Energiemanagement Kommt die Solarpflicht?

Um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen, setzt die Bundesregierung immer stärker auf gesetzliche Vorgaben zur Installation von Solaranlagen auf neu errichteten Bauten.

Dienstag, 06. Juli 2021 - Management
Elena Kuss
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Bildquelle: 11er Nahrungsmittel

Das E-Center Cohrt in Cadenberge hat eine Photovoltaik-Anlage (PV-Anlage) auf dem Dach. 79.000 Kilowattstunden erzeugt die Anlage, 75.000 werden sofort im Markt verbraucht. Im Sommer, wenn die Anlage besonders viel Energie produziert, benötigt der Markt diese zur Kühlung. Speicherung ist nicht notwendig, da die Module in drei verschiedene Richtungen aufgeständert sind und somit zu jeder Tageszeit gleichmäßig Energie erzeugen. Um die 800.000 Kilowattstunden Strom benötigt der Markt im Jahr. Die PV-Anlage deckt also nur einen kleinen Teil des Strombedarfs ab.

Wie viel bringt also eine Solarpflicht? In immer mehr Bundesländern ist ein verbindlicher Einsatz von Solaranlagen zur Stromproduktion bei Industrie- und Gewerbe-Neubauten entweder bereits gesetzlich verankert oder aber in Planung. In Schleswig-Holstein soll eine Solarpflicht für Nichtwohngebäude und Großparkplätze noch vor der Landtagswahl 2022 in Kraft treten. Ähnliches gilt für Baden-Württemberg, Hamburg und Berlin. Eine Pauschale, die Benjamin Chini, Projektleiter Forschungsbereich Energiemanagement beim EHI, nicht befürwortet: „Die Wahrscheinlichkeit, dass die Pflicht den Ausbau aufgrund von zu viel Bürokratie eher bremst als beschleunigt, ist sehr hoch.“ Eine ambitioniertere beziehungsweise noch deutlicher spürbare Steuerung über die CO2-Abgabe in Verbindung mit gezielten Förderprogrammen sei hier eher geeignet Innovationsanreize an den richtigen Stellen zu setzen.

Denn jede Anlage wird unter individuellen Rahmenbedingungen errichtet: Wie groß ist die nicht beschattete Fläche? Muss das Dach zusätzlich angemietet werden? Bei Edeka Cohrt ist der Marktbetreiber beispielsweise nicht Besitzer der Anlage, sondern eine Energiegenossenschaft aus dem Nachbarort Oberndorf. Diese wird komplett ehrenamtlich geführt. Damit der Marktbetreiber Marco Cohrt nur eine anteilige EEG-Umlage von 40 Prozent, auf den vor Ort direkt verbrauchten Strom, zahlen muss, pachtet der Händler die Anlage von der Energiegenossenschaft und ist somit Anlagenbetreiber sowie Stromabnehmer gleichzeitig.

Trotzdem: Für viele Lebensmittelhändler und -hersteller, die den eigenen CO2-Fußabdruck reduzieren wollen oder müssen, bleibt Solarenergie vom eigenen Dach eine interessante Möglichkeit. Besonders da die Märkte den Solarstrom direkt vor Ort nutzen können. Andre Steffens, Geschäftsführer von Wi-Solar, einem Anbieter für PV-Anlagen aus Kaisersesch, erklärt: „Durch Kühlung und Klimatisierung erreichen wir bei Lebensmittel-Einzelhändlern bis zu 100 Prozent Eigenverbrauch – eine Förderung durch das EEG ist somit nicht erforderlich.“ Wie im Fall von Edeka Cohrt zahlen die Nutzer aktuell für den selbst erzeugten Strom eine „Sonnensteuer“ von 40 Prozent der jeweils geltenden EEG-Umlage. Die EEG-Umlage soll in den kommenden Jahren durch den CO2-Handel gegenfinanziert werden und sich somit nach und nach reduzieren. In der Politik gibt es zudem Einstimmigkeit in Bezug auf die komplette Abschaffung der EEG-Umlage. Dies würde bedeuten, dass Anlagen mit Eigenverbrauch zukünftig noch wirtschaftlicher werden, da keine Abgaben zu zahlen sind. Die Amortisationsdauer liegt aktuell bereits unter acht Jahren. Malte Sandmeyer hat mit seinem Betrieb die Anlage bei Edeka Cohrt geplant und installiert. „Wenn mehr Händler sich für Solarenergie entscheiden sollen, muss die Bürokratie und die Besteuerung des eigenproduzierten und eigenverbrauchten Stroms abgebaut werden“, sagt der Geschäftsführer der Sandmeyer GmbH aus Cadenberge.

Gesetz als Hemmschuh?
Warum also eine Solarpflicht? Ein weiteres Beispiel, wie ein Gesetz den Ausbau eher hemmen als vorantreiben kann, zeigt für Benjamin Chini die Regelung für Supermärkte bezüglich der Ladesäulen für E-Autos. Das Gesetz verpflichtet Lidl, Aldi und andere Supermärkte zum Ausbau der E-Mobilität. Konkret bedeutet das für Supermärkte, dass jeder fünfte Stellplatz mit einem Schutzrohr für Elektrokabel ausgerüstet und mindestens eine Ladestation eingerichtet werden muss. „Die Händler waren so lange in einer abwartenden Haltung, bis das Gesetz endlich kam, dass viele, die eigentlich mutig vorangehen wollten, ausgebremst wurden.“ Die Angst sei zu groß gewesen, am Ende nicht den Vorgaben zu entsprechen und erneut Maßnahmen ergreifen zu müssen.

Chini hofft, dass bei den PV-Anlagen nun wirksamere Wege gefunden werden, die richtigen Anreize für den weiteren notwendigen Ausbau zu setzen.
„Viele Unternehmen würden das Thema noch stärker fokussieren, wenn die bürokratische Hürde nicht so hoch wäre. Andere benötigen auch ungeachtet dieser Hürden eine Starthilfe in Form von wirksamen Anreizen, damit sie dann auch aktiv ihren notwendigen Beitrag zur Energiewende leisten“, sagt Chini. In Deutschland sei ein hohes Know-how gefragt, um PV-Anlagen wirtschaftlich betreiben zu können.

Ein gutes Beispiel sei hier Aldi Süd. Das Unternehmen ist dadurch im Vorteil, dass es sich der Thematik sehr früh angenommen hat. Weit mehr als 100 Megawatt Solarleistung hat der Discounter inzwischen auf seine Dächer gebaut. Die Anlagen sind so geplant, dass je nach Standort rund 60 bis 90 Prozent der erzeugten Solarenergie direkt vor Ort verbraucht werden. Vor allem der Bedarf an Kühlung, Lüftung und Beleuchtung lässt sich mit Sonnenstrom gut abdecken, weil kein Puffersystem in Form einer stationären Speicherbatterie notwendig ist.

Dachflächen reichen nicht aus
In der Regel können Lebensmittel-Einzelhändler laut Installateur Wi-Solar jedoch nur maximal ein Drittel der benötigten Energie mit einer PV-Anlage abdecken. „Die Dachflächen sind oft nicht größer – dies könnte sich aber ändern, wenn die Parkplätze überdacht werden“, sagt Steffens, Geschäftsführer von Wi-Solar. Über eine solche Lösung denkt beispielsweise der Edeka-Händler Peter Görse in Berlin nach. Sein Markt hat kein ausreichend stabiles Dach. Steffens erklärt: „Wir benötigen heute rund 15 Kilogramm pro Quadratmeter – und damit durchaus weniger als vor einigen Jahren.“

Auch auf einer Dachbegrünung kann eine Solaranlage nachträglich errichtet werden – das sei aber nicht optimal. Bei einigen Gebäuden mit Dachpfannen könne man diese durch ein Trapezblech ersetzen, was statische Reserven biete. „Letztlich rächt sich jetzt die meist billige Bauweise der Gebäude“, sagt Steffens. Aldi macht deshalb kurzen Prozess und reißt alte Gebäude, deren Dächer nicht ausreichend stabil für PV-Anlagen sind, ab, um neu mit entsprechender Anlage zu bauen.

Auch eine Option ist es, die Fassade zur Sonnenenergiegewinnung zu nutzen. Das Schweizer Unternehmen Migros ist hier Vorreiter. Märkte, die mehr Strom produzieren, als sie verbrauchen, gibt es aktuell jedoch nur äußerst selten. Migros hat beispielsweise bisher vier Märkte, auf die das zutrifft.