Interview mit Bert Martin Ohnemüller „Verkaufen heißt, den Kunden verstehen“

Viele Faktoren, die wir bewusst gar nicht wahrnehmen, bestimmen den Kaufentscheid. Besonders Mitarbeiter setzen am PoS Impulse und fördern mit ihrer Persönlichkeit die Kundenloyalität für ihren Markt.

Freitag, 24. April 2015 - Management
Dieter Druck
Artikelbild „Verkaufen heißt, den Kunden verstehen“
Haptischer Boden: Auf diesem Belag mit Pflasteroptik und -struktur rattern Einkaufswagen und vermitteln Marktplatz-Atmosphäre.
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Was bewegt am PoS den Kunden zum Kauf? Naja, der bewusst aufgenommene Kaufimpuls, der vom Produkt bzw. dem Preis ausgeht, ist man geneigt zu antworten. Aber da passiert einiges mehr und das meiste unbewusst. „Die Kaufentscheidung fällt schon eine halbe Sekunde, bevor uns etwas bewusst wird“, sagt Bert Martin Ohnemüller von der Neuromerchandising Group in Frankfurt / Main. Unbewusste Abläufe am PoS, die sich Kaufleute und Mitarbeiter bewusst machen sollten.

Herr Ohnemüller, Sie analysieren Kunden und gewinnen Erkenntnisse, die dem Handel helfen sollen, den Kunden besser zu verstehen. Sie nutzen dafür den Begriff Neuromerchandising. Wie ist der zu verstehen?
Bert Martin Ohnemüller
: Einkaufen ist für den Käufer immer mit mehreren Entscheidungen verbunden. Beim Neuromerchandising geht es, vereinfacht dargestellt, darum, den Kunden und sein Verhalten am PoS zu verstehen. Wir fragen uns: Was nimmt er dort wahr, und was passiert in seinem Kopf bzw. Gehirn? Wir beziehen uns dabei auf die Wissenschaftsbereiche Hirnforschung und Evolutionsbiologie. Dafür steht der Wortbestandteil ’Neuro’. Und bei ’Merchandising’ geht es um das Verstehen des PoS, also den Raum und die Menschen, Kunden und Mitarbeiter.

Das klingt nach bewussten, rational gesteuerten Mechanismen...
Das Gegenteil ist der Fall. Uns steuert ein emotionaler Autopilot. Jeder Kauf basiert auf einer Entscheidung, und jede Entscheidung basiert auf Emotionen. Wichtig ist zu wissen, dass bei diesen vielschichtigen Abläufen alle Sinne wie Riechen, Sehen, Fühlen, Hören eine Rolle spielen und zum Impuls führen.

Sind diese Erkenntnisse schon am Point of Sale angekommen und umgesetzt?
Zum Teil ja, aber in der Breite noch nicht. Farben, Bilder und Licht sind Komponenten, mit denen am PoS gearbeitet wird, aber andere Sinne wie Akustik, Haptik, Geruch und Temperatur werden nicht bewusst oder gezielt angesprochen. Ziel müsste sein, eine stimmige Inszenierung für alle Sinne zu schaffen.

Aber was sucht oder braucht der Käufer dann grundsätzlich?
Der Kunde sucht nach Plausibilität. Die Farbe rot und die Verbindung mit Fleisch, das ist plausibel. Oder der Geruch nach Fisch und Käse an den entsprechenden Theken, aber nicht in der Kosmetikabteilung. Hier passt es nicht und stört. Die Folge sind negative Emotionen. Diese gilt es, grundsätzlich zu vermeiden, weil sie weitaus stärker wirken als die positiven. Übrigens, eine sehr starke emotionale Negativreaktion löst Schmutz aus.

Wirken die Sinne unterschiedlich stark?
Wir sind visuell geprägt, aber immer sind alle Sinne eingeschaltet und wirksam. Eine Hierarchie der Sinne existiert nicht. Der älteste Sinn ist das Riechen. Gerüche wirken unmittelbar auf das limbische System, ein Hirnareal, das der Verarbeitung von Emotionen und der Entstehung von Triebverhalten dient, es besitzt eine wichtige Warn- und Schutzfunktion. Auf der anderen Seite werden mit Gerüchen positive Assoziationen verbunden, wie z. B. Omas Apfelkuchen. Bezogen auf diesen Sinn, geht es heute primär am PoS um Geruchseliminierung, das heißt dem Entgegenwirken schlechter Geruchsempfindungen, die negative Emotionen auslösen.

Wie entscheidend ist die visuelle Wahrnehmung in den Märkten? Sie scheint ja bei Laden- und Produktgestaltung im Mittelpunkt zu stehen, Stichwort PoS-Kommunikation.
Es gibt ein schnelles und eine langsames Denken. Das schnelle basiert auf Bildern, Farben und Symbolen und löst emotionale Kaufimpulse aus. Dies gilt es, am PoS zu aktivieren. Zahlen und Texte sprechen das langsame Denken an. Diese zerstören den vorher aufgebauten Kaufimpuls.

Und wie wirken bewegte Bilder?
Bewegte Bilder sorgen für hohe Aufmerksamkeit, werden aber häufig falsch genutzt, weil es an Emotionalität fehlt. Was nützt mir die Werbung von der Friedhofsgärtnerei oder der Autowerkstatt von nebenan? Ganz anders wirkt da ein Bauer, der seine freilaufenden Hühner füttert oder Kühe auf der Alm in Verbindung mit Heumilchkäse. Das sind stimmige Bilder.

Licht ist derzeit auch ein großes Thema, um Kunden zu leiten und um Kaufimpulse zu setzten. Wie beurteilen Sie dieses Instrument?
Licht ist heute noch unterbewertet. Wenn, dann sprechen wir vorrangig über technische Parameter wie z.B. Energiesparen. Die Wirkung von Licht auf den Biorhythmus wird noch zu wenig berücksichtigt. Licht hat einen erheblichen Einfluss auf die emotionale Wahrnehmung und die Kaufbereitschaft. Ein Thema, das uns in der Zukunft stark beschäftigen wird.


Welchen Einfluss haben Mitarbeiter?
Da sprechen Sie einen ganz wichtigen Punkt an. Denn Handel ist in erster Linie immer die Begegnung von Menschen. Neue Raumkonzepte reichen nicht aus, um Kunden dauerhaft zu begeistern und zu binden. Selbst Discounter bauen heute schöne Läden. Für den Vollsortimenter machen die Mitarbeiter den entscheidenden Unterschied. Sie sind der zentrale Erfolgsfaktor am PoS. Allein schon die Ansprache mit dem Namen, das ist übrigens das Lieblingswort eines jeden Menschen, löst tiefe Emotionen und ein Gefühl der Zugehörigkeit aus – mein Markt, mein Kaufmann, meine Familie.

Kann das nicht auch über den Preis geschehen? Ich denke, dass bei roten Ziffern und dem Wort Rabatt genug Emotionen aufkommen und rationales Denken aussetzt.
20 Prozent auf Alles, außer auf die Zukunft?! Die Kreativität des Kaufmanns beschränkt sich viel zu oft auf Sonderangebote. Diese lösen einen nur kurzfristigen Kick beim Kunden aus. Unser Gehirn kennt keine Preise, sondern Werte wie z. B. Ehrlichkeit, Qualität, Glaubwürdigkeit. Das ist die Basis für Treue, die letztlich in Loyalität mündet. Und die, um nochmals auf die vorherige Frage einzugehen, gewinnt der Handel nicht über den Preis. Das heißt nicht, dass Preis-Promotions unwirksam sind, aber sie vermitteln keine dauerhaften Werte und hinterlassen keinen emotionalen Fußabdruck. Alles was nicht emotional ist, ist für das Hirn wertlos, es wird einfach vergessen.

Ist das noch ein Alleinstellungsmerkmal des Vollsortimenters?
Ja, das ist es. Die Mitarbeiter sind das Kapital des Vollsortimenters und das herausragende Alleinstellungsmerkmal. Hier gilt die Formel, glückliche Mitarbeiter machen glückliche Kunden und die machen glückliche Chefs.

Wie passt anderes, verkaufsoptimierendes Instrumentarium, z. B. Category Management, zum Unbewussten?
Das ist aus meiner Sicht zu technisch, zu sehr auf Sortimente und den Verstand ausgerichtet. Grundsätzlich sind wir bei diesen Dingen zu ’verkopft’. Suchen immer wieder den rationalen Ansatz. Überlegen Sie nur mal, wie oft Sie gesehen haben, dass ein QR-Code am PoS gescannt wurde. Übrigens werden 85 Prozent der Kaufentscheidungen von Frauen getroffen, und die kaufen nicht mit Excel-Tabellen ein.

Zur Person Bert Martin Ohnemüller
  • Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bei der Horten AG
  • Industrieerfahrung in der Verkaufsförderung bei Maggi, außerdem absolviert Ohnemüller parallel ein Abendstudium an der Akademie für Kommunikation in Frankfurt am Main
  • Promotionmanager bei Richardson WickPharma (heute Procter & Gamble)
  • 1988 Schritt in die Selbstständigkeit und Gründung der BMO GmbH für Strategieund Konzeptionsberatung
  • Seit 2010 Inhaber und Geschäftsführer der Neuromerchandising Group GmbH in Frankfurt gemeinsam mit Achim Fringes. Das Unternehmen setzt Erkenntnisse aus der Gehirnforschung in Lösungen für Marke, Handel und Service um.

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Bild öffnen Kaufen ist Kopfsache: Vielfältige Impulse wirken beim Einkauf auf das Gehirn des Kunden.
Bild öffnen Haptischer Boden: Auf diesem Belag mit Pflasteroptik und -struktur rattern Einkaufswagen und vermitteln Marktplatz-Atmosphäre.
Bild öffnen Bildsprache: Bilder werden am PoS schnell verarbeitet und lösen Emotionen aus.
Bild öffnen Leuchtmittel: Licht hat einen erheblichen Einfluss auf die emotionale Wahrnehmung und die Kaufbereitschaft.
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