Nachhaltigkeitsstudie Ins Tun bringen

Verbraucher wollen nachhaltig konsumieren. An der Kasse der Supermärkte zeigt sich jedoch eine andere Realität. Wie sich das grüne Einkaufsverhalten ankurbeln lässt, zeigt eine Studie.

Freitag, 08. April 2022 - Management
Bettina Röttig
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Bildquelle: Santiago Engelhardt

Wunsch und Wirklichkeit: Sie klaffen nicht selten auseinander, auch in Sachen nachhaltigen Konsums. Ob Vermeidung von Plastikverpackungen, Reduktion des Fleischkonsums oder der Griff zu Erzeugnissen aus fairem Handel, Bio- oder regionaler Produktion: Unterschiedliche Aspekte und Angebote stehen bewussten Konsumenten zur Verfügung. Wie die innere Einstellung der Bundesbürger zu unterschiedlichen Kriterien für grüne Kaufentscheidungen verglichen mit der Realität an der Supermarktkasse aussieht, hat die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Heilbronn untersucht. Die Studie „Attitude-Behavior-Gap im LEH“ von Prof. Dr. Carsten Kortum, Prof. Dr. Stephan Rüschen und Nele Berg der DHBW Heilbronn zeigt auf, bei welchen Themen eine besonders große Kluft zwischen Sagen und Tun, also zwischen Einstellung und dem tatsächlichen Kaufverhalten besteht. Die Autoren haben gemeinsam mit Branchenexperten zudem Empfehlungen formuliert, mit welchen Maßnahmen Handel und Hersteller dazu beitragen können, den Anspruch der Verbraucher, nachhaltiger konsumieren zu wollen, auch zu realisieren.

Die gute Nachricht: Für 90 Prozent der befragten Verbraucher ist Nachhaltigkeit beim Lebensmittel-Einkauf von Bedeutung. Nach eigenen Angaben wären 40 Prozent der Befragten sogar entschlossen, die Stamm-Einkaufsstätte zu wechseln, wenn ein anderer Markt ein nachhaltigeres Sortiment bietet, 53 Prozent sagten, sie würden für Nachhaltigkeit sogar auf Wohlstand verzichten, also höhere Preise für entsprechende Produkte akzeptieren. Die Befragung fand im September und Oktober 2021 statt, also inmitten der Corona-Pandemie, jedoch vor dem Ukraine-Krieg.

Preisfaktor dominant
Aus den Daten der Studie lässt sich jedoch erkennen, dass alle Befragten den einzelnen Nachhaltigkeits-Themen eine höhere Bedeutung zumessen, als es sich in den tatsächlichen Kaufentscheidungen widerspiegelt. Die Abweichungen sind zum Teil enorm (siehe Grafik Seite 31). Experte Fritz Konz, Leitung Qualität und Umwelt bei Tegut, sieht zwei mögliche Gründe: „Zum einen können Verbraucher bewusst nicht nach ihrer gewünschten Haltung handeln, zum anderen können sie unzureichend informiert sein.“

Die größte Diskrepanz (Haltung: 52; Verhalten: 25) besteht beim Aspekt gerechte Lohn- und Arbeitsbedingungen – Themen, für die Produkte aus fairem Handel stehen. Den größten Hebel, um die Lücke zwischen Einstellung und Einkaufsverhalten zu schließen, sehen Experten beim Thema fairer Handel in der Kommunikation. Gleiches gilt für Verpackungsthemen. Hier fehle es Konsumenten an Wissen, um die richtige Wahl treffen zu können.

Ernüchternd für die Bio-Branche als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit: Die Aspekte Lebensmittelverschwendung (64), Tierwohl (59) und Regionalität (57) spielen beim Einkauf eine größere Rolle als Öko-Ware. Bio als Einkaufskriterium kommt im Ranking nur an neunter, Bio-Verbandszeichen sogar nur an elfter Stelle. „Nachhaltigkeit lässt sich nicht auf Bio reduzieren. Daher muss die Bio-Branche konsequent die Aspekte Emissionsvermeidung, Transparenz und Regionalität berücksichtigen“, rät Bernd Eßer, Geschäftsführer Berief Food.

Der dominierende Faktor bei der Kaufentscheidung ist mit nahezu deckungsgleichen Werten (71 zu 68) dennoch das Preis-Leistungs-Verhältnis. Der Preisabstand zwischen konventionellen und nachhaltigen Produkten dürfe nicht zu groß sein, meinen die Verfasser der Studie. Vor allem die Politik sei gefordert, um durch Subventionssteuerungen grüne Produkte günstiger zu machen. Auch der True-Cost-Ansatz, der externe Kosten in die Verkaufspreise integriert, sei ein sinnvoller Ansatz. Es gelte, die Wertschätzung zu fördern, die Verbraucher Lebensmitteln und deren Qualität entgegenbringen, kommentiert Konz. Aufklärung und eine ehrliche Kommunikation könnten dazu beitragen, dass Verbraucher „gute“ von „schlechten“ Lebensmitteln unterscheiden könnten.

Die Studie teilt Verbraucher in vier Zielgruppen: Überzeugte (20 Prozent), Verweigerer (24 Prozent), Skeptiker (21 Prozent) und Hybride (34 Prozent). Bei den Skeptikern müsse die Relevanz aller Themen durch Aufklärungsarbeit erst erzeugt werden, so ein Fazit. Teile der größten Gruppe, der Hybriden, seien jedoch bereit, zugunsten eines nachhaltigeren Konsums die Kaufstätte zu wechseln. „Händler müssen aus Sicht der Kunden in Zukunft nachhaltiger werden, sonst werden die Kunden von nicht nachhaltigen zu nachhaltigen Händlern abwandern“, so Rüschen.

Alter und Einkommen scheinen beim Thema nachhaltiger Einkauf keinen Einfluss zu haben. „Das ist überraschend, da oft das Vorurteil besteht, dass die jüngere Generation wesentlich aufgeklärter ist und nachhaltiger konsumiert und die einkommensschwachen Haushalte aufgrund des geringen Einkommens weniger Wert auf Nachhaltigkeit legen können“, kommentiert Mit-Autorin Berg.

 Zehn Handlungsempfehlungen für den Handel

  1. Nachhaltigkeit muss in Unternehmen eine Grundhaltung und Bestandteil des Purpose sein.
  2. Die Branche benötigt ein einheitliches Verständnis und eine einheitliche Definition von Klimaneutralität.
  3. Ein branchenübergreifender, umfassender Nachhaltigkeits-Score für alle Produkte ist nötig.
  4. Gemeinsame Roundtable-Initiativen von Händlern und Herstellern zur Gestaltung des Transformationsprozesses müssen etabliert werden.
  5. Preise müssen alle Kosten im Sinne eines True-Cost-Ansatzes enthalten.
  6. Der Handel muss mit seiner Marktmacht bei den Gesprächen mit Herstellern Nachhaltigkeit vor Konditionen priorisieren.
  7. Information, Aufklärung und Ehrlichkeit sollten in der Kommunikation Priorität haben, um die Wertschätzung von Lebensmitteln und der eigenen Gesundheit bei Kunden weiter zu steigern.
  8. In der Sortimentspolitik muss durch Neulistungen von Marken und auch bei den Eigenmarken das entsprechende Angebot nachhaltiger Artikel geschaffen werden. Die Eliminierung von nicht nachhaltigen Produkten und nicht nachhaltigen Lieferketten sollte branchenweit umgesetzt werden.
  9. Nachhaltige Produkte müssen in der Platzierung am PoS als Alternative für konventionelle Produkte einfach zu finden sein.
  10. Verpackungen müssen an die tatsächlichen Bedarfsmengen angepasst werden. Die jeweilige Ökobilanz sowie die Recyclingfähigkeit der Verpackungen müssen für die Kunden transparent sein.

Info
Die Studie der DHBW Heilbronn basiert auf einer repräsentativen Online-Umfrage unter mehr als 3.000 Konsumenten in Deutschland sowie Experten-Interviews mit 14 Vertretern der deutschen Ernährungswirtschaft im September und Oktober 2021.
Das Whitepaper zur Studie steht zum Download bereit unter handel-dhbw.de/whitepaper-download/