Cem Özdemir: „Nicht beim Billigfleisch-System bleiben“

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir erläutert im Interview mit LP-Schwestermagazin „top agrar“ seine Pläne für weniger Abhängigkeiten vom agrarischen Weltmarkt, einen Umbau der Tierhaltung und den Ausbau des ökologischen Landbaus

Freitag, 25. März 2022 - Management
Stefanie Awater-Esper, Matthias Schulze Steinmann, Guido Höner (topagrar)
Artikelbild „Nicht beim Billigfleisch-System bleiben“
Bildquelle: Sedat Mehder

Was ändert der Ukraine-Krieg an Ihren agrarpolitischen Zielen?
Cem Özdemir:
Putins Angriffskrieg auf die Ukraine wird alle unsere Lebensbereiche beeinflussen. Die wichtigste Frage ist heute immer noch, wie können wir den Menschen in der Ukraine helfen? Wir haben umgehend eine Koordinierungsstelle eingerichtet, die sich darum kümmert, dass Lebensmittelgroßspenden aus der Wirtschaft zu den Betroffenen in die Ukraine kommen. Für dieses Engagement der Unternehmen bin ich sehr dankbar. Mit gleicher Ernsthaftigkeit hat mein Haus die Auswirkungen auf die Lebensmittelmärkte und die weltweite Versorgungssicherheit und die Folgen für den Agrarsektor im Blick.

Was meinen Sie damit?
Es geht darum, unsere Landwirtschaft zukunftssicher und krisenfest aufzustellen, wir können vor der Klimakrise und der Ressourcenverschwendung nicht die Augen verschließen.

Mit welchen Kriegsfolgen rechnen Sie?
Russland und die Ukraine sind für etwa 14 Prozent der weltweiten Weizenerzeugung verantwortlich. Wenn es hier zu Ausfällen kommt, hat das natürlich globale Auswirkungen und kann weitere Preissteigerungen bei Weizen und Brot bedeuten. Hauptimporteur von Weizen aus dieser Region sind insbesondere die Länder Nordafrikas und Asiens sowie die Türkei.

Erwarten Sie, dass damit die Sicherung der weltweiten Ernährung auch bei uns wieder eine neue Bedeutung erhält?
Deutschland hat bei Weizen einen Selbstversorgungsgrad von fast 120 Prozent. Hier sind wir gut aufgestellt. Gleichzeitig geht aber fast 60 Prozent des Gesamt-Getreides in Deutschland nicht in die direkte Nahrungsmittelversorgung, sondern landet in Futtertrögen von Tieren. Und diese Tiere sind häufig nicht einmal für den Verzehr bei uns im Land gedacht, sondern für den Export. Global gehen 47 Prozent der Getreideerzeugung ins Tierfutter. Wenn wir jetzt vom Recht auf Nahrung sprechen, dann sollten wir nicht die Axt an Klima- und Naturschutz legen, sondern gemeinsam dafür sorgen, dass die Agrarproduktion nicht mehr vorrangig im Futtertrog landet, sondern Menschen direkt versorgt. Grundsätzlich geht es um eine Kreislauf-Landwirtschaft, die unabhängiger ist von energieintensivem Mineraldünger. Und zwar auch aus geopolitischen Gründen. Was wir bei Energieträgern hinbekommen wollen – Unabhängigkeit von Staaten wie Russland – müssen wir auch in diesem Bereich schaffen. Wir brauchen eine nachhaltige Produktion, um die Funktionsfähigkeit der Lebensmittelkette als Teil der kritischen Infrastruktur zu sichern.

Wie stellen Sie sich das vor? Und wie sehen Sie den Zusammenhang mit der Fleischproduktion?
Wir müssen auch über die Flächen reden, die wir im Ausland für unsere Futtermittel belegen – und die oftmals mit Entwaldung zusammenhängen. Ich sage das immer wieder: Landwirtschaft ist keine Insel, sondern ein gesellschaftliches Bindeglied. Wenn wir Klimaschutz ernst nehmen, müssen wir auch die Tierbestände reduzieren. So senken wir auch die Abhängigkeit von Futtermitteleinfuhren. Es geht ja nicht darum, dass wir abgeschirmte Gesellschaften entwickeln. Ich bin ein Unterstützer des Welthandels, aber wir müssen die Abhängigkeiten reduzieren. Und das will ich auch klar sagen: Natürlich sollen Tierhalter weiterhin ein sicheres Einkommen haben. Das schaffen wir aber nicht, indem wir beim bisherigen Billigfleisch-System bleiben. Dieses System schafft am Ende nur Verlierer.

Das Ziel 30 Prozent Ökolandbau bis 2030 steht für Sie auch in Anbetracht der neuen Situation weiterhin fest?
Das ist und bleibt das Ziel unserer Koalition. 25 Prozent bis 2030 auf EU-Ebene und 30 Prozent bei uns in Deutschland. Das heißt auch, dass die anderen 70 Prozent der Kolleginnen und Kollegen, die konventionell wirtschaften, sich ebenfalls zunehmend auf den Weg machen, nachhaltiger zu arbeiten – und dafür auch honoriert werden.

Die FDP stellt jetzt die geplanten 4 Prozent Stilllegung aus der gerade ausgehandelten EU-Agrarreform in Frage. Wie sehen Sie das?
Die 4 Prozent gelten ab nächstem Jahr. Hier eingerechnet werden auch Landschaftselemente wie Hecken. Bereits jetzt werden über diese und andere Flächen ohne Nutzung rund 2 Prozent erbracht. Jetzt die Agrarreform, den Green Deal und die Farm-to-Fork-Strategie auszusetzen, halte ich für falsch. Die Auswirkungen des Angriffs auf die Ukraine, die Preisexplosionen bei Düngemitteln oder mögliche Engpässe bei Saisonarbeitskräften werden wir genau verfolgen. Es bleibt aber richtig, auf Nachhaltigkeit zu setzen. Wenn wir jetzt weitere Kredite auf Kosten des Klima- und Umweltschutzes aufnehmen, dann rächt sich das in der Zukunft. Ich will, dass landwirtschaftliche Produktion in Deutschland eine Perspektive hat. Aber klar – die Situation jetzt ist schwierig. Das haben wir im Blick. Die Nahrungsmittelerzeugung und eine sichere Versorgung haben jetzt Vorrang. Da müssten ökologische Aspekte und die Düngeverschärfung mal einige Zeit in den Hintergrund treten.

Sie sind dafür angetreten, den Umbau der Tierhaltung umzusetzen. Wie schnell kommen Sie da jetzt noch voran?
Beim Umbau machen wir jetzt Tempo. Erkenntnis und Bereitschaft sind da, die Veränderungen in der Tierhaltung jetzt auch umzusetzen. Dabei weiß ich auch den Handel hinter mir. Die Gespräche in der Koalition sind dazu sehr vielversprechend.

Ist ein Ansatz wie der Borchert-Plan mit Blick auf die 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr und die vielen weiteren Kraftanstrengungen durch den Ukraine-Krieg noch zu halten oder bereits vom Tisch?
Wir müssen jetzt erst recht dafür sorgen, dass es Betriebsnachfolgen gibt. Dass wir in Deutschland Lebensmittel produzieren und nicht in Abhängigkeiten geraten. Es geht darum, dass diese Koalition die Landwirtinnen und Landwirte, die bislang im Stich gelassen wurden, dabei unterstützt, Tiere besser zu halten. Wir wollen über Haushaltsmittel den Einstieg machen und die Investitionsförderung auf den Weg bringen. Im nächsten Schritt wollen wir den Umbau in der Nutztierhaltung auch bei den Betriebskosten honorieren. Bis zum Jahresende wollen wir ein solidarisches Abgabemodell auf Fleischprodukte haben. Die Bäuerinnen und Bauern schauen sehr genau darauf, wer sich da in den Fraktionen jetzt wie verhält. Ich gehe davon aus, dass alle die Koalitionsvereinbarung kennen und auch abarbeiten wollen – und sich nicht querstellen.

Stimmen die Gerüchte, dass die Bundesregierung 1 Milliarde Euro für den Umbau der Tierhaltung für die Jahre 2023 bis 2026 einplant?
Die Summe kommt mir bekannt vor – ich verhandle gerade mit dem Bundesfinanzminister über zusätzliches Geld, quasi eine Extra-Anschubfinanzierung für den Stallumbau. Aber gehen Sie mal davon aus: Ich kämpfe für meine Landwirtinnen und Landwirte. Ich habe nicht vor, nach den Haushaltsverhandlungen mit leeren Händen da zu stehen. Am Ende müssen es die Fraktionen im Parlament absegnen. Aber niemand wird das erklären können, wenn die Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung scheitert.

Viele in der Landwirtschaft wünschen sich eine Kombination von Haltungs- und Herkunftskennzeichnung. Warum gehen Sie national nicht voran?
Was die Haltungskennzeichnung anbelangt, gehen wir national voran. Wir werden sie dieses Jahr gesetzlich auf die Spur setzen. Nächstes Jahr werden dann gekennzeichnete Produkte in den Geschäften zu finden sein. Das ist der Plan und daran arbeite ich mit Hochdruck. Was die Herkunftskennzeichnung anbelangt, habe ich mit meiner österreichischen Kollegin eine Initiative für eine EU-Herkunftskennzeichnung gestartet, der sich weitere Länder angeschlossen haben. Die Kommission hat für dieses Jahr einen Vorschlag dazu angekündigt.

Beim Baurecht hat Ihre Staatssekretärin schon vor einem „Freifahrtschein für Ställe“ gewarnt. Worauf warten Sie?
Wir werden an das Baurecht gehen und uns auch das Immissionsschutzrecht anschauen. Was ich nicht machen werde, ist, dass ich das Baurecht ändere, aber davor die Frage der Finanzierung und die Haltungskennzeichnung nicht gelöst habe. Der Umbau ist ein Gesamtpaket, es wird mit mir nicht auseinander zu schnüren sein. Nur so bekommen die Tierhalter Planungssicherheit.