Politik Eine Neuausrichtung in der Ernährung

Die Grünen-Politikerin Renate Künast will, dass der Zuckerkonsum sinkt. Für eine gesunde „Ernährungsumgebung“ hält sie indes noch weitreichendere Regulierungen für erforderlich, wie sie im Interview erläutert.

Dienstag, 20. Juli 2021 - Management
Jens Hertling
Artikelbild Eine Neuausrichtung in der Ernährung
Bildquelle: Laurence Chaperon

Mit welchen ernährungspolitischen Zielen gehen Bündnis 90/Die Grünen in den Wahlkampf?
Renate Künast: Wir möchten durch eine Ernährungswende ein neues Ernährungsumfeld schaffen. Wir wollen in der Ernährung eine grundsätzliche Neuausrichtung hinbekommen. Wenn wir sagen, dass wir die Landwirtschaft für die Zukunft fit machen, muss sich das im Ernährungsbereich widerspiegeln.

Was heißt das?
Wir wollen eine gute und gesunde Ernährung für alle. Das heißt, dass sich vor allem die Gemeinschaftsverpflegung ändern muss. Das ist wichtig, weil sie mit Kindergärten, Seniorenheimen und Krankenhäusern eine große Bandbreite hat. Wir möchten ökologisch und regional erzeugte Lebensmittel unterstützen und diese verstärkt in der Gemeinschaftsverpflegung anbieten.

Wie sieht es mit hochverarbeiteten Lebensmitteln aus?
Wir brauchen eine verbindliche Reduktionsstrategie für Zucker, Salz und Fett in Fertiglebensmitteln. Zudem benötigen wir ökonomische Anreize für gesündere Produkte. Das heißt für uns, dass wir eine Mehrwertsteuerdebatte führen müssen. In unserem Wahlprogramm haben wir das so beschlossen, ohne dass wir es konkret ausformuliert haben. Ich könnte mir vorstellen, dass wir zum Beispiel Bio-Produkte besserstellen.

Wie denken Sie über den Bereich der „Kinder-Werbung“ und Lebensmittelverschwendung?
Wir wollen die Werbung für an Kinder gerichtete Lebensmittel einschränken. Die Kriterien für die Werbung sollten sich an den Standards der Weltgesundheitsbehörde (WHO) ausrichten. Ein weiterer Punkt ist die Eindämmung der Lebensmittelverschwendung. Wenn die Möhren in der Biogasanlage enden, nur weil sie krumm sind, stimmt etwas mit dem System nicht.

Warum ist es so wichtig, die Ernährungsumgebung zu ändern?
Es ist nicht immer leicht, sich im Alltag gut und ausgewogen zu ernähren. Immer mehr Menschen essen nicht mehr zu Hause, sondern in der Kita oder in der Schule, bei der Arbeit oder unterwegs. Der Griff zu Fertigprodukten und Fast Food liegt oft näher, als bewusst einzukaufen und selbst zu kochen. Ob im Supermarkt oder am Bahnhof – vielerorts beherrschen stark verarbeitete Lebensmittel das Angebot. Süßes, Snacks und Getränke enthalten oft jede Menge Zucker, Salz und Zusatzstoffe. Deshalb ist es wichtig, für ein gutes und gesundes Essensangebot zu sorgen. Wir wollen die politischen Weichen dafür stellen und haben vor allem Kinder und Jugendliche im Blick – für gesundes Essen von Anfang an.

Können Sie das genauer erklären?
Aus vielen Gründen – wie Klimaschutz und falsche Ernährung – geht es darum, die Ernährungsumgebung anders zu gestalten. Die Frage sollte sein: Welche Lebensmittel werden in Schulen und Krankenhäusern angeboten? Süßigkeitenautomaten haben in Krankenhäusern und Schulen nichts zu suchen. Das ist ein Grundwiderspruch.

Wie denken Sie über den Nutri-Score?
Er ist ein erster Schritt. Aber er braucht eine verpflichtende europäische Einführung und eine regelmäßige wissenschaftliche Überprüfung und Anpassung des dahinter stehenden Algorithmus. Zudem halte ich eine Erweiterung auf Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe und Zusatzstoffe für nötig.

Welche Position vertreten Sie bei den Aktivitäten zum Tierwohl?
Wir müssen uns über die Anzahl der gehaltenen Nutztiere einig werden. Diese Entwicklung muss anhand von Klimaschutzgesichtspunkten erfolgen. Denn wir brauchen eine Reduktion der gehaltenen Tiere, vor allem im Rinderbereich. Immer weniger Tiere, aber besser gehalten, so sollte die Zukunft aussehen.

Wie ist Ihre Position zur Tierwohlabgabe?
Wir möchten die Abgabe in Form eines Tierschutzcents. Bei der Tierwohlabgabe müssen wir aber noch einige europäische Fragen lösen, damit andere Mitgliedsstaaten an dem System teilhaben können.

Das staatliche Tierwohllabel wurde jetzt geschoben …
Wir haben immer gesagt, dass wir eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung wollen – national und europäisch. Deshalb habe ich mit dem Tierwohllabel von Julia Klöckner gehadert, das in dieser Legislaturperiode auch nicht mehr kommt.

Können Sie das näher erläutern?
Wir brauchen eine verpflichtende Kennzeichnung und eine Honorierung von mehr Tierschutz. Die Borchert-Kommission setzte Ziele für 2040, der Handel kündigt jetzt an, zehn Jahre früher umzustellen. Zudem fehlt eine Reduktionsstrategie. In der Union ist das alles sehr umstritten, es bleibt also viel zu tun in der nächsten Legislatur.

Würden Sie denn gern im Fall einer grünen Regierungsbeteiligung wieder als Ministerin dabei sein?
Da sind die Fragen, die Journalisten liebend gern stellen (lacht). Es wäre allerdings unklug, darauf zu antworten.