Mindeststandard 2023 steht fest Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Seit 2019 werden jährlich die Mindeststandards für das Verpackungsrecycling enger gezogen. In diesem Jahr mit überschaubarem Ergebnis.

Montag, 25. September 2023 - Management
Matthias Mahr
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Die Katze ist aus dem Sack, die neuen Mindeststandards zur Bemessung der Recyclingfähigkeit systembeteiligungspflichtiger Verpackungen nach § 21 Verpackungsgesetz liegen seit dem 1. September auf dem Tisch. Sie werden jährlich einvernehmlich von der Zentralen Stelle Verpackungsregister (ZSVR) und dem Umweltbundesamt (UBA) veröffentlicht, um eine methodisch auf einheitlicher Basis ermittelte Recyclingfähigkeit von Verkaufs- und Umverpackungen zu ermöglichen. Auf die Veröffentlichung wartet nicht nur die Verpackungsbranche gespannt, auch für Handel und Markenartikelindustrie sind die darin neu definierten Richtlinien von Relevanz.

Vergangenes Jahr nahm das Team um ZSVR-Vorstand Gunda Rachut Verpackungen aus Papier, Pappe und Karton erstmals aufs Korn. „Ein Trend mit faserigem Beigeschmack: Im Zuge des ‚Kunststoff-Bashings‘ werden immer mehr faserbasierte Verpackungen produziert, in denen unter anderem Teigwaren, Kaffee oder Wurst vertrieben werden. Diese suggerieren den Verbrauchern zwar einen ökologischen Mehrwert, lassen sich allerdings in Wahrheit oftmals schlechter recyceln als sortenreine Kunststoffverpackungen“, so die Aussage aus der Osnabrücker Zentrale vor rund zwölf Monaten.

Schleppendes Konsultationsverfahren
Und dieses Jahr? Der große Aufreger blieb aus, das Konsultationsverfahren zwischen den Interessenvertretern aus Handel, Industrie und dualen Systemen (Entsorgern) lief in diesem Sommer kontrovers. Relevante Entscheidungen wurden ins kommende Jahr verschoben.

Streitpunkt war hierbei die geplante Umstrukturierung im sogenannten Anhang 1, der das Vorhandensein von Sortier- und Recyclinginfrastruktur für verschiedene Verpackungen beziehungs- weise das Erfordernis für Einzelnachweise eines erfolgten Recyclings abbildet.

Dadurch sahen etliche Interessenvertreter eine Überforderung auf die Systembeteiligten zukommen. Ein Konsultationsbeteiligter sagte der LP: „Das hätte eine Flut von Einzelnachweisen nach sich gezogen. Wer soll das denn alles noch überblicken?“ Beim Verpackungsregister herrscht aber Einigkeit: „Der Weg, die Recyclingkapazitäten stärker in den Fokus zu nehmen, ist richtig und wird weiterverfolgt, jedoch nicht mit dem Mindeststandard 2023“, teilt Rachut mit.

Das Thema sei ohnehin hoch priorisiert im Entwurf der geplanten Europäischen Verpackungsverordnung. Es sei damit zu rechnen, dass Verpackungen künftig immer wiederverwendbar oder recycelbar sein müssen, auch wenn konkrete Anforderungen und Grenzwerte der zu erwartenden europäischen Regelungen noch nicht abschließend definiert seien. Sich darauf frühzeitig und strukturiert vorzubereiten, sei eine Chance und sichere die Verkehrsfähigkeit der Verpackungslösung, so die ZSVR.

Neue Standards für Altglas und Druckfarben
Die wichtigsten Neuerungen sind: Im aktuellen Mindeststandard wurde ein Grenzwert für die Lichtdurchlässigkeit (Transluzenz) von Glas definiert. Daraus ergibt sich, ob eine Verpackung aus Glas verwertbar ist. Ist eine Glasverpackung nicht lichtdurchlässig, wird sie in den Anlagen als Störstoff aussortiert, da sie nicht recyclingfähig ist. Dies ist zum Beispiel bei lackierten Flaschen der Fall. Zudem sieht der Mindeststandard jetzt Nitrocellulose in Druckfarben als Hindernis für das Recycling an. Nitrocellulose-basierte Druckfarben im Zwischendruck werden deshalb als nicht recyclingfähig eingestuft. Sie beeinträchtigten aufgrund einer eingeschränkten Temperaturbeständigkeit den mechanischen Recyclingprozess und minderten die Qualität von Rezyklaten. Betroffen ist davon jedoch nur ein relativ kleines Marktsegment.

Gleich wie, zum Goldstandard taugt der Mindeststandard wohl nicht für alle in der Verpackungswertschöpfungskette. Ausgerechnet das ZSVR-Stiftungsorgan, die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen, lässt durch ihre Geschäftsführerin Dr. Isabell Schmidt verlauten: „Der Mindeststandard richtet sich ausschließlich an die dualen Systeme. Er ist – anders als teilweise wahrgenommen – kein verbindlicher ‚Design for Recycling‘-Leitfaden für die Wirtschaft.“ Soll heißen: Die neue Einstufung hat keinen Einfluss auf die Vermarktungsfähigkeit. Auch finanzielle Nachteile im Rahmen der Beteiligungsentgelte bei den dualen Systemen seien gegenwärtig nicht zu erwarten. Letzteres könnte sich allerdings ändern, wenn die Bundesregierung die angekündigte Reform von § 21 Verpackungsgesetz beschließt. Dann soll ein Anreizsystem die Inverkehrbringer hochwertig recyclingfähiger Verpackungen belohnen.

Viel Luft nach oben beim Verpackungsrecycling

Kommentar von Matthias Mahr

Der Vorläufer des Verpackungsgesetzes wurde 1991 beschlossen. Erstmals wurden Hersteller bei der Entsorgung entstehender Abfälle in die Pflicht genommen. Seither drehen wir uns in dem Kreis, in dem doch eigentlich die Wertstoffe erhalten und immer wieder zu neuen Verpackungen werden sollten. Über 30 Jahre währt der Kampf der Lobbyisten im Millionen-Geschäft der Kreislaufwirtschaft schon, die Zahlen ernüchtern: Von den „systembeteiligungspflichtigen“ Verpackungen der Leichtverpackungsfraktion sind einer aktuellen Studie der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung im Auftrag des Umweltbundesamtes zufolge 32 Prozent zu weniger als 90 Prozent recyclingfähig.

System ohne Anreize
Es gibt auch eine andere Sicht, die der Inverkehrbringer. Der Mindeststandard werde ohne Frist, Folgenabschätzung und fachliche wie sachliche Expertise jedes Jahr verändert, um Einzelinteressen zu bedienen – vor allem die der Entsorger und Recycler. Der Ruf, dass doch gefälligst recyclingfähige Verpackungen eingesetzt werden sollen, ist so laut, dass ZSVR und UBA dem Anschein nach noch gar nicht mitbekommen haben, dass viele Unternehmen längst recyclingfähige Verpackungen verwenden, obwohl es gar keinen Bonus oder Malus gemäß § 21 des Verpackungsgesetzes gibt. Dafür reichten der allgemeine legislative und gesellschaftliche Druck bereits aus.