Marktbeherrschung im LEH Marktmacht und Angstgegner

Missbraucht der Handel seine Marktmacht? Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung hat Einblicke gewonnen und auch schon geholfen. Der Erlebnisbericht eines Herstellers.

Montag, 25. September 2023, 13:02 Uhr
Christina Steinhausen
Artikelbild  Marktmacht und Angstgegner
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Immer wieder erreichen die LP-Redaktion Beschwerden von Lebensmittelherstellern über Geschäftsgebaren von Handelsunternehmen. Bestens im Bilde darüber, welche Blüten das bisweilen treibt, ist auch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). Sie fungiert in Deutschland als Umsetzungsbehörde des Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetzes (AgrarOLkG), was auf die UTP-Richtlinie der EU zurückgeht. 2022 hat die BLE eine anonyme Meldestelle eingeführt. Einen Fall, in dem sie geholfen hat, schildert uns ein Hersteller, der zu seinem eigenen Schutz anonym bleiben muss, um Repressalien des bundesweit tätigen Vollsortimenters zu vermeiden:

„ Sehr aufmerksam haben wir beobachtet, wie die EU-Richtlinie UTP in deutsches Recht umgesetzt wurde und welche Vorteile und Chancen das AgrarOLkG für uns mit sich bringt. Wir haben erkannt, dass das Zahlungsziel für frische Lebensmittel auf 30 Tage festgelegt ist und unsere Kunden mit dieser Neuerung konfrontiert. Problemlos konnten wir die Zahlungsziele auf 30 Tage verkürzen, eine große Hilfe für uns. Lediglich ein bundesweit tätiger Vollsortimenter stellte sich massiv quer und argumentierte, dass unsere Lebensmittel keine Frischeprodukte seien, da ihre Haltbarkeit über 30 Tage betrage.“

Zankapfel Zahlungsziel
Der Hersteller schildert weiter: „Dies wurde uns von der Rechtsabteilung des Vollsortimenters mit Paragrafen und Gesetzestexten schlüssig erklärt. Im ersten Moment dachten wir, der Händler habe mit seiner Argumentation recht, sodass uns die 30 Tage nicht zustünden. Wir gaben uns mit den bestehenden 42 Tagen zufrieden und waren froh, alle anderen Kunden auf 30 Tage umstellen zu können. Im nächsten Jahresgespräch wurden wir damit konfrontiert, dass die bestehenden 42 Tage Zahlungsziel um eine Woche auf 49 Tage erhöht werden sollen. Dies wurde sehr massiv eingefordert. Aus diesem Grunde haben wir eine spezielle Anwaltskanzlei konsultiert, die das Thema Zahlungszielregelung im AgrarOLkG auf unseren Fall bezogen prüfen sollte. Dort kam man zu dem Schluss, dass das Gesetz etwas schwammig formuliert sei, man aber davon ausgehe, dass uns die 30 Tage doch zustünden. Eine Argumentation wurde uns ausgehändigt. Wir gingen mit diesen neuen Argumenten in die Verhandlung und konnten die gewünschte Zahlungszielerhöhung abwehren. Die Verkürzung auf 30 Tage gelang uns zu diesem Zeitpunkt allerdings wieder nicht.

Wir nahmen zur BLE Kontakt auf, um uns beraten zu lassen. Nach einer Woche meldete sich der UTP-Referatsleiter Dr. Jüntgen und teilte uns die Ergebnisse seiner Recherche mit: Mit dem Hinweis, dass das Gesetz sehr ungenau formuliert sei, kam auch er zu dem Schluss, dass uns 30 Tage zustehen. Dr. Jüntgen hat den ursprünglichen Gesetzestext in englischer Sprache geprüft, sich den Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens und die Intention hinter dem Gesetz angeschaut und uns angeboten, uns bei einer Videokonferenz mit dem Vollsortimenter zu begleiten, um seine Argumentation darzulegen.

Mit diesen neuen Erkenntnissen und dem Rückhalt der BLE sind wir wieder in die Verhandlung mit dem Vollsortimenter gegangen und haben unsere 30 Tage gefordert. Bei dieser Verhandlung haben wir lediglich die BLE erwähnt, und schon wurde die Verhandlung unterbrochen. Im Nachgang haben wir relativ problemlos unsere 30 Tage erhalten. Uns scheint es so, dass der Vollsortimenter großen Respekt vor der BLE hat. Jedoch hat er uns im Nachgang schriftlich darauf hingewiesen, dass er weiterhin der Rechtsauffassung sei, dass uns die 30 Tage nicht zustehen. Die Gewährung der 30 Tage sei lediglich ein Goodwill, um die zukünftige Zusammenarbeit nicht zu belasten. Eine Kommunikation über dieses Thema mit Dritten oder anderen Lieferanten würden sie rechtlich ahnden. Dies werten wir als massive Drohung!

Unsere Erkenntnis ist, dass viele Lieferanten nicht wissen, welche neuen Rechte sie durch das AgrarOLkG haben. Leider halten sich Händler bewusst nicht an die neue Gesetzgebung und halten die Lieferanten für dumm. Eine bessere Aufklärung durch Presse, Verbände und andere Netzwerke ist sehr wichtig und notwendig.“

Gesetz wirkt, sollte aber nachgearbeitet werden

Gast-Kommentar von Rainer Lademann

Vom Verbot unfairer Handelspraktiken durch das Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz profitieren viele Lieferanten. In der Praxis zeigt sich aber, dass das Gesetz seine volle Schutzwirkung noch nicht erreicht. Besonders drei Problembereiche sollten angegangen werden: Aktuell verhindert das Ross-Reiter-Prinzip noch eine vollumfängliche Durchsetzung des Gesetzes. Außerdem gibt es Auslegungsunterschiede zwischen den Parteien. Schließlich wird immer wieder von einem Ausweichen des LEH auf Praktiken berichtet, die bislang durch das Gesetz nicht untersagt sind.

Die Angst von Lieferanten vor existenzgefährdenden Sanktionen des LEH, wie der Auslistung, sorgt dafür, dass nahezu 50 Prozent der von uns 2021 befragten Hersteller Verstöße des LEH nicht anzeigen oder gerichtlich verfolgen würden. Dies zu reduzieren, muss eine Hauptstoßrichtung der BLE sein.

Zu den Auslegungsspielräumen ein Beispiel: Damit das Gesetz nicht erfolgreiche Geschäftsmodelle von Lieferanten verhindert, die dem LEH eine einkalkulierte Rücknahme unverkaufter Produkte anbieten, könnten Rücknahmevereinbarungen ausgenommen werden, wenn sie auf Veranlassung des Lieferanten erfolgen.

Schließlich bleibt der Gesetzgeber gefordert, Lücken des Gesetzes durch eine Generalklausel zu schließen, um die Erfindung immer neuer unfairer Handelspraktiken wirksam zu bekämpfen.