Recruiting Mitarbeiter aus fernen Ländern

Der Personalmangel schmerzt manche Händler so sehr, dass sie Mitarbeiter aus Ländern außerhalb der EU rekrutieren. Das funktioniert, fordert aber einen mühsamen Lauf über bürokratische Hürden.

Montag, 02. Oktober 2023 - Strategie
Heidrun Mittler
Artikelbild Mitarbeiter aus fernen Ländern

Der Arbeitsmarkt für ausgebildete Fachverkäufer hinter der Fleischtheke ist wie leer gefegt. Junge Leute, die Metzger lernen wollen, sind Mangelware. Obendrein gehen auch noch die Babyboomer in Rente. Welche Möglichkeiten bleiben noch, die Fleisch-Bedienungstheken mit Fachpersonal zu besetzen? Eine Antwort lautet: Es gibt die Möglichkeit, ausländische Fachkräfte zu verpflichten.

Wenn diese aus Ländern der Europäischen Union (EU) kommen, sind die rechtlichen Hürden niedrig. Rein von den Zahlen her aber sehen Fachleute das große Potenzial in Ländern außerhalb der EU: Speziell in Asien, Nordafrika und Südamerika, so das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in einer entsprechenden Broschüre, gibt es „junge und gut ausgebildete Fachkräfte, die vor Ort allerdings oft von Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung bedroht sind“. Wie aber bekommt man diese Menschen in den heimischen Handel?

Metzger und Systemgastronomen bei Globus
Globus hat die Suche bereits auf Drittländer außerhalb Europas ausgedehnt. Mit einer Sprachschule als Partner konnte das Unternehmen zu jungen Menschen aus verschiedenen Ländern in Zentralafrika Kontakt aufnehmen und Vorstellungsgespräche via Skype in Deutsch führen. Es sei gelungen, „64 junge Menschen aus acht verschiedenen afrikanischen Ländern zu gewinnen.“ Sie sollen eine Ausbildung beginnen, und zwar in 18 Globus-Markthallen, nicht nur als Metzger, sondern auch in der Systemgastronomie. „Dieses Projekt steckt noch ganz in den Anfängen, und es gibt bislang kein einheitliches Prozedere. Es ist ein Lernprozess, der uns alle jeden Tag ein Stück weiterbringt“, heißt es im Unternehmen. Eine schöne Umschreibung für die Hindernisse auf dem Weg zur Arbeit in Deutschland.

Stark vereinfacht funktioniert das Verfahren so (es gibt viele Ausnahmen, zum Beispiel für IT-Fachkräfte oder Berufskraftfahrer): Die Kandidaten müssen ihre Sprachkenntnisse mit einem Sprachkurs nachweisen. Dann wird geprüft, ob ihr Abschluss anerkannt wird. Die Bundesagentur für Arbeit prüft den Arbeitsvertrag. Nicht zuletzt benötigen sie ein Visum zur Einreise ins Land. In Deutschland brauchen sie eine Bleibe – bei der aktuellen Wohnungsnot in Deutschland muss der Arbeitgeber auch das regeln.

„Die Visa sind verloren gegangen“
Beispiel zwei, Edeka Goerzen in Koblenz. Eigentlich, ja eigentlich, sollten die vier neuen Auszubildenden schon längst in Deutschland sein. Aber Dirk Goerzen, selbstständiger Edekaner aus Koblenz, wartet im September noch immer auf die vier jungen Philippiner, die bei ihm eine Ausbildung starten wollen. „Leider sind die erforderlichen Papiere verschüttgegangen, die liegen jetzt zur erneuten Prüfung in Berlin“, erklärt Goerzen. Ohne Visum aber keine Einreise nach Deutschland, die Flugtickets können noch nicht gebucht werden.

Der Kaufmann hat schon zu Beginn des Jahres 2023 die potenziellen Mitarbeiter über Videogespräche kennengelernt. Vermittelt wurden sie über die Personalagentur Sigma aus Koblenz. Deren Chef Dirk Schäfer ist auf den Philippinen geboren und in Deutschland aufgewachsen. Schäfer will jungen Philippinern „ein Sprungbrett bieten“. Dirk Goerzen braucht dringend Nachwuchskräfte, zwei Auszubildende für den Bedienungsbereich in der Metzgerei und einen Auszubildenden für die Fläche im Markt. So wurde man handelseinig. Die jungen Leute – alle über 20 Jahre – haben einen Studienabschluss in der Tasche und bereits ein halbes Jahr Sprachkurs absolviert. Die Frage, wo die Arbeitskräfte wohnen sollen, hat er bereits geklärt: in einer Wohnung seines Elternhauses. Doch das Zeitfenster wird immer knapper. Wenn die Philippiner nicht bald anreisen, verpassen sie zu viel Berufsschulunterricht.

Anerkennungsverfahren dauern lange
Wie sieht es im Bundesgebiet aus? In Edeka-Märkten wurden vorrangig Azubis für die Berufe Fleischer, Bäcker, Koch und Berufskraftfahrer eingestellt, antwortet die Edeka-Zentrale in Hamburg. Schwieriger wird es bei der Einstellung von Fachkräften. Diese müssen über eine mindestens zweijährige Berufsausbildung verfügen, die in Deutschland anerkannt wird. „Da die Ausbildungsqualität im deutschen Lebensmitteleinzelhandel sehr hoch ist, ist es häufig schwierig, in Drittstaaten ein vergleichbares Qualifikationsniveau zu finden“, so die Edeka. Die Einstellung von Nicht-EU-Bürgern dauere durch das Anerkennungsverfahren meist lange und „bedeutet zudem einen hohen organisatorischen und monetären Aufwand“.

Fazit: Recruiting im nicht-europäischen Ausland ist möglich, aber kompliziert, langwierig und teuer. Hinzu kommen die sprachlichen Barrieren und die Integration der Menschen in die Marktteams.

Wie eine Willkommenskultur erfolgreich gelebt wird, zeigen die Mitarbeiter im Rewe-Markt im Mainzer Zollhafen. Inhaberin Semai Akale wirbt nicht im Ausland um Arbeitskräfte. Sie findet Personal unter solchen, die schon in Deutschland sind.

Semai Akale, Inhaberin Rewe Akale

„No risk, no fun!“ Semai Akale ist mit ihrer eritreischen Mutter und drei Brüdern in Deutschland aufgewachsen. Mit Anfang 30 hat sie den „größten und schönsten Rewe“ in Mainz eröffnet. Hier am Zollhafen arbeiten Mitarbeiter aus 15 Nationen. „Für mich zählt nur der Mensch. Nicht die Hautfarbe, nicht das Geschlecht oder seine Religion.“ Ihre Methode fürs Recruiting? Menschen ansprechen, ihnen eine Chance geben. Der Leiter des Getränkemarktes war Security-Mann auf der Baustelle. Akales Assistent hat als Auspacker bei einem Dienstleister angefangen. Die Inhaberin regte an, er solle doch mal seine Frau mitbringen – diese schmeißt heute die Tiefkühlabteilung.

Die Chancen im Blick behalten
„Das ganze Team feiert, wenn einer von uns den deutschen Pass bekommt.“ Dieser Satz macht deutlich, wie Semai Akale tickt. Ihre Truppe besteht aus 60 Personen, die aus 14 unterschiedlichen Ländern kommen. „Demnächst sogar 15“, erzählt sie, bald kommt noch ein koreanischer Mitarbeiter. „Wir haben auch Deutsche im Team“, fügt sie hinzu. Die Kauffrau hat immer die Chancen im Blick, nicht die Hürden oder Schwierigkeiten. Gerade hat sie einem jungen Iraner eine Ausbildung angeboten. Er ist zurzeit in Teilzeit beschäftigt, doch ihm droht die Abschiebung. Klar, sie streitet sich auch und hat sich auch schon – enttäuscht – von Mitarbeitern wieder getrennt. Doch ihr Grundsatz lautet: Wenn Menschen arbeiten wollen, bringt sie ihnen bei, was sie für den Arbeitsalltag brauchen, zur Not mit Händen und Füßen.

Akales Mutter war alleinerziehend, das Geld war immer knapp. „Unsere Familie hat Hilfe bekommen“, erinnert sich die 35-Jährige an ihre Kindheit. Jetzt berichtet sie stolz, dass sich ihre Mitarbeiter gegenseitig unterstützen. Und viele „arbeiten aus Dankbarkeit besonders schnell und gut“, sagt sie mit einem Lächeln. Die Marktmanagerin fordert, dass alle im Markt grundsätzlich deutsch sprechen, „nur so lernt man die Sprache“. Akales Lohn: Sie kann alle Positionen besetzen und hat ein junges, engagiertes Team. Kleiner Wermutstropfen: Ein Metzgermeister fehlt – aber auch dieses Problem wird sie irgendwie lösen.

Mitarbeiter aus Drittstaaten 

Rechtlicher Rahmen: Mit der Novellierung des Fachkräfte-Einwanderungsgesetzes ist es einfacher geworden, Menschen aus Drittstaaten auf den deutschen Arbeitsmarkt zu bringen. „Aber von „einfach“ sind wir noch meilenweit entfernt. Das Gesetz sorgt noch für eine Menge Hürden, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber meistern müssen“, urteilt Stefan Gustav, der bei der Handwerksammer Koblenz Arbeitgeber bei Bedarf unterstützt.  

Die Positivliste wenigstens ist abgeschafft, nach der nur bestimmte Berufsgruppen für den deutschen Arbeitsmarkt rekrutiert werden sollten. Wenn man Akademiker einmal außen vorlässt, kommen für den Einzelhandel in der Regel zwei Wege infrage: Entweder, die Person aus dem Drittland beginnt in Deutschland eine Ausbildung (dann braucht sie Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1).  

Oder, sie hat eine formale Qualifikation erworben und damit die Voraussetzungen für ein Berufsanerkennungsverfahren. Dabei wird geprüft, ob der Abschluss in Deutschland gleichwertig ist. Im Fall der vollen Gleichwertigkeit kann ein Arbeitsvertrag geschlossen und die Zustimmung der Agentur für Arbeit beantragt werden. Diese prüft, ob die Arbeitsbedingungen mit denen inländischer Beschäftigter vergleichbar sind. Im Fall der teilweisen Gleichwertigkeit kann durch Qualifizierungsmaßnahmen im Rahmen einer Beschäftigung die volle Gleichwertigkeit erreicht werden. Dann muss ein Zertifikat über Sprachkenntnisse auf dem Niveau A2 vorliegen. Die Anerkennung erfolgt über die Industrie- und Handelskammern bzw. die Handwerkskammern. Weitere Infos: www.ihk-fosa.de.  

Wer die Anerkennung erhält, kann auch in anderen als den gelernten Berufen arbeiten (mit dem neuen Gesetz ab November 2023).  

Beratung bieten auch die Welcome Center (zu finden über Make-it-in-Germany). Sie sollen speziell kleinen und mittleren Unternehmen helfen, Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen und den Weg zu erleichtern.  

Das Procedere: Das Portal „Make it in germany“ bietet Informationen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Es informiert über die verschiedenen Wege der Zuwanderung, die Sprachkurse und den Antrag auf ein Visum. www. Make-it-in-germany.de  

Auf der Homepage steht auch die Broschüre: „Fragen und Antworten zum beschleunigten Fachkräfteverfahren“ bereit. Das Verfahren ist kostenpflichtig (411 Euro).  

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat eine Broschüre erstellt: Möglichkeiten der Fachkräfteeinwanderung. Was Arbeitgeber wissen müssen“. Man kann sie kostenlos downloaden auf www.make-it-in-germany.de. 

Unterstützung in Deutschland:  

www.joblinge.de 

Die Initiative Joblinge unterstützt junge Menschen mit schwierigen Startbedingungen in Deutschland und hilft bei der Integration.  

 

Wer darf bei uns einreisen und arbeiten?

Bürger aus der Europäischen Union haben Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt, sie benötigen kein Visum, auch keine Aufenthaltserlaubnis. Gilt auch für Bürger aus Island, Liechtenstein, Norwegen, Schweiz.

Bürger aus Australien, Israel, Japan, Kanada, der Republik Korea, Neuseeland, Großbritannien, Nordirland und den USA können ohne Visum einreisen, müssen aber eine Aufenthaltserlaubnis beantragen.

Alle anderen Bürger aus Nicht-EU-Staaten („Drittländer“) müssen vor der Einreise ein Visum beantragen. Wie das genau geht, erklärt das Auswärtige Amt.

Ausnahme: Ukraine

Ukrainische Staatsangehörige, die seit Februar 2022 als Folge der militärischen Invasion Russlands geflüchtet sind, erhalten eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland. Damit können sie arbeiten. Problem sind allerdings meist die fehlenden Sprachkenntnisse. Zudem sind überwiegend Frauen mit Kindern geflüchtet, die betreut werden müssen. Infos: www.germany4ukraine.de

Westbalkan-Regelung

Für Staatsangehörige der sechs Westbalkan-Staaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien gilt ein „privilegierter Zugang“. Die Personen brauchen nur ein Visum und ein verbindliches Arbeitsplatzangebot. Klappt nur, wenn für die Stelle keine Deutschen oder EU-Bürger zur Verfügung stehen.