktion in der Fraktionen übergreifenden „Berichterstattergruppe Bürgerrat“. Amthor ist Vorsitzender der CDU-Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern.