Interview mit Alexander Hinrichs Der Pragmatiker

Alexander Hinrichs trotzt als Chef der Initiative Tierwohl dem Dauerfeuer kritischer Stimmen. Er setzt auf eine Politik der kleinen Schritte und bringt mit seinen Mitarbeitern das Projekt voran, Stück für Stück.

Montag, 19. Februar 2018 - Management
Heidrun Mittler
Artikelbild Der Pragmatiker
Bildquelle: Peter Eilers

Wie zufrieden sind Sie persönlich mit der bisherigen Umsetzung des Programms?
Alexander Hinrichs: Wir haben ganz Großartiges geleistet. Es ist uns gelungen, Landwirtschaft, Lebensmittel-Einzelhandel und Fleischwirtschaft in einem Programm zu integrieren. Diese Branchen sprechen miteinander statt übereinander und treiben Maßnahmen in Sachen Tierwohl voran. In relativ kurzer Zeit haben wir ein System aufgesetzt, bei dem die Ergebnisse messbar und überprüfbar sind. Und wir haben eine Möglichkeit gefunden, wie das Ganze vom Lebensmittel-Einzelhandel finanziert wird. Das System funktioniert zuverlässig und solide.

Sie betonen oft, die Initiative sei kein starres System.
So ist es. Wir entwickeln das System ständig weiter, dabei nehmen wir die Anforderungen aus der Branche auf. Nur ein Beispiel: Zusätzlich zu den bisherigen Prüfungen wird seit letztem Jahr ein unangekündigter Stallcheck in den landwirtschaftlichen Betrieben durchgeführt. Der Auditor überprüft die Gesundheit der Tiere und die Hygiene direkt im Stall. Er prüft, ob der Landwirt die Maßnahmen durchführt, für die er von uns extra Geld erhält.

2018 ist die Initiative in die zweite Phase gegangen. Was ändert sich?
Eine ganze Reihe. Zum einen gibt der Lebensmittel-Einzelhandel mehr Geld. Bislang hat er jährlich rund 85 Millionen Euro pro Jahr eingezahlt. Künftig werden es 130 Millionen Euro pro Jahr sein. Außerdem haben wir die Anforderungen für die Tierhalter vereinheitlicht und angehoben.

Was bedeutet das für die Tiere?
Ab 2018 muss jeder Tierhalter, egal ob Schweine- oder Geflügelhalter, mindestens zehn Prozent mehr Platz umsetzen und zusätzliches Beschäftigungsmaterial anbieten. Bei Geflügel ist zudem, wie bereits beim Schwein, ein Stallklima- und Tränkewassercheck verpflichtend.

Wo sehen Sie weiteren Verbesserungsbedarf?
Ab sofort können Sie bei Geflügel auf dem Produkt lesen, ob es von einem Tierwohl-Betrieb stammt. Das ist ein Punkt, den wir bisher nicht gewährleisten konnten. Unser Ziel ist es, dass ab dem zweiten Quartal bei jedem teilnehmenden Lebensmittelhändler Hähnchen und Pute ausschließlich von Tierwohl-Betrieben kommen. Das Labelling gilt für naturbelassene Produkte, ab Oktober auch für bearbeitetes, frisches Fleisch, zum Beispiel marinierte Hähnchensteaks.

„Wir wollen etwas für die Breite in der Tierhaltung tun und einen Wandel anstoßen.”

Ist Ihr Marktanteil bei Geflügel denn ausreichend groß?
Derzeit liegen wir bei 30 bis 35 Prozent, durch die Budgeterhöhung werden wir um die 70 Prozent Marktabdeckung haben. Es werden so viele Mastbetriebe teilnehmen, dass wir ausreichend Menge für den Lebensmittelhandel haben. Bei den Schweinen ist das schwieriger: Nur ein geringer Teil des Schweins geht an den Lebensmittelhandel, der ist zum Beispiel kaum an den Innereien oder Pfötchen interessiert, sondern in erster Linie an den Edelteilen. Deshalb braucht man beim Schwein verhältnismäßig mehr Tiere, um die Nachfrage an den Filetstücken zu decken. Aber wir beschäftigen uns bereits intensiv mit der Frage, wie wir auch ein Labelling von Schweinefleisch erreichen können.

Wie weit sind Sie mit der Umsetzung des geplanten Tiergesundheitsindexes?
Das ist ein laufender Prozess, bei dem wir eng mit QS zusammenarbeiten. Die Schlachtbetriebe erfassen die Schlachtbefund-Daten, die wir zentral erfassen und auswerten. Wir haben ein riesiges Datenvolumen, das wir mit Hilfe von Wissenschaftlern analysieren. Ziel ist es, daraus ablesen zu können, wie das Tier vor der Schlachtung gehalten wurde und ob es gesund war.

Und was bringt ein solcher Index?
Wir erhoffen uns in der Zukunft durch die Tierwohl-Indices Erkenntnisse über die Gesundheit der Tiere und werden den Landwirten dann auch ein entsprechendes Feedback geben. Das System ist noch nicht perfekt, wir setzen dabei auch auf Learning-by-Doing.