Zwangsarbeits-Verbot Ausbeutung stoppen

Gut gemeint, aber umstritten: Mit ihrem Entwurf zum Zwangsarbeits-Verbot verlangt die Europäische Kommission Händlern und Herstellern ein noch genaueres Durchleuchten ihrer Lieferketten ab, wie Anwalt Christoph Schröder im Interview erläutert.

Freitag, 21. Oktober 2022 - Management
Jens Hertling
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Auf Gegenwehr stößt der Verordnungsvorschlag zum „Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit“, der den Vertrieb dieser Ware in der EU untersagt. Warum ist der Vorschlag umstritten?
Christoph Schröder:
Kritiker befürchten eine Überforderung, insbesondere kleinerer Unternehmen, in einer für die Wirtschaft ohnehin schwierigen Situation. Ferner prognostizieren die Gegner des Gesetzesvorhabens eine Benachteiligung europäischer Unternehmen im internationalen Wettbewerb. Befürworter meinen hingegen, dass der Handel mit Produkten, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden, nur durch eine scharfe Regulierung wirksam unterbunden werden könne. Die Verordnung ergänze andere Vorhaben auf EU-Ebene und werde langfristig zu einem nachhaltigeren Verhalten aller Marktteilnehmer beitragen.

Was sind die wesentlichen Inhalte der geplanten Verordnung?
Produkte, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden, sollen auf dem EU-Markt verboten werden. Stellt eine Behörde einen begründeten Verdacht für einen Verstoß fest, ist sie verpflichtet, eine Untersuchung in Bezug auf die betreffenden Produkte und Wirtschaftsakteure durchzuführen. Für den Verdacht soll ausreichen, dass die Produkte aufgrund überprüfbarer Informationen wahrscheinlich in Zwangsarbeit hergestellt wurden.

Was passiert, wenn aus dem bloßen Verdacht mehr wird?
Bestätigt die Untersuchung den Verdacht, verbietet die Behörde die betroffenen Produkte auf dem Unionsmarkt und ordnet gegenüber den untersuchten Wirtschaftsakteuren an, sie vom Markt zu nehmen und noch beim Wirtschaftsakteur verbliebene aus dem Verkehr zu ziehen. Letzteres kann auch die Vernichtung oder Unbrauchbarmachung bedeuten. Die Behörden sollen sich bei der Ermittlung von Verstößen gegen das Verbot auf Wirtschaftsakteure an den Stellen der Wertschöpfungskette konzentrieren, wo Zwangsarbeit am wahrscheinlichsten ist und am wirksamsten unterbunden werden kann.

Konzeptionell unterscheiden sich die Vorschläge zu Sorgfaltspflichten und Zwangsarbeit deutlich. Inwiefern?
Nach dem Vorschlag für die EU-Lieferketten-Richtlinie müssen Gesellschaften, die hinsichtlich Arbeitnehmeranzahl und Umsatz bestimmte Schwellenwerte überschreiten, umfassende Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Wertschöpfungskette erfüllen. Kern der Sorgfaltspflichten ist, tatsächliche und potenzielle negative Auswirkungen der Geschäftstätigkeit des eigenen Unternehmens und von Geschäftspartnern auf Menschenrechte und Umwelt zu ermitteln, zu vermeiden und zu beheben.

Was geschieht in diesem Fall?
Stellt die sorgfaltspflichtige Gesellschaft beispielsweise Zwangsarbeit in ihrer Wertschöpfungskette fest, muss sie darauf reagieren und kann am Ende verpflichtet sein, die Geschäftsbeziehung mit dem betreffenden Vertragspartner zu beenden. Demgegenüber verbietet der Verordnungsvorschlag Produkte, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden. Das Verbot ist von allen Wirtschaftsakteuren, insbesondere allen Unternehmen, zu beachten. Es obliegt hier den Behörden, dem Verdacht auf Zwangsarbeit nachzugehen und gegebenenfalls darauf zu reagieren. Richtlinie und Verordnung sollen aber zusammenspielen: Behörden müssen bei einem Verdacht auf Zwangsarbeit von den Akteuren Informationen über deren Umsetzung der Sorgfaltspflichten anfordern und berücksichtigen. Indem ein Unternehmen seine menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nach der geplanten Richtlinie erfüllt, verringert es die Wahrscheinlichkeit, dass sein Produkt in Zwangsarbeit hergestellt wurde.

Welche Sanktionen drohen durch den Verordnungsvorschlag zum Verbot der Zwangsarbeit und wer soll sie kontrollieren?
Aus dem Verbot selbst ergeben sich die folgenden Rechtsfolgen: Die Produkte dürfen nicht mehr auf dem Unionsmarkt in Verkehr gebracht oder bereitgestellt werden, und sie dürfen nicht mehr ausgeführt werden. Sie sind gegebenenfalls vom Unionsmarkt zu nehmen oder aus dem Verkehr zu ziehen. Zuständig ist dafür die von jedem Mitgliedstaat zu benennende Behörde. An den EU-Außengrenzen haben die Zollbehörden die Einfuhr und die Ausfuhr aufzuhalten. Daneben obliegt es den Mitgliedstaaten, für die Nichteinhaltung des Verbots sowie der behördlichen Anordnungen wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen zu treffen. Denkbar sind Geldbußen oder zwangsweise Versiegelungen betrieblicher Räumlichkeiten.

Die Definition der Zwangsarbeit soll nach Ansicht von Experten in einigen Bereichen zu unscharf sein. Können Sie das kurz erläutern?
Der Verordnungsvorschlag definiert den Begriff der Zwangsarbeit nicht selbst, sondern verweist auf Artikel 2 des Übereinkommens Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation von 1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit. Zwangsarbeit bedeutet danach Arbeit, die von einer Person unter Androhung einer Strafe verlangt wird und für die sich diese Person nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat. Unschärfen sind hier auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Natürlich kann diese Definition im Einzelfall Auslegungsschwierigkeiten bereiten, aber das gilt für alle Regelungen.

Welchen Zeitplan gibt es?
Mit dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens ist in ein bis zwei Jahren zu rechnen. Der Vorschlag der Kommission sieht eine Übergangsfrist von 24 Monaten vor. Behörden und Unternehmen müssten die Verordnung frühestens ab Mitte 2025 anwenden.

Was ist für Unternehmen wichtig, und benötigen sie eine Beratung?
Unternehmen müssen sich ohnehin zunehmend mit Menschenrechten in ihren Lieferketten auseinandersetzen – etwa weil sie unter das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) fallen, weil sie sich als Zulieferer eines LkSG-pflichtigen Unternehmens auf die Erfüllung entsprechender Sorgfaltspflichten eingelassen haben. Dann gilt es, herauszufinden, ob in der eigenen Lieferkette das Risiko von Zwangsarbeit besteht, und darauf zu reagieren. Damit sind Unternehmen gut auf die vorgeschlagene Verordnung vorbereitet. Rechtliche Beratung kommt bei der Einrichtung und Anpassung des Risikomanagements, bei der Gestaltung von Verträgen mit Zulieferern und in allen Stadien der Auseinandersetzung mit der Behörde in Betracht.