dm Drogerie-Markt „Die Werte der Gesellschaft verändern sich“

Die Pandemie hat Kundenbedürfnisse und Kundenströme umgelenkt. Wie dm-Drogerie Markt mit der aktuellen Situation umgeht und welche Chancen sich aus der Krise ergeben, darüber sprach die LP mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung, Christoph Werner.

Freitag, 29. Januar 2021 - Management
Bettina Röttig
Artikelbild „Die Werte der Gesellschaft verändern sich“
Bildquelle: Alexander Münch

Corona hat die Handelswelt verändert. Herr Werner, was waren für dm die größten Herausforderungen, die Sie in den vergangenen Monaten zu bewältigen hatten?
Christoph Werner:
Die größte Herausforderung war und ist die Unsicherheit. Zu Beginn fehlte beispielsweise das Wissen, ob Kundenkontakte für unsere Mitarbeiter lebensgefährlich sein könnten. Als Einzelhändler möchten wir stets für unsere Kunden da sein und suchen eigentlich nicht die Distanz. Bei der Umsetzung der Hygienemaßnahmen haben wir daher von Anfang an darauf geachtet, diese so zu gestaltet, dass sie von Kunden nicht als Einschränkung, sondern als konstruktiver Umgang mit den Notwendigkeiten wahrgenommen werden. Eine weitere Herausforderung: Gute Planung und stabile Prozesse in Bezug auf die Warenversorgung, Standortentscheidung und Logistik. Exakte Planung ist derzeit kaum möglich. Vorjahreszahlen sind kaum indikativ. Wir müssen mit sehr viel mehr Unschärfe arbeiten als zuvor.

Im ersten Lockdown kam es zu vielen Out-of-stocks. Was haben Sie getan, um die Warenverfügbarkeit für die zweite Welle zu sichern?
Wir haben unsere Performance kritisch analysiert und die Prozesse so angepasst, dass wir auf weitere Wellen vorbereitet waren. Entscheidend war hierbei die Erhöhung der Warenbestände für kritische Artikel in der Logistik. Dies hat sich bewährt, als im Oktober die Zahlen wieder stiegen und die Bevorratungskäufe der Kunden erneut einsetzten. Toilettenpapier haben wir tatsächlich noch stärker verkauft als in der ersten Welle. Dies ging jedoch recht geräuschlos über die Bühne, da wir Pufferläger angelegt hatten, um die Warenversorgung sicherzustellen. Ähnlich war es in den Bereichen Hygiene, Reinigung, aber auch Lebensmittel. Letztere vor allem, da der Außer-Haus-Verzehr zum guten Teil weggebrochen ist und mehr zu Hause gekocht wird. Auch darauf haben wir uns vorbereitet und zusätzliche Lagerflächen angemietet, um eine gute Warenverfügbarkeit aufrecht zu erhalten.

Krisen können immer auch Chancen bieten, wenn man dafür offen ist. Wo hat die Ausnahmesituation für dm neue Chancen eröffnet?
Zunächst möchte ich festhalten: Die Covid-19-Pandemie ist eine große Tragödie für viele Menschen in unserem Land und in der Welt. Gleichwohl kann jede Krise auch zu einer Chance werden. Denn Routinen werden aufgebrochen, wir besinnen uns und schauen mit anderen Augen auf die herrschenden Umstände. Beispielsweise erhält das Thema Omnichannel-Retailing eine größere Bedeutung, weil sich die Bedürfnisse der Menschen verändern. Wer nicht unter Menschen gehen möchte, lässt sich Waren nach Hause schicken oder seinen Einkauf per Express-Abholung von einem Beauftragten mitbringen. Vor der Pandemie hatte der Click-and-Collect-Service von dm für Kunden keine große Relevanz. Dies hat sich unter den neuen Rahmenbedingungen geändert. Zum anderen sehen wir uns als Unternehmen in unserer Strategie bestätigt, in unserer Zusammenarbeitskultur konsequent auf die Ermächtigung der Menschen in der Arbeitsgemeinschaft zu setzen.

Das bedeutet konkret?
Es gibt zwei Möglichkeiten im Unternehmen mit einer Krise umzugehen: Entweder die Führung wird sehr autokratisch, oder es wird konsequent auf die Entscheidungskompetenz der Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft gesetzt. Letzteres gelingt aber nur, wenn alle Mitarbeiter die Handlungsoptionen kennen und alle nötigen Informationen erhalten. Bei dm haben wir in den vergangenen Jahren enorm in die Infrastruktur investiert, um Mitarbeiter entscheidungsfähig zu machen. Beispielsweise haben wir mehr als 26.000 Smartphones als Arbeitsmittel für unsere Mitarbeiter in den Filialen angeschafft. Diese sind nun eine enorme Erleichterung bei der Filialkommissionierung im Markt für Click-and-Collect.

Dann haben Sie es Dank Smartphones geschafft, das Zeitfenster für den Express-Abholservice von sechs auf drei Stunden zu halbieren?
Genau. Mitarbeiter müssen nicht erst ins Büro gehen und aktiv nachschauen, ob ein Auftrag vorliegt. Wir haben lediglich eine App auf die Smartphones aufgespielt und die Anwendung war damit in jeder Kitteltasche. Durch das Smartphone werden die Kollegen in den Märkten in Echtzeit über Aufträge informiert. Der jeweils freie Mitarbeiter zieht sich den offenen Auftrag und bearbeitet ihn. Er kann sich direkt informieren, wie viele Positionen die Bestellung beinhaltet und wie viel Zeit er in etwa für die Kommissionierung benötigen wird. So können sich unsere Mitarbeiter gut selbst organisieren.

Wie häufig wird der Express-Abholservice genutzt?
Der Service wird zunehmend angenommen. Wir sind sehr zufrieden, Zahlen sind aber natürlich Staatsgeheimnis (lacht). Wir beobachten eine Korrelation zwischen Verschärfung von Corona-Verordnungen und Attraktivität dieses Services.

In welchen anderen Bereichen sehen Sie noch Potenzial, um die On- und Offline-Welten noch gewinnbringender zu verknüpfen?
Im Omnichannel Retailing gilt es konsequent vom Kunden aus zu denken. Mal möchte sich ein Kunde Zeit nehmen für den Einkauf in der Filiale und sucht diese auf. Mal muss es schnell gehen, dann wird der Express-Service genutzt. Wenn der Kunde krank ist lässt er sich den Einkauf liefern. Es ist immer der gleiche Kunde, jedoch mit situativ unterschiedlichen Bedürfnissen. Auf dm.de können Sie sich heute über die Stoßzeiten in Ihrem relevanten dm-Markt informieren und diese in Corona-Zeiten gezielt meiden – auch das ist Omnichannel Retailing. Click & Collect funktioniert dann besonders gut, wenn der Kunde die Ware schnell braucht, nicht aber die Zeit für einen längeren Aufenthalt hat. Unser Online-System und unsere stationären Systeme laufen auf der selben Plattform, um einen nahtlosen Einkauf zu gewährleisten. Durch unsere sehr genauen Prognosesysteme haben wir den Warenbestand immer aktuell – online wie offline. So ist es möglich, dass Sie online sehen, wie viele Packungen Ihres Lieblingsproduktes Sie in den dm-Märkten um Ihren Standort herum innerhalb der nächsten drei Stunden verlässlich im Regal finden werden.

Der Trend zum One-Stop-Shopping hat zugenommen. Werden Sie mehr Lebensmittel in ihr Sortiment aufnehmen?
Das One-Stop-Shopping-Phänomen steht in Zusammenhang mit der aktuellen Ausnahmesituation und wird nicht von Dauer sein. Kunden wollen auch Sortimentstiefe und Fachmarktkompetenz. Sonst hätten sich die SB-Warenhäuser durchgesetzt. Es haben sich aber Fachmarktzentren durchgesetzt. Daher wäre es nicht klug, unser drogistisches Profil zu verwässern. Unsere Stärken liegen in den Bereichen Schönheit, Haushalt, Baby, Gesundheit und Foto. Zu einem Lebensmittelgeschäft wird dm nicht mutieren.

Die Kundengruppe der Millennials ist der GfK zufolge in den vergangenen Monaten von den Drogeriemärkten teils zu Supermärkten abgewandert: Wie gewinnt dm diese wichtige Zielgruppe wieder stärker zurück?
Unter den Rahmenbedingungen der Corona-Verordnungen hat sich auch das Einkaufsverhalten geändert. So reduziert sich die Häufigkeit der Einkaufstrips insgesamt, während die Einkaufskörbe größer werden. Normalerweise bewegen sich Menschen an drei Orten – Wohnort, Arbeitsplatz und Freizeit – und finden dort jeweils Einkaufsgelegenheiten. Absolut gesehen hat der LEH die meisten Einkaufsstellen und ist an allen drei Orten stärker vertreten als Drogerien. Wenn Menschen, die sonst häufiger in der Innenstadt eingekauft haben, nun vielleicht nur noch rund um ihren Wohnort einkaufen, an dem es keinen Drogeriemarkt gibt, dann kommt es automatisch zu Verschiebungen im Markt.

Wenn der Supermarkt jedoch in der Zeit den Kunden überzeugt mit seinen drogistischen Angeboten, könnte sich diese Veränderung manifestieren.
Die Gefahr besteht theoretisch. Fachmärkte haben jedoch eine deutlich größere Sortimentskompetenz in diesen Kategorien als ein Supermarkt. Aber noch sind wir in einem Ausnahmemzustand. Ich bin überzeugt, sobald wir wieder in den Normalzustand zurückkehren, werden Menschen in die Drogeriemärkten zurückkehren, weil sie deren Sortimentstiefe schätzen. Handel hat sich schon immer verändert. Im Moment kommt eine zusätzliche Dynamik in die Entwicklung. Standortentscheidungen werden in Zukunft vielleicht anders getroffen werden. Vielleicht werden künftig weniger Märkte in den Innenstädten oder Bahnhöfen zu finden sein, sollten Ladenmieten weiter so hoch bleiben oder sogar weiter steigen.

Ändern Sie Ihre Strategie hinsichtlich der dm-Filialexpansion?
Unser Prinzip war schon immer: wir möchten die besten Standorte anmieten. Ein guter Standort ist durch nichts zu ersetzen, ein schlechter auch nicht. Was ein guter Standort ist, kommt auf das Verhalten der Kunden an. Der beste Standort ist immer eine Momentaufnahme, schon eine neue Verkehrsampel kann zu Veränderungen des Kundenverhaltens führen. Schon immer prüfen wir permanent unsere Standorte, um das beste Portfolio zu haben. Wir schauen, wo wir Mietverträge für Standorte verlängern, wo wir umziehen, einen Markt aufgeben oder einen neuen eröffnen können. Wenn die Innenstädte weniger attraktiv werden, dann wird man auch uns dort weniger antreffen.

Welche Forderungen haben Sie an die Politik, um der Entwicklung in den Innenstädten entgegenzuwirken?
Aufgabe der Politik ist aus unserer Sicht die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Kräfte der freien Marktwirtschaft unser Land prosperieren lassen und die besseren Konzepte sich durchsetzen können. Das gelingt am besten unter fairen Voraussetzung. Das ist jedoch nicht gegeben beispielsweise beim Umgang mit innenstadtrelevanten Sortimenten. In vielen Kommunen gelten die Sortimente von Drogerien als innenstadtrelevante Sortimente und deshalb werden Standorte von Drogerien in Fachmarktlagen nicht genehmigt. Gleichzeitig dürfen sich Lebensmittelmärkte in diesen Fachmärkten ansiedeln und auch Drogeriesortimente verkaufen. Dies führt zu Wettbewerbsverzerrung. Wenn ein Sortiment als innenstadtrelevant klassifiziert ist, dann dürfte es auch nur in der Innenstadt verkauft werden, egal in welchem Format. Handlungsbedarf für die Politik sehe ich auch bei der Begleitung der Transformation im Handel. Wenn der Online-Handel bei konstantem Marktvolumen einen größeren Marktanteil zu sich zieht, dann wird der Einzelhandel nach diesem Szenario Arbeitsplätze verlieren, denn bei Online-Händlern wird der gleiche Umsatz mit wesentlich weniger Mitarbeitern generiert. Aufgabe der Politik wäre es nun, Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Beschäftigte, die im Laufe dieses Transformationsprozesses ihren Arbeitsplatz verlieren, nicht in materielle Not geraten. Dass sie aufgefangen werden, damit sie sich umorientieren und neue Chancen ergreifen können. Volkswirtschaften transformieren sich permanent, ob von der landwirtschaftlichen zur industriellen, zur Dienstleistungsgesellschaft oder wie jetzt zum quartären Sektor. Was jedoch früher über lange Zeiträume verlief, geschieht heute sehr viel schneller. Dabei sollte die Politik begleiten, damit es nicht zur sozialen Erosion in der Gesellschaft kommt.

Nachhaltigkeit haben Sie sich auf die Fahne geschrieben. Wo sehen Sie sich als diesbezüglich als Treiber und wo treiben wiederum Verbraucher und gesellschaftliche Entwicklungen Ihr Handeln?
Es sind immer die Wünsche der Kunden, die Entwicklungen zum Durchbruch verhelfen. Deshalb ist es so wichtig, die Menschen zu beobachten. Die Fridays for Future Bewegung ist ein Zeichen dafür, dass Klimaschutzfragen viele junge Menschen bewegt. Diese jungen Menschen haben Einfluss auf ihre Eltern und sie werden älter und kaufkräftiger. Wenn man schaut, welche Themen heute im Ethik- und Ökonomie-Unterricht in Schulen gelehrt und diskutiert werden, dann ist klar: Es kommt Wertewandel auch im Konsum auf uns zu. Darauf stellen wir uns ein. Dabei gehen Impulse nicht nur von der Geschäftsführung aus, auch die jungen Menschen im Unternehmen bringen Ideen ein. Mit unseren Eigenmarkenprodukten können wir beispielsweise einiges bewegen.

Sie bringen erste umweltneutrale Produkte unter ihren Eigenmarken auf den Markt. Wie wird das Start-Sortiment aussehen?
Wir werden in Kürze darüber informieren. Sie können sich vorstellen, dass dieses Projekt sehr komplex und unglaublich aufwendig ist. Wir sind mit unseren Lieferanten in einem ständigen Austausch. Wir werden natürlich Schritt für Schritt vorgehen und nicht mit hunderten von Produkten starten.

Der Aufwand dahinter muss auch bezahlt werden. Wie wird das Pricing aussehen im Vergleich zu Produkten, die nicht umweltneutral sind?
Wenn für Menschen der Aspekt umweltneutralisiert einen Wert hat, dann werden sie auch bereit sein, dafür zu bezahlen. Im Übrigen hängt die Höhe des Verkaufspreises eines Artikels nicht nur von der Umweltverträglichkeit ab. Sonst müssten hochpreisige Artikel immer umweltverträglich sein.

Dennoch kann sich nicht jeder den Aufpreis für Umweltschutz, Tierwohl etc. leisten…
Da sind wir wieder bei der Politik und der Notwendigkeit von fairen Rahmenbedingungen. So lange beispielsweise gewisse Formen der Agrarwirtschaft subventioniert und Umweltkosten externalisiert werden können, haben Sie keine fairen Rahmenbedingungen.

Was sind Ihre wichtigsten Vorhaben und Schwerpunktthemen für 2021?
Neben den klimaneutralen Produkten arbeiten wir an der Weiterentwicklung unserer IT-Infrastruktur und planen den Umzug in ein größeres Online-Verteilzentrum. Außerdem arbeiten wir intensiv an der Weiterentwicklung unseres stationären Auftritts. Da haben wir aber noch viel Arbeit vor uns.